21.02.2023
Über schwarzen Tüll, der die roten Teppiche der Welt erobert.
Perlen, Pailletten, Tüll, Seide, Spitze … ein strahlender Traum in Weiß, Creme, Rosé und Blush ergießt sich über meterlange Kleiderstangen. Ein gewohntes Bild, wo man nach Hochzeitskleidern sucht – bis das Auge hängenbleibt: an Metallketten, glitzernden Totenköpfen und vor allem schwarzen Stoffen.
Seit 2007, damals noch als Unternehmensnachfolgerin, betreibt Ina Riedel in Zwönitz ihr Bekleidungsgeschäft. Zunächst verkauft sie Damenoberbekleidung, schnell wird aber der Bedarf nach Brautmoden laut. Um dem Wunsch ihrer Kundinnen nachzukommen, füllt die Geschäftsführerin ihre Stangen mit weißem Tüll, hüllt alles ein, Laden, Bräute und später auch die nächtlichen Träume des Teams: „Wir haben wirklich nachts von weißen Kleidern geträumt, sie haben uns verfolgt!“ Kurzerhand entschließt sie sich deshalb, den stärksten Farbkontrast in ihren Laden zu bringen, den sie finden kann: schwarz.
Bahnhofstraße 43
08297 Zwönitz
Fon : +49 (0)37754 332266
Email : kontakt@kleiderwahnsinn.de
https://www.kleiderwahnsinn.de/
Schwarz ≠ Gothic
Doch Ina Riedel geht es nicht um Szene, um Gothic oder Kleider für das Wave-Gotik-Treffen zu entwerfen – sie will im Märchen bleiben, den Blick von Prinzessinnen zu den bösen Feen, Hexen und Piratinnen wenden. „Schwarz wird immer schnell in die Gothic- und Fetisch-Ecke gerückt. Natürlich haben wir auch Kundinnen aus dieser Szene. Vorrangig verkaufen wir aber Fantasy-Kleider. Wir alle haben Prinzessinnen, aber auch ihre bösen Widersacherinnen bewundert, jeder hat sich mit irgendwas identifiziert.“
„Black Pearl“ ist der Name ihrer Kollektion – hergeleitet von der „Fluch der Karibik“-Filmreihe, die ihre ersten schwarzen Kleider inspirierte. Die Idee und ihre Interpretationen der schwarzen Fantasy-Brautmode schlägt ein: Ein spanisches Modemagazin druckt auf seiner Titelseite ein Bild aus einem Shooting mit einem Schweizer Nachwuchsmodel am Schloss Waldenburg ab. Was folgt sind Fügung, Glück oder Schicksal – je nachdem, woran man glauben mag: Einem Veranstalter der Mailänder Modewoche fällt das Magazin in die Hände und er lädt Ina Riedel zum nächsten Event ein. „Am Anfang haben wir die Einladung gar nicht für voll genommen. Doch dann kamen die Verträge und wir mussten beweisen, dass die schwarze Kollektion wirklich eigens designt und produziert ist. Dann sind wir nach Mailand gefahren – ohne zu wissen, was da passiert.“
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Mailand sieht schwarz
Im Gegensatz zu gängigen Vorstellungen besteht die Mailänder Modewoche nicht aus einem, sondern aus vielen Events überall in der Innenstadt. Zusammen mit 15 anderen Teilnehmern aus ihrer Kategorie laufen ihre Models in der durchaus passenden Atmosphäre der Fabbrica del Vapore, einer alten Fabrikhalle gleich neben Mailands berühmtem Cimitero Monumentale. Als Ina Riedel nach der Show müde und hungrig zusammenpackt und das Event verlassen will, hält der Veranstalter sie auf: Ob sie denn nicht wissen wolle, ob sie die Teilnahme an der New York Fashion Week gewonnen habe. Der Höflichkeit halber beschließt das Kleiderwahnsinn-Team, bis zum Ende zu bleiben. Was nun folgt, gleicht einem Kabarett: Ausschließlich auf italienisch moderiert und so für Ina Riedel vollkommen unverständlich, wird sie wieder und wieder auf die Bühne gebeten: „Ich hab nur immer meinen Namen gehört, und habe geschaut, was die anderen machen. Wenn die anderen geklatscht haben, habe ich auch geklatscht, wenn sie von der Bühne gegangen sind, bin ich mit runtergegangen, wenn sie sich gefreut haben, habe ich mich mit gefreut.“
Dann sind wir nach Mailand gefahren – ohne zu wissen, was da passiert.
