Sehnsucht nach dem Landleben
Wer sich als Großstädter*in in diesen Wochen und Monaten in seinem Freundes- und Bekanntenkreis umhört, kann ein neues Phänomen erkennen: Viele Akademiker*innen haben ein großes Bedürfnis nach räumlicher Veränderung. Da denken manche laut darüber nach, ein Grundstück im Speckgürtel zu kaufen, andere zieht es wieder in die alte Heimat, und wieder andere haben bereits während der Pandemie den Schritt gewagt und sind umgezogen.
Diesen Eindruck bestätigen gleich eine ganze Reihe von Untersuchungen. Nach einer aktuellen Auswertung der Einwohnermeldedaten der 15 größten deutschen Städte durch das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) zeigt sich, dass die Corona-Pandemie das Wachstum der Großstädte gebremst hat. Danach sank die Bevölkerung in den Großstädten im ersten Corona-Jahr 2020 um durchschnittlich 0,18 Prozent. Auch eine Studie des Instituts Civey für die ZEIT-Stiftung belegt den Trend: Danach möchte ein Drittel der Deutschen, die in Großstädten leben, aufs Land oder wenigstens in eine kleine Stadt umziehen.
Weitere Studien beschreiben die Wohn-trends in der Pandemie. Die diesjährige Studie „Wohnen in Deutschland“ der Sparda-Banken stellt zum Beispiel fest, dass die Wohnqualität wichtiger wird als die Nähe zum Arbeitsplatz. Demnach wünscht sich jede*r vierte Mieter*in bis 50 Jahre in den nächsten Jahren oder zu einem späteren Zeitpunkt einen Immobilienkauf. Dieser Wunsch nach einem „Häuschen im Grünen“ geht nach Auskunft der Studie mit der Bereitschaft von 49 Prozent der Befragten einher, sich für den Erwerb stark oder sogar sehr stark einschränken zu wollen. 2019 waren dazu nur 40 Prozent bereit. Den Grund da-für offenbart ein weiteres Studienergebnis: Wohneigentümer*innen sind zu 62 Prozent mit ihrer Wohnsituation sehr zufrieden. Da-mit ist ihr Anteil mehr als dreimal so hoch wie bei Mieter*innen und ist gegenüber 2019 nochmals gestiegen, so die Studie, die in Kooperation mit dem Institut der deutschen Wirtschaft (IW), seiner Beratungstochter IW Consult und dem Institut für Demoskopie Allensbach erstellt wurde.
Die Nachteile der Metropolen
Nach den Gründen für diese Zahlen muss man nicht lange suchen, wenn man auf das vergangene Jahr zurückblickt: Denn der Sehnsuchtsort Metropole hat in der Pandemie seine Schattenseiten gezeigt. Lange boten Großstädte viele berufliche Chancen, sie galten als Orte der Forschung und Lehre. Sie überzeugten mit einer großen Menge an kulturellen Events und einer enormen Vielfalt an Freizeitmöglichkeiten. Doch durch die Pandemie hat sich all das verändert: Die Universitäten und Hochschulen bieten seit über einem Jahr nur Online-Lehrveranstaltungen an. Das Campusleben war die vergangenen Monate genauso wie das Nachtleben im Lockdown. Partys, Konzerte, Theater und Kinovorstellungen gab es nicht. Bars und Clubs waren dicht. Restaurants und Cafés boten lediglich Essen to go an... Alles, was vorher die Großstädte so lebenswert gemacht hatte, ist durch Corona auf der Strecke geblieben. Das, was an öffentlichem Leben geblieben ist, hat extrem wenig Erholungs- und Freizeitmöglichkeiten geboten.
Außerdem hat eine große Zahl der Arbeitnehmer*innen mit akademischem Hintergrund fast die ganze Zeit in den eigenen vier Wänden verbracht mit Homeoffice und Unterstützung beim Homeschooling. Als außerhäusliche Freizeitaktivitäten sind da oft nur die Parks, Grünflächen und Spielplätze sowie der Einkauf der alltäglichen Bedarfsgegenstände geblieben. Dass viele sich in dieser Zeit einen eigenen Garten, eine größere Wohnung oder gar ein eigenes Häuschen gewünscht haben, ist kaum verwunderlich nach monatelanger Enge und Begrenzung.
