Totgesagte leben länger

21.06.2022

...und erfinden sich einfach neu

Dem lokalen Einzelhandel wird oft eine finstere Zukunft vorhergesagt. Alteingesessene Läden, speziell in kleinen Innenstädten, müssen aufgeben. Zu groß scheint die Konkurrenz großer Einkaufszentren oder gar des Online-Handels. Zwei junge Frauen sehen das anders und das aus gutem Grund. Gegen den Trend haben beide mit ihren Stores und eigenen Ideen den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt.

Haus des guten Geschmacks

Eine Institution in der Zschopauer Innenstadt ist seit über 80 Jahren der „Herrenausstatter Conrad Schmidt“. Kunden finden hier alles für ein stilvolles Outfit: Hemd, Krawatte, Jackett, den kompletten Hochzeitsanzug und vor allem eine individuelle, kompetente Beratung. Erlesene Whiskys und Weine aus Baden-Württemberg ergänzen das Angebot. Die Kombination kommt bei den Kunden gut an, denn wer Wert auf ein stimmiges Outfit legt, weiß auch einen guten Tropfen zu schätzen.

Bewahrerin des guten Geschmacks ist neuerdings Cindy Mai. Die 29-jährige zweifache Mutter hat den Laden im Sommer 2021 von ihrer Vorgängerin übernommen. Als Nachbarin kannte sie Geschäft und Inhaberin. Während ihrer Elternzeit 2020 erfuhr sie, dass die Inhaberin altersbedingt jemanden für die Nachfolge suchte, aber niemanden finden konnte. Die Geschäftsschließung drohte.

Je öfter die junge Mutter an dem Laden vorbeikam, desto mehr konnte sie sich vorstellen, selber die Nachfolge anzutreten. Als sich im Sommer 2020 die Rückkehr an den bisherigen Arbeitsplatz abzeichnete, stand ihr Entschluss. Sie kehrte dem Angestellten-Dasein mit starren Arbeitszeiten den Rücken und entschied sich für die Übernahme des Geschäfts. „Mein Mann war bereits selbstständig. Ich wusste also in etwa, worauf ich mich einlasse. Gleichzeitig bringt unsere Selbstständigkeit uns mehr Flexibilität. Die ständige Sorge, Job oder Familie zu vernachlässigen, ist damit verschwunden.“


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Durch Corona-bedingte Ladenschließungen verzögerte sich die Geschäftsübergabe. Gemeinsam mit der Noch-Inhaberin nutzte die gelernte Bürokauffrau die Zeit, um sich in künftige Aufgaben einzuarbeiten. „Ein wichtiger Bestandteil des Geschäfts ist die Beratung, insbesondere für Bräutigame. Da suche ich gemeinsam mit dem Bräutigam ein Outfit aus, das zu ihm, dem Outfit der Braut oder auch dem Ambiente der Feier passt. Alles wird aufeinander abgestimmt und bei Bedarf angepasst. Was ich nicht vorrätig habe, kann ich zur Anprobe bestellen.“ Mit diesem Service besetzt sie eine Nische, die der Online-Handel nicht abdecken kann. Das wissen auch die Kunden zu schätzen. Sie stammen überwiegend aus der Region, viele sind dem Geschäft schon seit Jahren treu. Durch die Bräutigam-Beratung kommen auch immer wieder neue, junge Kunden in den Laden. Viele bringen gleich noch ihren Trauzeugen oder den Brautvater zum Einkleiden mit. Und auch an den Nachwuchs ist gedacht, denn schon die kleinsten Gentlemen finden bei Cindy Mai Hemd und Anzughose. Für die nahe Zukunft ist außerdem ein Onlineshop als Ergänzung gedacht. Allerdings nur für die weniger beratungsintensiven Produkte, wie Accessoires oder Standard-Produkte, wie T-Shirts. Bis es so weit ist, hält die Neu-Inhaberin die Kunden bei Facebook auf dem Laufenden.

