27.08.2020
Das Rückkehrer- Café. Warum ist das Erzgebirge ein Rückkehrer- Magnet? Lockte einst die Fremde, so folgten letztendlich viele dem Motto: „Vergass dei Haamit net.“ und kehren zurück. Genau solche Menschen haben wir an einen Tisch gebracht, eine bunte Mischung, jeder mit einer ganz persönlichen hERZgeschichte und einer großen Gemeinsamkeit: die Liebe zum Erzgebirge.
Malerisch liegt der Stollberger Walkteich eingebettet in einen Park mit großem Abenteuerspielplatz und Laubbäumen, die sich heute Morgen im Wasser spiegeln. Die kleinen Boote sind angelegt, die große Sommerterrasse lädt geradezu zum Chillen ein. Claudia Paul steht in der Küche ihres Cafés Walkbeach, am Ufer des Walkteiches gelegen, und schneidet selbst gebackenen Kuchen. Sie trägt viele leckere Kleinigkeiten, Fingerfood, hinaus zum liebevoll hergerichteten Buffet auf der Terrasse. Rückkehrer und Zuwanderer ins Erzgebirge, wie sie selbst, werden sich nachher hier treffen, um sich über ihre persönlichen Lebenswege auszutauschen. Alle, die heute vom Regionalmanagement Erzgebirge eingeladen sind, teilen ähnliche Lebensgeschichten – gingen einst weg und fanden ihr Glück dann doch wieder im Erzgebirge. Oder kamen eben neu ins Erzgebirge – so wie die Chefin des Cafés, Claudia Paul. Sie wagte erst im Frühjahr 2019 den Schritt aus der Großstadt ins Erzgebirge: „Ich komme ursprünglich aus der Bautzener Ecke, dann folgten zehn Jahre München, drei Jahre Dresden und bin jetzt in Stollberg gelandet. Weil ich meinen Lebensgefährten kennengelernt habe und auch wegen dieses Platzes hier. Ich hatte mich damals gleich in den Walkbeach verliebt.“ Es habe einfach alles gepasst, der Plan mit dem eigenen Café, die Liebe zum Erzgebirge, erzählt sie, während sie noch ein bisschen Deko platziert. Die 41-Jährige fühlt sich im Erzgebirge heimisch: Claudia ist im Leben angekommen. Und dann sagt sie: „Weißt du, was mir eben am Erzgebirge auch sehr gefällt? Die Herzlichkeit der Menschen. Das kenne ich von der Großstadt nicht so.“
Und genau diese Herzlichkeit spürt man auch hier beim zwanglosen Treffen von Menschen, die sich zum großen Teil noch gar nicht kennen. Es ist ein bisschen wie ein Experiment, fremde Menschen einzuladen, die einen gemeinsamen Nenner – nämlich das Erzgebirge – haben und sich im Idealfall sehr persönliche Dinge erzählen. Man spürt schnell, dass es genau dieser Nenner, dieses Herzensbedürfnis nach Heimat ist, was alle schnell auftauen lässt – ganz so, als ob man sich doch ewig kennt. Egal, wohin es die Erzgebirger in ihrem Leben auch verschlagen hatte, das Besondere, das große Herz füreinander, für die Region, ist immer geblieben. Oder man hat es hier in der neuen Heimat gefunden. Jeder erzählt zum Kennenlernen kurz seine Geschichte – bunt verstreut in der ganzen Republik und auch über die Grenzen hinaus passiert. Eine schnell skizzierte Landkarte verdeutlicht die Lebensstationen. Der Start in der Fremde – oft gewählt wegen besserer Ausbildungschancen oder interessanter Jobs – war für alle eine Herausforderung. Von Heimweh ist oft die Rede, da fließen beim Erzählen sogar Tränen.
Das große Herz für die Region ist immer geblieben.
Je länger das gemeinsame Frühstück dauert, desto enger rutschen die Rückkehrer und Zuwanderer an der Frühstückstafel zusammen, lassen tiefere Einblicke in ihr Leben und Gründe für eine Entscheidung pro Erzgebirge zu. Fast freundschaftlich, familiär. Es wird viel gelacht, intensiv diskutiert und Emotionen liegen blank. So wie bei Sabine Brosch. In der Strumpffabrik Esda Thalheim hatte sie wie so viele junge Frauen zu DDR-Zeiten Facharbeiterin für Textiltechnik gelernt. Nach einigem Auf und Ab ging sie 1997 nach Stuttgart, lebte auch in Leipzig, Hamburg und München. Und dann rief die Heimat sie aus der Großstadt zurück: „Ich war und bin immer wieder überwältigt vom Erzgebirge. Ich hatte so Heimweh.“ Seit 2016 lebt sie ihren Traum in ihrer alten Heimat Thalheim und ist Chefin eines Feinkostladens „Aroma – Genuss erleben“.