Mobiles Arbeiten als Normalität
Gleichzeitig haben viele Beschäftigte mit dem Homeoffice eine ganz neue Erfahrung gemacht: Auch diese neu eingeübte Normalität bleibt nicht ohne Folgen. So erwarten nach einer aktuellen internationalen Um-frage der Boston Consulting Group (BCG) 89 Prozent der Befragten, dass sie nach dem Ende der Krise zumindest zeitweise weiterhin von zu Hause aus arbeiten können. Bei Menschen, die in digitalen und wissensbasierten Bereichen arbeiten, ist diese Erwartung am höchsten: Dort liegt ihr Anteil bei mehr als 90 Prozent, so die Befragung, die unter fast 209.000 Menschen in 190 Ländern stattfand.
Diese Erwartung scheint sich schon jetzt zu bewahrheiten. Denn in aktuellen Aus-schreibungen findet sich vermehrt der Hin-weis: „Es besteht die Möglichkeit zu mobiler Arbeit“ oder Ähnliches. Nach Auffassung der Bitkom, des Bundesverbandes Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien, werden auch nach Ende der Corona-Pandemie sehr viel mehr Berufstätige im Homeoffice arbeiten als zuvor. So gehen die Bitkom-Berechnungen davon aus, dass 35 Prozent der Berufstätigen den Arbeitsort ganz oder teilweise flexibel wählen werden. Das entspricht 14,7 Millionen Berufstätigen.
Wieder in die Heimat
Auch Kristin Kocksch von der Wirtschaftsförderung Erzgebirge kann diese Entwicklung bestätigen: „Jetzt in der Pandemie gibt es so etwas wie eine Stadtflucht. Die Menschen wollen vermehrt auf dem Land leben oder zurück in ihre alte Heimat ziehen.“ In Ge-sprächen mit Rückkehrer*innen erfährt die Leiterin des Welcome Centers Erzgebirge auch die Gründe: „Viele haben in der Corona-Pandemie ihre aktuellen Lebensumstände reflektiert. Sie können in ihren Berufen einerseits flexibel und mobil arbeiten. Im Lockdown entstand nun andererseits der Wunsch nach einem eigenen Reich, nach einem Haus mit Garten und der Nähe zur Natur .“ Den Trend zum Wohnen und Arbeiten auf dem Land erkannte Kocksch zwar schon vor der Pandemie. Doch er hat sich deutlich verstärkt. „Corona ist ein Booster.“ Dass es bereits in der Vor-Corona-Zeit den Trend gab, aufs Land zurückzukehren, belegen auch die Analysen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) und des Thünen-Instituts für Ländliche Räume. Danach machten Rück-wanderungen einen bedeutenden Anteil der Binnenwanderung von Arbeitskräften aus, berichtet das IAB in einem aktuellen Beitrag zum Thema Regionale Arbeitsmärkte: Zwischen 2014 und 2017 war mehr als jeder vierte Um-zug in eine andere (Kreis-)Region eine Rückkehr in eine frühere Wohnortregion.
Die Analysen zeigen auch, dass Rückkehrerinnen und Rückkehrer im regionalen Vergleich einen hohen Anteil an der Zuwanderung ausmachen. 31 Prozent aller Zuwanderungen in die ländlichen Räume sind Rückwanderung en. Die drei ländlichen Regionen mit den höchsten Rückwanderungsanteilen liegen ausnahmslos in den ostdeutschen Bundes-ländern: Es sind dies die Kreisregion Eichsfeld mit einem Anteil von 45 Prozent, der Erzgebirgskreis (44 Prozent) und der Kreis Mans-feld-Südharz (43 Prozent). Allerdings kommt die Auswertung für die Jahre zwischen 2014 und 2017 zu dem Schluss, dass die Zahl der Zurückgekehrten nur in wenigen ländlichen Regionen auf dem Niveau der Wegzüge liegt.
Text: Anja Schreiber, WILA-Bericht vom 3.10.2021