02.09.2020
Naoshi Takahashi ist ein Wanderer zwischen zwei Welten: Der Japaner im Erzgebirge ist Generalmusikdirektor am Eduard-von-Winterstein-Theater in Annaberg-Buchholz und Chefdirigent der Erzgebirgischen Philharmonie Aue . Die Sprache, die für ihn alles verbindet, ist die Musik. Bei einem Rundgang durch das Annaberger Theater erzählt er von Sushi und Neunerlei, Multikulti im Orchester und Engeln als Visitenkarte.
200 Meter mit ... Naoshi Takahashi
Herr Takahashi, wie sind Sie eigentlich ins Erzgebirge gekommen?
Ich lebe seit 1999 in Deutschland, bin damals als Musikstudent zum ersten Mal hierhergekommen. Nach Stationen in München, Osnabrück und am Brandenburger Theater habe ich gezielt nach einer Möglichkeit gesucht, als Dirigent zu arbeiten. Als 2003 am Eduard-von-Winterstein- Theater eine Stelle als 1. Kapellmeister ausgeschrieben wurde, habe ich mich darauf beworben und war sehr glücklich, dass es geklappt hat. Ich kannte die Philharmonie schon vorher, als Student hatte ich hier einen Meisterkurs belegt. Die hohe Qualität des Hauses hat mich damals schon begeistert.
Sind Sie sofort mit dem Erzgebirge und den Erzgebirgern warm geworden?
Der Erzgebirger zeigt sich erstmal etwas bescheiden, manchmal ein bisschen verschlossen. Es dauert, bis man die Menschen hier wirklich kennenlernt. Durch die Kinder ist es mir und meiner Frau recht leicht gefallen, Kontakte zu knüpfen. Hat man die Wand einmal durchbrochen, sind die Erzgebirger sehr treue, ehrliche und sympathische Menschen. Ich kenne viele Orte in Deutschland und auf der ganzen Welt – aber hier bin ich angekommen, hier fühle ich mich wohl.
Das Wort "Glück Auf" in Japanischer Schrift
Haben Sie ein erzgebirgisches Lieblingswort?
Mein erstes erzgebirgisches Wort war tatsächlich „Glück Auf“, und sowohl den Klang als auch die Bedeutung mag ich sehr.
Mein erzgebirgisches Lieblingswort ist „Neinerlaa“ (spricht es mit perfekt erzgebirgischem Singsang) –
das „Neunerlei“ aus neun verschiedenen Leckerbissen erinnert mich ein bisschen an Sushi, wo man ja auch verschiedene Häppchen zu einem Gesamterlebnis komponiert.
Diese Auswahl ist mir lieber als nur ein Kloß mit Fleisch und Soße auf dem Teller (lacht). Wobei ich Rinderroulade und Sauerbraten auch sehr gern mag. Und Bratwurst natürlich. Und Kutteln! Wo wir gerade beim Essen sind: Ich liebe deutsches Brot. Auch hier wieder: diese Auswahl! Die Frühstücksvielfalt ist nirgendwo auf der Welt so groß wie in Deutschland. Es gibt nichts Besseres.
Neunerlei ist ja ein typisch erzgebirgisches Weihnachtsessen. Wie stehen Sie zu den erzgebirgischen Weihnachtstraditionen?
Erst einmal sind ja Weihnachten und Silvester in Deutschland und Japan von der Art zu feiern her komplett vertauscht: In Japan ist Weihnachten die wilde Party, Silvester ruhig und besinnlich. Aber das macht nichts – ich komme ja auch hier in den Genuss von beidem. Was ich ganz besonders finde, sind die erzgebirgischen Holzkunstfiguren, ohne die Weihnachten hier nicht zu denken wäre. Diese in die Welt hinauszutragen, ist mir eine große Freude. Ich reise nie mit leerem Koffer – immer habe ich ein Räuchermännchen , einen Nussknacker oder einen kleinen Engel dabei, den ich verschenke. Die Figuren sind wie meine Visitenkarte. In Japan wird das deutsche Kunsthandwerk sehr geschätzt. Die Menschen erkennen die Hochwertigkeit und würdigen die handgemachte Schönheit der Figuren.
Haben Sie einen Wunsch, wie sich das Erzgebirge in Zukunft entwickeln könnte?
Ich würde mir wünschen, dass das Erzgebirge noch bekannter ist bei den Menschen in der Region, dass Touristen sich noch besser in all der Fülle und Vielfalt zurechtfinden, die das Erzgebirge bietet. Bergbaugeschichte, Natur , Landschaft , Kunst, Kultur und Genuss – all das ist in unserer Region zu finden. Wenn wir das in Erlebnis-Pakete packen, die verschiedenen Angebote noch besser vernetzen, könnten wir noch mehr Menschen auf unseren schönen Landstrich aufmerksam machen. Unser Theater und die Philharmonie mit den verschiedenen Spielstätten sollten hierbei natürlich unbedingt Bestandteil sein. Wir sind ein hochprofessionelles Haus, wie man es in einer eher kleinen Stadt wie Annaberg-Buchholz nicht unbedingt erwarten würde.
