Geh nicht in den Osten!

15.08.2023

Wie eine persische Architektin das Erzgebirge erlebt.

Wenn Mike Groß in einem Wort erklärt, was sein Unternehmen ausmacht, dann ist es „Ardoris“ – das lateinische Wort für Glut, Hitze oder eben im übertragenen Sinne für etwas zu brennen. Er ist gemeinsam mit Sascha Gnüchtel Geschäftsführer der Firma Ardoris Architekten + Ingenieure in Aue und weiß, dass das Brennen des Teams für Projekte eine wichtige Basis ist, um gemeinsam erfolgreich zu sein. Dass Architektin Samira Mardanidehkordi viel Temperament und Feuer für ihren Beruf in sich trägt, spürte er bereits beim ersten Kennenlernen. Das mag daran liegen, dass sie als Iranerin aus einer Kultur stammt, die viel Freude und positives Lebensgefühl in sich trägt. Nach knapp zwei Jahren ist sie nicht nur im Team angekommen. Vielmehr sagen die Kollegen, Samira sei der Sonnenschein der Firma. Eine Geschichte über die gelungene Integration in einem Unternehmen, das für alle Mitarbeiter mehr als nur Arbeitsstätte sein möchte.

„Hi, ich bin Samira“, stellt sich die junge Frau strahlend vor. Den Familiennamen lässt sie weg. Ganz bewusst, wie sie lachend sagt, den könnte sich hier sowieso keiner merken. Ihr Deutsch ist perfekt. Nur ein leichter Akzent ist zu hören, als ob sie schon ihr halbes Leben in Deutschland verbracht hätte. Tatsächlich kam sie aber erst nach dem Architektur-Studium im Iran hierher. Mit dem Bachelor-Titel in der Tasche schickten sie ihre Eltern nach Deutschland, um ihr ein besseres Leben zu ermöglichen. Ihre Eltern sind sehr modern, denken fortschrittlich. „Als Frau hat man im Iran noch immer nicht die Möglichkeit sich eigenständig zu entwickeln. Die Kultur ist sehr traditionell gerade was Frauen betrifft“, erklärt Samira. Zuerst stand Frankreich auf dem Plan, am Ende wurde es Deutschland – auf Empfehlung der Eltern, die in beiden Ländern mit einem Künstler-Stipendium des Vaters für ein paar Monate leben durften. „Deutschland ist die bessere Wahl. Dort sind die Menschen noch freundlicher“, hätten ihre Eltern ihr am Telefon gesagt. Samira begann Deutsch zu lernen. Ein Jahr reichte, um nicht nur das für das Visum notwenige Sprachlevel, sondern gleich das DSH-Level zu erreichen. Dieses ist zugleich notweniger Türöffner, um in Deutschland studieren zu dürfen. Die Zulassung bekam sie für Bauingenieurwesen, Ziel war der Master-Abschluss. Das war im Jahr 2014.


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Sprachverständnis ist das A und O für eine Integration

„Als Samira sich vor vier Jahren bei uns bewarb, sah ich von Anfang an keine Ausländerin in ihr. Vielmehr saß vor mir eine gut gelaunte Person, eine studierte Architektin, welche die Bereitschaft hat, im Leben etwas erreichen zu wollen“, erzählt Mike Groß. Sicher sei es leichter gewesen, sich für sie zu entscheiden, weil sie sämtliche bürokratischen Schritte und Anerkennungsverfahren bereits durchlaufen hatte. Dennoch war es immer eine Option für den Unternehmer, den längeren Weg einer Migration zu gehen, denn er suchte von vornherein international mittels einer Anzeige über die Architektenkammer.

„Gerade in unserem baulichen Bereich ist die Anerkennung ausländischer Abschlüsse sehr wichtig. Es ist ein zweischneidiges Schwert in unserer Branche, da sich Normen und Vorschriften von Statiken und Sicherheitsbestimmungen weltweit unterscheiden. Was in einem anderen Land baulich zulässig ist, kann bei uns verboten sein“, erklärt der Geschäftsführer. Am Ende stünde die bauliche Sicherheit der Planungen an oberster Stelle. „Wenn ich aber jemanden wirklich möchte, investiere ich gerne in die Weiterbildungen, die in unserer Branche für alle Mitarbeiter sowieso immer wieder an der Tagesordnung sind. Bei uns gibt es keinen Lern-Stillstand.“ Und Geschäftsführer-Kollege Sascha Gnüchtel ergänzt: „Das A und O für eine gelungene Integration ist letztlich die Sprache. In Städten kommt man in unserer Branche auch gut mit Englisch als Kommunikationsbasis weiter. Hier im Erzgebirge ist das eher weniger der Fall. Um arbeiten zu können und anerkannt zu sein, muss man deutsch sprechen.“

Nicht in den Osten! – Und dann gerade doch.