Als ihr Name zum letzten Mal aufgerufen wird, bewegt sich niemand. Die Moderatoren starren sie an. Ein Schritt nach vorn, ein kurzes Nicken – mehr traut sich die eigentlich so toughe Geschäftsführerin in diesem Moment nicht. Was ist passiert? Erst als sie von der Bühne kommt und die anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihr gratulieren, wird ihr bewusst: Soeben hat sie mit ihrer schwarzen Kollektion nicht nur die Eintrittskarte nach New York, sondern sogar den European Fashion Award gewonnen.
Mit diesem Tag betritt Ina Riedel eine neue Welt – der bisher unscheinbare Laden „Kleiderwahnsinn“ aus dem Erzgebirge ziert die Seiten der regionalen und nationalen Presse: mdr, Sky, Sat.1 – sie alle wollen ihre Kleider und ihre Geschichte präsentieren. Einmal getragen von dieser Welle, kommt die Designerin anschließend mit Miss Aruba, Miss Ohio und Miss Switzerland auch zu den Filmfestspielen nach Cannes, nach Monza zur Formel 1 und für weitere Shootings nach Mailand, wo alles begann.
Ich möchte meine normalen Brötchen normal gut durchgebacken haben.
Doch so richtig wohl fühlt sie sich mit dieser Entwicklung nicht. „Wenn ich auf die Bühne gewollt hätte, hätte ich einen anderen Beruf gewählt. Klar klingt New York Fashion Week immer cool, aber man muss sich damit beschäftigen, was dieses Business bedeutet. Wenn ich zu einer Fashion Week fahre, muss ich mindestens 30 Kleider dorthin bringen – ein immenser finanzieller Aufwand. Die Models kaufen die Kleider zu Sonderpreisen, im Laden sind die Stangen anschließend leer.“ Der Medienrummel und Corona führen dazu, dass Ina Riedel ihre Entscheidung, zur New York Fashion Week zu fahren, überdenkt. „Das mag für viele nicht nachvollziehbar sein. Eine Fashion Week ist vergleichbar mit ‚Germany’s Next Topmodel‘. Im Fernsehen sieht man nur Glamour. Wie viele Tränen und Nerven man dafür zahlt, das sieht keiner und das soll auch nicht gezeigt werden. Für ein internationales Business braucht es außerdem ein Team, Know-how in Recht und Sprachen. Einfach mal ein paar Kleidchen in der Welt verkaufen – so einfach ist es nicht.“
Was sie will, kriegt sie. Er auch.
Statt in den USA um Großaufträge zu pokern, entscheidet sich die Geschäftsführerin für ihre Kundinnen und Kunden vor Ort, die oft sogar viele Stunden Fahrt in Kauf nehmen, um nach Zwönitz zu kommen. Ihnen erfüllt sie jeden Wunsch: vom Jeans-Brautkleid bis zur brennenden Tribute-von-Panem-Robe, für die sie eigenhändig Silikonteile gegossen und 30 Meter LED eingearbeitet hat.
Wenn hier eine Idee herkommt, sagen wir eigentlich immer, ja, das machen wir!
Jedes der Kleider wird handgefertigt, Änderungen – selbst in Stoff und Farben – individuell nach den Wünschen der Kundinnen umgesetzt. Passend dazu werden die zukünftigen Bräutigame ausgestattet, ohne dass sie sich das Okay ihrer Bräute in spe holen müssen – immerhin kennt das Team jedes Detail des Kleides und hat die passenden Stoffe im Atelier. Im Fall der schwarzen Kollektion ist die Rede hierbei zumeist von individuell angepassten Gehröcken – „mit Glitzer, Totenköpfen, Samt, … alles kann, nichts muss“. Dieses Motto behält sich Ina Riedel auch für ihre weitere Karriere bei. Ihre Kleider in einer Serie für Sat.1? Warum nicht? Heiraten wie Morticia Addams? Aber ja! Mit 30 Kleidern nach New York? Vielleicht irgendwann, wenn die wirtschaftliche Situation wieder eine andere ist und Ina Riedel der Appetit statt nach normalen Semmeln nach einem super soften American Bagel mit Sesamkruste steht.
Text und Fotos: Magda Lehnert