Erzgebirgische Theater- und Orchester GmbH
Am Annaberger Theater arbeiten Künstler aus aller Welt: aus den USA, Ost- und Westeuropa, der Türkei, Korea und Japan. Wie bekommen Sie als Generalmusikdirektor die verschiedenen Mentalitäten unter einen Hut?
Ich finde kontinuierliche gemeinsame Arbeit sehr wichtig. Deshalb
ist Musik die Sprache, die uns verbindet.
Gemeinsam können wir diese Sprache in unserem Sinne
formen und gestalten.
Viele der Künstler sind hier sesshaft geworden, haben im Erzgebirge ihre Heimat gefunden. Das bringt Kontinuität, die ab und zu durch frischen Wind ergänzt wird, wenn ein Neuer zu uns kommt. Im Orchester darf jeder seine Persönlichkeit zeigen und dennoch fürs große Ganze wirken. Gemeinsam erleben wir wunderbare Momente. Wenn im Konzert alles in eine Richtung fließt – dieses Gefühl ist einfach großartig.
Ihre Frau stammt aus Riesa, Sie aus Nagoya. Welche Werte geben Sie Ihren Kindern mit auf dem Weg?
Diese Werte sind unabhängig von unserer Kultur. Wir möchten unseren Kindern zeigen, dass es nicht auf Materielles ankommt, sondern auf die schönen Dinge, die man im Kopf hat. Wissen, aus eigenem Antrieb lernen, selbst etwas tun und bewegen – niemals für andere, sondern immer, weil man es selbst so will. Unsere Kinder wachsen zweisprachig auf, und sie lieben die Musik. Wo das wohl herkommt …?
Erzgebirgische Theater- und Orchester GmbH
Bambergstraße 9
09456 Annaberg-Buchholz
Fon : +49 3733 / 1407-0
Email : intendanzbuero@winterstein-theater.de
Ihre Frau Madeleine Vogt war als Sängerin am Eduard-von-Winterstein-Theater bereits in vielen großen Rollen zu hören. Wie meistern Sie Ihren Familienalltag mit drei Kindern?
Wir denken alle unsere Planungen zusammen. Jeder Tag beginnt mit einem gemeinsamen Frühstück. Um die Kinder kümmert sich der, der gerade kann. Wenn wir abends beide im Theater Vorstellung haben, kommt unsere Ersatzoma zu uns nach Hause. Meine Frau ist meine wichtigste Stütze. Ohne ihre Hilfe könnte ich sowohl im Beruf als auch privat nicht überleben. Ich bin ihr unendlich dankbar, dass sie mich trotz Vollzeit- Berufstätigkeit immer unterstützt hat. Wir sind schon ein Super-Team!
Ist europäische Musik anders als in Ihrer Heimat Japan?
Musik ist Musik. Ich muss ein Musikstück mögen, um es dem Publikum zu vermitteln. Manche Stücke begeistern mich sofort, bei anderen brauche ich länger, bis ich Zugang finde. Dann lese ich die Noten, lasse die Klänge in meinem Kopf wirken, höre die verschiedenen Nuancen. Es gibt ja nicht nur laut und leise, es gibt auch die Farben des Klangs – sanft oder wild, süß oder traurig. Das ist wie auf einer Landkarte – wie grün ist das Grün?
Was macht das Musiktheater so besonders?
Das Musiktheater entblättert die ganze Palette der menschlichen Emotionen. Der Gesang erreicht die Menschen sehr direkt, das Orchester entfaltet eine ungeheure Kraft. Und doch entsteht das Gefühl, das wir beim Zuhörer erzeugen, erst aus dem Zusammenspiel von Künstler, Werk und Publikum. In der Probe klingt es zwar auch schön, was wir spielen, aber
echt wird Musik erst durch die Zuhörer.
Denn in ihnen erzeugen wir Momente, die bewegen.
Welche Einflussmöglichkeiten haben Sie als Dirigent auf den Klang des Orchesters?
Mein Ziel ist immer, dem nahezukommen, was sich der Komponist gedacht hat. Ich möchte möglichst originalgetreu nachbilden, wie er die Musik in seinem Kopf gehört hat.
Warum wollten Sie ausgerechnet Dirigent werden? Was fasziniert Sie an diesem Beruf?
Ich möchte mit unserer Musik Emotionen vermitteln. Als ich hierherkam, habe ich mir gewünscht, den Menschen mit Musik nicht nur ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern, sondern sie im tiefsten Inneren zu bewegen. Ich möchte mit Musik ins Herz treffen. Wenn ich mich nach dem Konzert zum Publikum hin verbeuge, sehe ich direkt in die Augen der Zuschauer. Oft sehe ich darin eine Träne blitzen. Dann weiß ich: Wir haben die Menschen berührt.
Text: Sylva-Michèlè Sternkopf
Foto: studio2media/Erik Wagler