Die Übernahme des etablierten Geschäfts erleichtert der Gründerin den Start, wie sie selber weiß: „Aus der Kalten heraus, ganz bei null angefangen, hätte ich diesen Schritt vermutlich nicht gewagt.“

Angebote zur Unternehmensnachfolge

Wie wäre es mit der Weiterführung etablierter und erfolgreicher Unternehmen im Erzgebirge ? Im Fachkräfteportal Erzgebirge werden Angebote für Nachfolgerinnen und Nachfolger gebündelt, die sich mit Führungsqualitäten, Macher-Eigenschaften und Entschlossenheit einbringen und zupacken wollen:

Nachfolge-Angebote im Fachkräfteportal

Kinder & Frauen als Konzept

Szenenwechsel:

Franziska Beier hat vor rund zwei Jahren genau diesen Schritt gewagt und ihren eigenen Laden aufgebaut. Sie zeigt, dass auch dieser Weg geht, wenn das Konzept stimmt. In ihrem „Momokidz KONZEPT STORE“ in Schwarzenberg dreht sich ebenfalls alles um die Kunden, nur sind die bei Franziska Beier in der Regel weiblich. Mit viel Liebe zum Detail sorgt die Inhaberin dafür, dass sich bei ihr alle rundum wohlfühlen. Das erklärt auch, warum sie ihre Kundinnen mit einem Sandkasten vor der Tür begrüßt.

Wie bei Cindy Mai bildet für Franziska Beier die Geburt ihres zweiten Kindes den Grundstein zur Geschäftsidee. Zu dieser Zeit nähte die gelernte Krankenschwester gerne und viel Kinderkleidung. Aus eigenem Bedarf kam ihr die Idee zu ihrem „Momo-Tuch“: ein vierlagiges Musselin- Halstuch, das sich mit Druckknöpfen verschließen und in der Weite verstellen lässt, wodurch es mitwächst. Ihre neue Kreation teilte sie auf Social-Media-Kanälen. Die Reaktion war überwältigend. Schlagartig kamen unzählige Anfragen, sie begann zu verkaufen und richtete schließlich einen einfachen Onlineshop für ihre Tücher ein. Allmählich stieg auch die Nachfrage vor Ort. Als die Kunden schließlich vor ihrer Haustüre standen, war klar: Ein eigener Laden muss her.

Mithilfe eines Gründercoachings schreibt die junge Mutter einen Businessplan für ihren Laden, überlegt, welche Produkte zu ihren Tüchern passen, macht sich auf die Suche nach einem geeigneten Ladengeschäft und wird schließlich in Schwarzenberg fündig. Anschließend reist sie durch ganz Deutschland, lässt sich von interessanten Geschäften und Cafés inspirieren. Im Herbst 2019 feiert der „Momokidz KONZEPT STORE“ schließlich Eröffnung. Neben ihren eigenen Momo-Tüchern umfasst das Sortiment Kleidung für Kinder und Erwachsene, Papeterie, Life-Style-Produkte, Schmuck, Kinderspielzeug und Accessoires. Alle Produkte sind hochwertig, optisch sehr ansprechend und immer abseits vom Mainstream. Vieles stammt aus der Region, kleinere überregionale Labels runden das Angebot ab.

Das Beste aus lokalem und Online-Handel kombiniert

Obwohl die Wurzeln ihres geschäftlichen Erfolgs im Online-Handel mit ihrem Label Momokidz liegen, hat sich die 36-Jährige ganz bewusst für ein klassisches Ladengeschäft entschieden. Warum? „Mein Eindruck ist, dass die lokale Kaufkraft steigt und die Menschen teilweise wieder vom reinen Online-Handel weggehen. Sie wollen die Produkte fühlen, anschauen und in die Hand nehmen können; gleichzeitig suchen sie etwas Besonderes. Mir selber geht das auch so. Allerdings fehlen mir in unserer Region noch junge, moderne Geschäfte. Und darum habe ich nicht länger gewartet, dass es irgendjemand anders macht, sondern habe einfach losgelegt. Ich habe mir hier erstmal regional eine Grundlage mit vielen Partnern geschaffen, bevor ich mich wieder mehr auf die Homepage und den Onlineshop fokussiere.“

In den Sozialen Medien wirbt sie erfolgreich für ihren Laden und erreicht so Menschen über Schwarzenberg hinaus. Viele Kunden kommen ganz gezielt, weil sie online auf das Geschäft aufmerksam geworden sind. Einmal im Monat veranstaltet die aufgeschlossene Geschäftsfrau Live Shopping Events bei Instagram. Die Nachfrage ist groß. Gerade in der Corona-Zeit hat sich dieser Verkaufskanal als große Stütze für das junge Geschäft erwiesen.

Text: Philipp Senge

Foto: Magda Lehnert