Die Arbeitschancen, Jobangebote sind in den letzten Jahren wesentlich interessanter geworden, da sind sich alle einig. Doch oftmals sind noch andere Dinge ausschlaggebend: Bei dem einen ist es die Natur , die gelockt hat, beim anderen Freunde, Familie und manch familiäre Verpflichtung oder einfach der Wunsch, sich hier mit Herz und Verstand für die Region zu engagieren. Auch kann eine Krankheit ein Weg zurück in die alte Heimat sein. Anja Neuberg erzählt, wie sie nach dem Abitur zum Studium nach Chemnitz ging, später ihren Mann in München kennenlernte, beide in Nürnberg wohnten – und sie seelisch krank wurde. Neben einem Zuviel an manchen Alltagsdingen lag der Schlüssel zum Gesundwerden in der Rückkehr ins Erzgebirge. Ruhe und Beständigkeit fand sie mit ihrer Familie in Rittersgrün, ihrer Heimat,ihrem Ort der Kindheit und Jugend. Ihr Mann Frank kannte das Erzgebirge vor ihr gar nicht. Was ihn zusätzlich zum breiten Angebot zum Radeln und Skifahren in herrlichster Natur als Bauingenieur besonders beeindruckte: der bezahlbare Wohnraum. In Rittersgrün betreiben die beiden am Waldrand seit Kurzem ihre Maxhütte, eine gemütliche Pension. Von dort aus schreibt die Achtsamkeitstrainerin ihren Blog „Leben ist ansteckend“.
Zur Geschichte von Anja Neuberg
Anstecken von ihrer Sehnsucht nach Hause ließ sich auch Susann Schubert. Die 33-Jährige arbeitet im Marketingbereich im Elldus Resort im Kurort Oberwiesenthal. Nach Stationen in Leipzig, Dresden, Halle und Berlin lebt sie nun in Marienberg , mittig zwischen ihrem ursprünglichen Heimatort Rechenberg- Bienenmühle und dem Arbeitsort am Fichtelberg . 16 Jahre lang war sie weg, doch bei jedem Besuch im Erzgebirge bohrte eine Frage immer mehr: „Was würde mir das Erzgebirge bieten?“ Die junge Frau wollte raus aus der Stadt. Während eines Heimatbesuchs zu den Weihnachtsfeiertagen besuchte sie den Pendleraktionstag Erzgebirge, die regionale Jobmesse. Neue Möglichkeiten lagen wie Geschenke vor ihr auf dem Gabentisch.Susann griff zu, folgte ihrem Herzen und kam zurück. Ihr ist es wichtig, die Chance zu ergreifen, im Erzgebirge mit anzupacken: „Ich habe hier die Möglichkeit, in vielen Bereichen mitzugestalten, Dinge voranzutreiben.“ Die meisten in der Frühstücksrunde nicken zustimmend. So auch Elli Graupner. Neun Jahre lebte sie in Dresden und Berlin, kam 2015 zurück und arbeitet nun in der elterlichen Männlmacher-Manufaktur „Graupner Miniaturen“ in Crottendorf. Sie gründete eine kleine Familie, baute direkt neben den Eltern ein eigenes Haus und engagiert sich im Vorstand eines Vereins.
Zur Geschichte von Elisabeth Graupner
Ja, ihr Menschen hier seid schon manchmal
stur und eigen
– aber eben auch unglaublich herzlich.
Und doch ist es nicht immer die Heimatliebe, die einen zurückholt, sondern ganz pragmatisch familiäre Verantwortung. Der Johanngeorgenstädter Mario Bauch stieg als Konstrukteur ins Familienunternehmen ein, weil seine Unterstützung gebraucht wird. Nach der Lehre bei einem Auspuffhersteller in seiner Heimatstadt zog er als 20-Jähriger aus, um die Welt kennenzulernen. „Ich wollte raus, ich wollte etwas erleben, fand in Stuttgart und München meine zweite Heimat.“ Jetzt sieht der junge Mann seine Zukunft in Schwarzenberg im Erzgebirge. Zwar sei am Anfang das Zurückkommen schwer und voller Zweifel gewesen, denn: „Das soziale Umfeld, meine Freunde von früher, haben gefehlt. Doch mit der Zeit gibt sich das auch.“
