Versilberte Geschichte
Von Hendrik Lasch, Marienberg
Die Montanregion im sächsisch-böhmischen Erzgebirge will UNESCO-Welterbe werden. Die Regierung in Dresden war lange skeptisch. Doch weil 33 Bürgermeister und Landräte ihre Spargroschen zusammen- und allen Streit beilegten, scheint der Widerstand zu schwinden.
Damit die Schätze ans Tageslicht kommen, müssen sich zwei Pferde mühen. Sie trotten im Kreis und setzen eine Mechanik in Bewegung, die sich über ihnen im kegelförmigen Dach des Pferdegöpels dreht. Lange müssen sie nicht arbeiten. Der Förderkorb, den sie aus der alten Grube des Rudolphschachts in Lauta bei Marienberg emporziehen, kommt aus nur 20 Metern Tiefe. Die Last wird mit leuchtenden Augen und viel Jubel in Empfang genommen: eine Fuhre Zuckertüten für die Schulanfänger von Marienberg.
»Alles kommt vom Berge her«, lautet eine alte Redewendung im Erzgebirge. Sie wird an diesem Tag für die Schulkinder bildhaft, wenngleich etwas verkürzt in Szene gesetzt: Direkt aus dem Bergwerk fahren die Zutaten für ein süßes Leben herauf. Vor 490 Jahren, als Silberfunde unter anderem im Rudolphschacht Herzog Heinrich den Frommen zur Gründung der Bergstadt Marienberg veranlassten, waren ein paar mehr Arbeitsschritte notwendig: Die Erzbrocken, die unter Tage mühsam aus dem Gneis gehauen wurden, mussten zerkleinert, das Metall geschmolzen, verarbeitet und geprägt werden - eine Knochenarbeit, die Bergleute und Metallarbeiter die Gesundheit, wenn nicht das Leben kosten konnte. Am Ende aber stand das süße Leben. Das Silber war Grundlage für höfischen Prunk in Dresden, sorgte aber auch in den Bergstädten für unvergleichlichen Reichtum - etwa in Form reich ausgeschmückter Kirchen.
Diesen Bogen vom Schacht zum Schloss schlägt auch Helmuth Albrecht gern. Er ist Professor für Technikgeschichte an der Bergakademie Freiberg und profunder Kenner der Historie des Bergbaus im Erzgebirge. Dieser begann 1168 mit den ersten Silberfunden und formte danach den Landstrich von Freiberg bis Schneeberg , wo Fördertürme, Halden und Hütten entstanden, man zu Heiligabend die bergmännische Mettenschicht feierte und wo das »Steigerlied« quasi zur inoffiziellen Hymne erkoren wurde.
Der Bergbau , sagt Albrecht, prägte aber auch ganz Sachsen. Nicht nur wurden am Dresdner Hof prunkvolle Bergparaden inszeniert. Die gesamte barocke Prachtentfaltung in Residenzen wie Torgau, Meißen und Dresden wäre nicht möglich gewesen ohne das Silber. Damit diese Einnahmequelle der Landesherren nicht geschröpft wurde, seien zudem eine straffe Verwaltung aufgebaut und gezielt Wirtschaftsförderung betrieben worden. Dank des Silbers konnten in Sachsen Universitäten gegründet und viele Künstler unterstützt werden. Das sei einmalig, sagt Albrecht: »In keiner anderen Region hat der Bergbau Gesellschaft und Kultur so intensiv und über Jahrhunderte hinweg geprägt wie im Erzgebirge.«
Erste Früchte der Bewerbung
Lauthals brüsten würden sich die Erzgebirgler dieser Besonderheit nicht; die Bewohner der Region gelten als bodenständig und bescheiden. Ihrer bewusst sind sie sich allerdings sehr wohl. Schon seit Ende der 90er Jahre gibt es Bestrebungen, den Beitrag der Bergbauregion Erzgebirge zur Kulturgeschichte adeln und sie zum UNESCO-Weltkulturerbe küren zu lassen. 2003 wurde eine Machbarkeitsstudie erstellt, zwei Jahre danach ein Förderverein gegründet, erinnert sich Matthias Lißke , Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung Erzgebirge GmbH , die das Vorhaben inzwischen professionell vorantreibt und dabei einem straffen Zeitplan folgt. »Im Juni 2014 haben wir den Titel«, sagt Lißke: »Mit einer Absage durch die UNESCO rechne ich nicht mehr.«
Vor allem in den Kommunen ist man angesichts der erwarteten Folgen eines Welterbetitels elektrisiert. »Wir rechnen mit größerer Bekanntheit und mehr Touristen«, sagt Thomas Wittig, der Oberbürgermeister von Marienberg, das ab 1521 als »ideale Renaissancestadt« entworfen und angelegt wurde. Der sehr regelmäßige Stadtgrundriss, der »einem Mühlebrett gleicht«, wie Wittig formuliert, ist noch heute erhalten und dazu angetan, Besucher zu beeindrucken. Doch der Welterbetitel werde sich nicht nur in der Übernachtungsstatistik auswirken, sondern auch ideelle Folgen haben: »Das stärkt unser Gefühl dafür, wo wir herkommen«, sagt Wittig, der sich selbst ein »Kind des Gebirges« nennt. Schon jetzt sei spürbar, wie durch die Bewerbung neuer Zusammenhalt in dem durch Verwaltungsgrenzen fragmentierten Erzgebirge entstehe: »Das ist eine Klammer – trotz aller Zwistigkeiten unter dem ›zänkischen Bergvolk‹.«
Doch während viele Erzgebirgler Feuer und Flamme für die Titelbewerbung sind, stellte sich die Landesregierung in Dresden lange quer. Man könne »keine Käseglocke« über das Gebirge stülpen, ätzte mit Steffen Flath ausgerechnet der mächtige CDU-Fraktionschef, der selbst aus dem Erzgebirge stammt. Das habe niemand vor, entgegneten Befürworter der Bewerbung und legten haarklein dar, dass nicht die gesamte, von Ost nach West 120 Kilometer breite Region zum Welterbe werden sollte, sondern eine Auswahl repräsentativer Objekte: von alten Gruben über Erzhämmer und Hütten, ehemalige Halden und einzigartige Geotope wie die Basaltorgel von Scheibenberg bis zur Annaberger Bergkirche oder dem Marienberger Stadtkern.
