03.08.2021
Wie erzgebirgische Identität und Rückkehr grenzenlos zusammenpassen
Im letzten Sommer gab es den großen Test. Wie würde es den damals achtjährigen Kindern im Erzgebirge für einen längeren Zeitraum gefallen? Katja Rosenbaum verbrachte mit ihnen drei Wochen Urlaub in ihrem Elternhaus in Marienberg , für das nach dem Tod der Eltern eine Entscheidung hermusste: Sollte es als dauerhaftes Ferienhaus dienen oder als neuer Lebensmittelpunkt der Familie?
Die Zwillinge fühlten sich wohl, tobten im Garten, badeten im Rätzteich, wanderten in den Bergen, genossen den „Spielplatz“ Natur . Zu dem Zeitpunkt wohnte die Familie in Sachsen-Anhalt, in Lützen: „Dort war es flach wie ein Eierkuchen“, beschreibt Katja die Region kurz mit einem Lachen und sagt, dass sie die Berge und deren Aussichten vermisste. Außer beim Radfahren vielleicht, das sie hier dafür über Grenzen bringt.
An einer ihrer Lieblingsaussichten haben wir Katja getroffen: Am Alten Gericht in Großrückerswalde – drei Bänke, eine historische Infotafel und ganz viel Ausblick bis ins Böhmische. Manchen Abend sitzt sie hier und schaut. Es sind Momente, in denen die gebürtige Marienbergerin besonders spürt, wieder im Erzgebirge angekommen zu sein und dass die Entscheidung zur Rückkehr richtig war.
An die Grenzen gehen
Katja Rosenbaum setzte sich nach ihrem Studium zur Diplom-Verwaltungswirtin noch ein zweites Mal in den Hörsaal, studierte Geschichtswissenschaften und Interkulturelle Kommunikation. Von der Technischen Universität Chemnitz aus legte sie mehrere längere Auslandsaufenthalte ein und entdeckte dort die Liebe zu den skandinavischen Ländern. Schweden, Dänemark, Norwegen, es sind genau die Länder, denen man auch auf Basis wissenschaftlicher Studien nachsagt, die Einwohner seien besonders glücklich und zufrieden. „Ja, es ist tatsächlich so. Die Menschen zahlen erheblich mehr Steuern und Sozialabgaben, können dafür aber zum Beispiel kostenfrei studieren oder einen Kitaplatz in Anspruch nehmen. Vor allem aber sind die meisten Skandinavier sehr offen, kinderfreundlich und geben ihrem Gegenüber einen Vertrauensvorschuss statt gleich immer das Negative zu sehen. Dadurch leben sie eine andere Art der Leichtigkeit und als Neuer wird man dort spürbar willkommen geheißen“, erzählt sie. Und die Nordländer seien sehr unkompliziert, leben flache Hierarchien. Pragmatismus, Herzlichkeit, Offenheit sind auch Eigenschaften, die Katja nach 25 Jahren Leben an verschiedenen Orten Europas wieder an den Erzgebirgern schätzt.
Grenzen überschreiten
Als wir reden, schweift unser Blick automatisch immer wieder auf die Berge, Richtung Kamm, der zugleich Landesgrenze ist. Keilberg auf tschechischer und Fichtelberg auf deutscher Seite, wie Geschwister so nah beieinander. Bereits seit dem Studium beschäftigt Katja das Thema Ländernachbarschaft sehr. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin arbeitete sie in größeren grenzüberschreitenden Projekten mit, organisierte sie, beantragte Fördermittel.