Für Samira begann 2014 eine kleine Reise durch Deutschland. Vom Studentenwohnheim in Essen aus bewarb sie sich an verschiedenen Unis und Hochschulen. Eine Bekannte, auch aus dem Iran, war ihr persönlicher Wegweiser bei allen Dingen, die man zum Leben in Deutschland braucht. Samira wurde schnell Teil eines iranischen Freundeskreises. Das war gut zum Ankommen, schlecht fürs dauerhafte Integrieren. „Die Freunde redeten immer nur persisch, dabei wollte ich meine deutsche Sprache festigen. Ich spürte, um mich hier richtig integrieren zu können, muss ich meinen Weg allein gehen. Geh nicht in den Osten – die Leute dort sind unfreundlich, gab man mir als Rat“, denkt sie zurück.

Das sind die kleinen Alpen

Und sie ging in den Osten. Nach Nordhausen, weil sie dort die Chance auf den dreijährigen Master-Studiengang hatte der sie schon lange reizte: Energetisch-ökologischer Stadtumbau. Das Thema Nachhaltigkeit interessierte sie schon lange. Es ist ein Thema, das im Iran damals noch gar nicht existierte. „Dabei müssen wir doch Pläne machen, wie man künftig leben kann. Wir müssen uns um den Planeten kümmern, auf dem wir leben“, unterstreicht Samira. Dort, in Nordhausen traf sie viele Menschen, die sagten: Ob Ost oder West: Es gibt überall gute und böse Menschen. Gute lernte sie viele kennen, im Studium, bei ihren vielen Praktika und in der Freizeit. Was fehlte, war die große Liebe, die sie schließlich über ein Onlineportal suchte und im Erzgebirge in Schneeberg fand. „Als ich das erste Mal hier war, sagte ich: Das sind die kleinen Alpen“, erzählt sie.

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Tatsächlich fanden die Ardoris-Inhaber und Samira bei ihrer ersten Bewerbung 2019 nicht gleich zusammen. Samira nahm zunächst ein anderes Angebot in Dresden an und zog mit ihrem Freund in die Stadt. Er, Erzgebirger durch und durch, wollte zurück. „Er hatte mich die Jahre vorher so sehr in vielen Dingen unterstützt. Da war es für mich selbstverständlich, seinem Wunsch zu folgen“, so Samira. So klopfte sie 2021 erneut bei Ardoris an und bekam den Job. Dass Ardoris mit 30 Mitarbeitern an zwei Standorten größer als klassische Architekturbüros ist, gefällt ihr aus zwei Gründen: „Erstens sind die Projekte sehr vielseitig, spannend und immer wieder herausfordernd. Zum anderen wollte ich gerne täglich von vielen Menschen umgeben sein.“

Einige Kollegen sind inzwischen Freunde geworden. Mit ihnen geht sie zum Sport oder auch mal einen Kaffee trinken. Sicher legt der generell gelebte Teamgedanke bei Ardoris dafür eine gute Basis – ob beim gelegentlichen Teamgrillen zum Freitagmittag, beim Firmenlauf oder größeren gemeinsamen Events. „Das Wir-Gefühl, eine Art Familienzusammenhalt, ist uns sehr wichtig. Es hat sich inzwischen sogar ein monatlicher Ardoris-Abend etabliert, wo sich Mitarbeiter regelmäßig treffen“, freut sich Geschäftsführer Mike Groß.


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Und ich rate anderen, die das Erzgebirge noch nicht kennen, nicht alles zu glauben, was man liest und hört. Vielmehr lohnt es sich, der Region eine Chance zu geben und sie selbst zu erleben.

Wenn man Samira fragt, was ihr wirklich abgesehen von der „echten“ Familie fehlt, dann ist es genau das: Dass die Cafés und Restaurant hier mit vielen Menschen gefüllt sind so wie das in ihrer Heimat typisch ist. Sie sind dort Treffpunkt für Freunde und Familien. Dennoch: das Erzgebirge, sagt sie und strahlt dabei, sei für sie eine zweite Heimat geworden: „Und ich rate anderen, die das Erzgebirge noch nicht kennen, nicht alles zu glauben, was man liest und hört. Vielmehr lohnt es sich, der Region eine Chance zu geben und sie selbst zu erleben. Und auch wenn ich oft auf mich allein gestellt bin und vielleicht manchmal zweifle: Im Iran wäre ich nicht die selbstbewusste Frau geworden, die ich heute bin.“