In Dresden allerdings wollte man die Beschwichtigungen lange nicht hören. Einen der Gründe vermutet Helmuth Albrecht im »Waldschlösschen-Trauma«. Am Waldschlösschen in Dresden wird derzeit eine Brücke über die Elbe gebaut – mitten in dem Abschnitt des Elbtals, der 2004 von der UNESCO mit dem Welterbetitel ausgezeichnet wurde. Wegen der Brücke indes kam es zu einem schweren Streit zwischen der Weltorganisation, der Stadt und dem Freistaat, in dem sich die Staatsregierung durch große Sturköpfigkeit hervortat. Die Folge: 2009 wurde Dresden der Titel wieder aberkannt. Von weiteren Welterbe-Bewerbungen, schien es, hatte man in der Landeshauptstadt genug.
Eine Einladung an Tschechien
Zu den Früchten der langen Bergbautradition gehört freilich, dass die Erzgebirgler wissen, wie sie hartem Stein zu Leibe rücken. Sie trieben die Bewerbung schlicht ohne die Staatsregierung voran, suchten geeignete Denkmale aus, prüften gründlich, ob sie auch künftig in gebührender Distanz etwa zu Neubaustraßen liegen und auch nicht mit dem vielfach wieder auflebenden Bergbau in Konflikt geraten. Und sie riefen einen Welterbe-Konvent ins Leben, unter dessen Gründungsurkunde die Amtssiegel von 31 Bürgermeistern und zwei Landräten prangen. »Das ist ein echtes Graswurzelprojekt«, sagt Helmuth Albrecht. Selbst das nötige Kleingeld für die Bewerbung knapsen die Gemeinden ihren oft mageren Etats ab. 600 000 Euro kostet der Antrag. Damit sich die Kasse füllt, zahlt jede Kommune im Jahr 1000 Euro Grundbetrag sowie weitere 2000 Euro pro gemeldetem Objekt. »Dass sie dafür ihre Spargroschen zusammenkratzen«, sagt Lißke, »hat in Dresden offenbar Eindruck gemacht.«
Anders ist jedenfalls nicht zu erklären, dass in diesem Sommer auch die letzte Widerstandlinie in Dresden aufgegeben wurde und das sächsische Kabinett einer Einladung an Tschechien für eine koordinierte Welterbe-Bewerbung zustimmte. Die sächsische und die böhmische Seite des Erzgebirges seien immer eine gemeinsame Bergbauregion gewesen, betont Albrecht. »Politische Grenzen spielten kaum eine Rolle.« Deshalb sollen neben rund 40 Objekten auf sächsischer Seite auch 17 in Tschechien bei der UNESCO angemeldet werden. Nur so könne die Montanregion in ihrer gesamten Vielfalt dargestellt werden, erklärt der Wissenschaftler: »Die Bewerbung wäre sonst nicht vollständig.« Zudem gibt es für die grenzübergreifende Bewerbung ganz pragmatische Gründe, ergänzt Lißke: »Das erhöht die Chancen bei der UNESCO deutlich.«
Im Erzgebirge hofft man jetzt, dass die Staatsregierung den Worten auch Taten folgen lässt und Innenminister Matthias Ulbig (CDU) im Herbst in der Angelegenheit in Prag vorspricht. Nur wenn die dortige Regierung das böhmische Erzgebirge schleunigst auf die Warteliste für den Welterbetitel hebt, auf der das sächsische Erzgebirge bereits seit 1998 steht, kann die UNESCO im Juni 2014 das Prädikat vergeben. Das Erzgebirge als Welterbe – das würde für die ehemalige Bergbauregion fast so viel bedeuten wie ein neuer Silberfund.
Quelle: Neues Deutschland, 30.08.2011