Heute ist sie seit ihrer Rückkehr in die Heimat in der Großen Kreisstadt Marienberg angestellt, einer Erzgebirgskommune, deren Grenze ein gutes Stück entlang der Landesgrenze zu Tschechien verläuft. Auch deshalb ist in Marienberg eine zweisprachige Ausschilderung an vielen Stellen selbstverständlich. „Ich würde mir wünschen, dass ein viel stärkeres Augenmerk auf die Sprache unserer Nachbarn gelegt wird und bereits bei den Jüngsten mehr in den Fokus rückt. Sprache kann so viel. Sie ist nicht nur eine nette Geste, um den anderen zu verstehen. Sie ist Identität, so vieles an Emotionen und Persönlichkeit wird über sie transportiert.“
Grenzenlos glücklich
Identität ist ein gutes Stichwort. Katja Rosenbaum identifiziert sich als Erzgebirgerin, auch wenn sie viele Jahre nur zu Besuch bei den Eltern war. Erzgebirger sein aber ist für sie viel mehr und endet eben nicht an der Grenze auf dem Erzgebirgskamm: „Ich erinnere mich noch an die strengen Kontrollen, wenn wir als Kinder mit den Eltern einen Ausflug in die Tschechoslowakei machten. Wie sehr genieße ich heute die Freiheit, einfach über die Grenze zu radeln oder zu wandern“. Viel zu oft würden Grenzen als ein konfliktbeladenes Konstrukt gesehen, seien Ausdruck von Abgrenzung. Mit Blick auf die Historie und die vielen Chancen heute lohne es sich aber doch, genauer hinzuschauen. Denn Grenzen gäbe es schon viele Jahrhunderte, Migration, seit Menschen sich von A nach B bewegen und dort dann sesshaft werden. „Früher hatten sie eher verbindende als trennende Funktion. Erst durch die aufkommende Nationalbewegung im 19. Jahrhundert wurde dies in Frage gestellt“, so die Historikerin.
Man kann voneinander lernen
Die Ernennung der Montanregion Erzgebirge/Krušnohoří zum UNESCO-Welterbe sieht sie als eine gute Möglichkeit, das böhmische und sächsische Erzgebirge weiter zu einen und die positiven Dinge weiterzuführen, die durch viele grenzüberschreitende Aktivitäten geschaffen wurden. Grenze sei spannend, aber man müsste auch mal genauer hinschauen. In die Kochtöpfe der Nachbarn zum Beispiel oder auf deren Kultur oder eben die gemeinsame Geschichte. „Man kann voneinander lernen und es ist eine Chance, auch mal das eigene Weltbild zu reflektieren“, weiß Katja, die schon viele Ideen für Ausflüge mit ihrer Familie hat und sich zudem freut, die 500-Jahr-Feier von Marienberg mit organisieren zu dürfen. Denn mit der Städtepartnerschaft zur tschechischen Stadt Most ergeben sich für sie eine Reihe an Möglichkeiten zum Blick über die Grenze.
„Ja, das ist meine Heimat, hier gehöre ich hin“
„Ich habe das alles so vermisst: die Berge, die Landschaft , die Mentalität der Leute hier. Das Heimweh war immer groß. Wenn ich nun morgens meine acht Minuten vom Haus ins Büro laufe, denke ich oft: Ja, das ist meine Heimat, hier gehöre ich hin“, versucht sie in Worte zu fassen, was die Rückkehr ins Erzgebirge ihr bedeutet. Das Haus ist noch im Umbau, im Garten gibt es eigentlich täglich zu tun.
Sich im Erzgebirge etwas aufzubauen, füllt Katja Rosenbaum mit Energie:
Erst wenn man mal weg war, weiß man zu schätzen, was hier alles geht. Die Erzgebirger sind so unkompliziert, zupackend. Das macht einfach Spaß, etwas zu bewegen.
Der Wunsch zur Rückkehr war keine spontane Idee, sondern baute sich immer mehr auf. „Auch wenn ich tief in mir drin wusste, dass es irgendwann soweit ist. Als dann mein Vater starb, sagten meine Kinder aus dem Nichts: Ziehen wir da jetzt in Opas Haus? Das war so ein Impuls, damit fing es an in mir laut zu rattern“, lacht die sympathische Frau und schaut zufrieden in die üppig grüne Landschaft, die uns an diesem Sommertag förmlich zu Füßen liegt.