Sich im Erzgebirge einbringen, etwas verändern wollen, das bringt auch Hürden auf dem Weg mit sich. So hat jede Veränderung im Leben immer zwei Seiten. Als „Heimkehrer“ oder gar Zugezogener – von den Einheimischen „Uhiesischer“ genannt – muss man selbst aktiv auf die Menschen hier zugehen. Diesen Tipp würden die Teilnehmer dieser Kaffeerunde am Walkbeach gerne anderen mitgeben. Die Offenheit für Neues fehle vielen Erzgebirgern anfangs. Manche der Rückkehrer hier am Tisch sprechen sogar von einer fehlenden Weltoffenheit, machen sich auch Sorgen um die politische Entwicklung. Doch hätte man das Herz der Erzgebirger erst einmal erobert, dann für immer. So kommt die Rede auch auf kritische Themen, wie die immer älter werdende Bevölkerung, teils geringere Gehälter in einigen Branchen und dass noch immer zu viele Erzgebirger jobbedingt pendeln. Und das, obwohl es in der Region wieder viele interessante Jobangebote gäbe. Diskutiert wird auch über die Vielfalt von Kulinarik-, Kultur- und Shopping-Angeboten. Klar, das Erzgebirge kann mit dem Maß an Angeboten einer Großstadt nicht mithalten. Aber: Im Alltag spielen diese Möglichkeiten der Städte eben oft eine untergeordnete Rolle oder sind Grund für Überforderung. Die Zeit, alles auszuleben, fehle einfach. Und dann fällt zögerlich der Satz: „Wir kamen doch auch hierher, weil wir unsere Ruhe suchten. Und nein, wir haben keine Berliner Kultur – wir haben aber unsere eigene Kultur und müssen uns nicht verstecken.“ Alle, die mit Kindern leben, loben stattdessen die Angebote für Familien im Erzgebirge. Und dann sagt Anja Neuberg, was sie am Landleben besonders genießt: „Beim benachbarten Bauernhof hole ich mir meine Milch und Butter ganz frisch.“
Solch ein Lebenseinschnitt, der Umzug zurück in die alte Heimat und erst recht in eine neue Region, will gut überlegt sein. „Mir ging es ja nicht schlecht in München. Und es kam auch die Frage auf:
Ist man zu Hause nach den vielen Jahren nicht auch ein Fremder?
Und dann packte ich doch binnen vier Wochen meine Koffer. Es war die richtige Entscheidung. Ich fühlte mich nicht mehr so zerrissen. Jetzt bin ich wieder viel näher an meiner Familie in Bautzen dran als von München aus“, sagt Claudia Paul. Bei den „Neu-Erzgebirgern“ Marcel Dallinger und Maria Saul-Dallinger ist es umgekehrt, denn zumindest ihre Eltern aus dem thüringischen Eichsfeld werden perspektivisch mit ins Erzgebirge ziehen. Sie erzählen ihre Geschichte, die einfach alle rührt. Beide stammen nicht aus dem Erzgebirge, lernten sich in Leipzig als Studenten kennen, lebten in Leipzig, Dresden und auch ein Jahr in England. Archäologe Marcel hatte viel für Projekte im und rund um das Erzgebirge „gegraben“. Das Erzgebirge hatte ihn gepackt. Dann verbrachten sie ihre vorverlegte Hochzeitsreise in Gelobtland, einem verträumten Ortsteil oberhalb von Marienberg, wollten hier im „Nirgendwo“ in einem Ferienhaus Ruhe finden. Was sie aber fanden, war ihre neue Heimat. In Steinbach nahmen sie sich dem ehemaligen Braugasthaus nebst kleiner Pension an, bauten das Gasthaus zum Wohnhaus um. Hier wollen sie ihre Familie gründen. „Hier ist es landschaftlich schön. Das Pressnitztal ist traumhaft. Unsere Kinder sollen auf dem Land aufwachsen.“ Ein Statement, wo Susann König einhakt, weil sie es gleich unterschreiben würde. Die 44-Jährige aus Stützengrün zog 1991 aus, um eine Lehre zur Uhrmacherin zu machen. 2016 und zwei Kinder später kam sie zurück, übernahm das Elternhaus und entdeckte ihre Liebe zur Natur völlig neu – auch, dass in ihr ein echter Gartenfreak schlummert.
Im wahrsten Sinne: „Geerdet“ wird man hier im Erzgebirge – und lernt schnell Land und Leute (wieder) kennen, wenn man kontaktfreudig ist. Und so schmunzeln Marcel und Maria, als sie über die Einheimischen reden, mit denen sie ja den ganzen Vormittag am Walkbeach in gemütlicher und ehrlicher Runde sitzen: „Ja, ihr Menschen hier seid schon manchmal stur und eigen – aber eben auch unglaublich herzlich.“ Die Stunden hier auf der Terrasse am Café Walkbeach sind verflogen. Für Claudia Paul beginnt ein ganz normaler Spätsommertag, die ersten Kunden warten schon. Zuvor werden aber noch Nummern getauscht und der Platz für ein nächstes Treffen ist auch schon ausgemacht. Sabine Brosch lädt ein in ihren Feinkostladen, weil sich alle noch so viel mehr zu erzählen haben … dann aber ohne die neugierigen Initiatoren des ersten Treffens.
Autoren: Manja Kraus- Blechschmidt/ Sabine Schulze-Schwarz
Foto: studio2media/ Erik Wagler