06.01.2021
Was Menschen dazu bringt, fernab der Heimat ein neues Leben zu beginnen
Gehöre ich hierher oder woanders hin? Wo ist für mich der richtige Ort, um glücklich zu sein? André Kaczmarczyk aus Haldensleben beantwortet sich die Frage während einer langen Wanderung selbst: „Ich möchte woanders mein Leben neu beginnen.“ Und es sollte an dem Ort sein, mit dem er viele schöne Kindheitserinnerungen aus Familienurlauben verband: das Erzgebirge .
Ein Bruch im Leben vor vier Jahren war es, der André Kaczmarczyk das Erzgebirge wieder näher brachte. Zeit zum Nachdenken, Natur genießen, viel frische Luft atmen waren Dinge, die der Sachsen-Anhalter so dringend nach einer Trennung brauchte. Voller positiver Erinnerungen an viele schöne Urlaubstage im Erzgebirge begann er, an freien Wochenenden ins Erzgebirge zu fahren, um zu sich zu kommen und Entspannung zu finden. „Egal wo ich in dieser Zeit im Erzgebirge gewesen bin, es war immer schön. Dennoch fiel meine Wahl für meinen neuen Lebensmittelpunkt nicht sofort auf das Erzgebirge“, verrät Kaczmarczyk. Denn eigentlich standen gleich drei Regionen in der engeren Wahl: das Erzgebirge, die Ostseeküste und der Schwarzwald. „Aber irgendwann sagte ich mir: So oft wie ich nun im Erzgebirge bin, kann ich doch auch gleich herziehen“, resümiert André Kaczmarczyk. Das war ungefähr Ostern dieses Jahres.
Egal wo ich in dieser Zeit im Erzgebirge gewesen bin, es war immer schön
Panoramablick zum guten Preis: ein unschlagbares Argument
Jetzt, ein reichliches halbes Jahr später sind die Pläne konkret. Die Gemeinde Crottendorf wird bald um einen Zuzügler nebst zwei afrikanischen Jagdhunden reicher sein. Das Grundstück ist gekauft, die Pläne zum Hausbau nehmen Gestalt an. Manchmal passt einfach alles zusammen und läuft dann von Null auf Hundert, erzählt der 45jährige, der in Haldensleben Inhaber eines Unternehmens ist. „Ich bin eigentlich durch Zufall nach Crottendorf gekommen. Seit längerem schon unterstütze ich die Aktion Kinderherzen Erzgebirge. Über eine Bekanntschaft dort bekam ich den Hinweis, mal in Crottendorf auf die Website mit den Bebauungsplänen zu schauen. Die Quadratmeterpreise waren super.“ Er schaute nicht nur dort, sondern stöberte quer virtuell durch den Ort. Dort las er auch: Crottendorf hat 30 Vereine. „Das glaubt mir bis heute von meinen Bekannten in Anhalt keiner“, betont der gelernte Forstwirt
Selbst aktiv zu werden, einen Ort mitgestalten zu können, Offenheit für Zuzügler herauszulesen – all das begeisterte ihn. An einem nächsten freien Wochenende mietete er sich im Crottendorfer Gasthof ein, schnappte sein Fahrrad und fuhr Richtung Baugebiet. „Da stand ich vor dem Fleckchen und schon sprach mich eine Bewohnerin an. Ich drehte mich zu ihr um und war gleichzeitig von dem Wahnsinns-Blick auf den Schießberg völlig gefangen. Was für ein Panorama! Heute weiß ich, dass er im Winter zum Skihang wird.“ Montags drauf fragte er in der Gemeindeverwaltung an und reservierte das Stück Land, auf dem im Kopfkino schon ein kleines Holzhaus entstand. Wenige Tage später machte er Nägel mit Köpfen. Das war Ende Mai.
Zusammenhalt und Macherqualitäten: der Menschenschlag gefällt
Seit 45 Jahren verwurzelt in Haldensleben baute sich André Kaczmarczyk dort ein gut gehendes Unternehmen mit drei Standbeinen auf: Baumpflege, Baumaschinenvermietung und Tiefbauarbeiten. „So ganz klar bin ich noch nicht, in welcher Form meine Firma weiter arbeiten wird. Fakt ist: Es wird weitergehen, es wird sich eine Möglichkeit finden“, sagt er und betont, dass es schon immer nur einen Weg für ihn gab: Etwas anpacken statt nur zu reden. Diese Anpackermentalität, die gerade den Erzgebirgern zugeschrieben wird, spürte er hier schon immer.
Klar, ich verdiene gutes Geld bei uns, kann aber nicht richtig leben.
Aber da ist noch mehr, das ihn an der Region begeistert: Es ist das Gefühl des Zusammenseins, des Zusammenhaltes der Menschen hier, das dazu führt, gemeinsam eine Region nach vorn zu bringen. Auch vor allem wirtschaftlich. Es sind genau die Dinge, die ihm zunehmend an seiner Heimat fehlen, wenn auch dies sein subjektives Empfinden ist. „Klar, ich verdiene gutes Geld bei uns, kann aber nicht richtig leben.“ Eltern und weitere Familie wären schon auch länger weggezogen.
Immer informiert – Jetzt Newsletter abonnieren.
Willkommenskultur punktet mit Herzlichkeit
In der Gemeinde Crottendorf stieß er auf viel Offenheit und Herzlichkeit. Für einen Neuen, den „Uhiesigen“ sei das ein sehr schönes Gefühl. Alle Dinge um Baugenehmigungen und Co wurden geklärt. Ein Partner für den Hausbau wurde auch gefunden. Sein Wunsch, ein massives Holzhaus zu beziehen, kann mit einem regionalen Profi verwirklicht werden.
Diesen Tipp erhielt er vom Welcome Center Erzgebirge . Die in der Wirtschaftsförderung Erzgebirge angedockte Servicestelle, will Menschen das Ankommen im Erzgebirge erleichtern und ist gut mit Institutionen, Behörden und Dienstleistern im Erzgebirge vernetzt, um bei vielen Fragen von Wohnungssuche über Kita-Betreuung bis zur Jobsuche kompetent vermitteln zu können. Schließlich wurde Ende September der Notartermin zum Grundstückskauf vereinbart.
Ende des Jahres 2021 soll das Haus fertig sein, die ersten Schwibbögen in seinen Fenstern leuchten. Dann möchte er auch in Vereinen mitwirken. Früher hätte er viel Fußball gespielt, das wäre was für ihn. Oder auch das Männerballett beim örtlichen Faschingsverein. „Da hab ich schon reichlich Erfahrung“, erzählt er augenzwinkernd.
Unterm Strich passt einfach alles, ich bin gerne hier.
Heimisch fühlt er sich schon heute allemal, wenn er mit seinen beiden Hunden durch die ursprünglichen Wälder streift und ihn im Ort die ersten Leute grüßen oder einen Plausch über den Gartenzaun halten. „Und jedes einzelne Gespräch hilft mir, hier weiter anzukommen, Neues zu lernen. Unterm Strich passt einfach alles, ich bin gerne hier. Hier im Erzgebirge spüre ich bei den Menschen noch Werte, die woanders mehr und mehr verloren gehen.“
Fotos: Dirk Rückschloss