11.11.2021
Ein beruflicher und privater Neuanfang will gut überlegt sein. Gerade bei einem Umzug in eine andere Gegend gibt es verschiedene Hürden zu überwinden. Doch Welcome Center von Städten, Regionen und Landkreisen helfen Rückkehrer*innen, Zugezogenen und Umzugswilligen. Deshalb wollen wir die Gelegnehit nutzen und das Welcome Center Erzgebirge einmal kurz porträtieren.
Egal ob Rügen, Essen, Erzgebirge oder Schwarzwald. In vielen Regionen Deutschlands gibt es sogenannte Welcome Center, auch wenn sie nicht immer so heißen und zum Teil unterschiedliche Zielgruppen haben, zum Beispiel nur ausländische Fachkräfte adressieren. Auch die Träger dieser Einrichtungen sind verschieden. „Diese Servicestellen werden zum Beispiel von Wirtschaftsförderungen, Kammern, Landkreisen oder auch Städten getragen“, berichtet Kristin Kocksch, Leiterin des Welcome Centers Erzgebirge, das zur Wirtschaftsförderung Erzgebirge gehört. „Doch so unterschiedlich die Träger auch sind, die Aufgaben von uns Welcome Centern sind vergleichbar: Wir sind Ansprechpartner für Rückkehrer*innen und Zugezogene.“
Auch das Welcome Center Erzgebirge ist so eine zentrale Anlauf- und Servicestelle. „Wir unterstützen Rückkehrer*innen und Zuwanderer*innen aus dem In- und Ausland beim Ankommen und Einleben im Erzgebirge – ganz egal, ob aus Deutschland, der EU oder Drittstaaten“, erklärt Kocksch. „Dabei arbeiten wir mit unterschiedlichen regionalen Partnern aus der öffentlichen Verwaltung und regionalen Verbänden zusammen.“ Zu diesen Partnern gehören zum Beispiel die Agentur für Arbeit Annaberg-Buchholz, die Industrie- und Handelskammer Chemnitz, die Regionalkammer Erzgebirge sowie die Städte und Gemeinden des Erzgebirgskreises. „Wir beraten zu formalen und rechtlichen Angelegenheiten, unterstützen aber auch bei der Suche nach einer passenden Wohnung und einer Kinderbetreuung. Wir liefern regionale Kompetenz und vor allem individuell zugeschnittene Informationen zum Start in der Region“, sagt Kocksch, und das kostenfrei.
Zentrale Ansprechpartner
Die Anfragen, die Kristin Kocksch bekommt, könnten unterschiedlicher nicht sein: Mal sucht jemand ein Baugrundstück, ein anderes Mal geht es um die Anerkennung eines ausländischen Studienabschlusses oder um die Suche nach einer passenden Schule. Das Besondere eines Welcome Centers ist, dass sich die Ortswechsler*innen mit all ihren Fragen an diese Servicestelle wenden können. Sie müssen also nicht Kontakt mit den verschiedenen Institutionen aufnehmen, sondern bekommen alles aus einer Hand und werden bei Bedarf an die richtigen Ansprechpartner*innen weitervermittelt. „Wir haben ein großes Netzwerk und stellen den direkten Kontakt zu den passenden regionalen Ansprechpartner*innen her.“
Welcome Center Erzgebirge
Adam-Ries-Straße 16
09456 Annaberg-Buchholz
Fon : +49 3733 145 109
Email : info@welcome-erzgebirge.de
Natürlich ist das Welcome Center auch bei der Jobsuche behilflich. Das geschieht nicht nur in persönlichen Beratungen und Kontaktvermittlungen, sondern auch über die Veranstaltung „Pendleraktionstag Erzgebirge“. „Dieses Event zur Fachkräftegewinnung hat sich in den vergangenen Jahren als regionaler Höhepunkt für Pendler*innen, Exil-Erzgebirger*innen und Fachkräfte etabliert“, berichtet Kocksch. Bewährt habe sich der Termin zwischen Weihnachten und dem Jahreswechsel. Denn Fachkräfte nützten diese Zeit oft für die Planung eines beruflichen Neuanfangs. Der Pendleraktionstag ist eine regionale Jobbörse, bei der sich Dutzende von Unternehmen aus dem Erzgebirge vorstellen und Interessierten Rede und Antwort stehen. Beim ersten digitalen Pendleraktionstag 2020 gab es außerdem in Vorträgen viele Tipps zur Rückkehr und Zuwanderung. Ganzjährig findet man zudem auf dem „Fachkräfteportal Erzgebirge“ offene Stellen. Aktuell sind es über 1.400 Ausschreibungen. „Die Jobchancen in unserer Region sind wirklich gut. Wir haben durch den demografischen Wandel und die wirtschaftliche Entwicklung des Erzgebirges einen steigenden Fachkräftebedarf“, wirbt Kocksch für ihre Region.
Das Thema Freizeit hat das Welcome Center ebenfalls im Blick: „Wir stehen mit Bildungseinrichtungen, Vereinen, Kirchen und Initiativen in der Region in Verbindung und können Kontakte vermitteln.“ Ganz nach den persönlichen Bedürfnissen. Andere Welcome Center bieten ähnliche Services und Events an, wie zum Beispiel regelmäßige Stammtische für Rückkehrer*innen und Zugezogene. Im Erzgebirge vernetzen sich diese Rückkehrer*innen etwa in einer eigenen Facebook-Gruppe, und das Welcome Center Erzgebirge organisiert zudem regelmäßige Treffen.
Zurück ins Erzgebirge
Wer sich für eine Rückkehr in die alte Heimat entscheidet, macht dies oft aus persönlichen Gründen – etwa weil die Großstadt zu anonym war und die Familie fehlte. Wenn die Jobchan-cen gegeben sind, können die Vorteile schnell überwiegen. Zwei Fachkräfte berichten:
Die 30-jährige Kristin Kocksch, Leiterin des Welcome Centers Erzgebirge, ist selbst eine Rückkehrerin. „Ich stamme gebürtig aus dem Erzgebirge.“ Zuerst studierte sie Gesundheitsmanagement und schloss das Studium mit dem Bachelor ab. Dann machte sie noch einen Master in Gesundheitswissenschaften. „Anschließend ging ich an die Harzkliniken und organisierte dort Weiterbildungsangebote.“ Danach wagte sie den Schritt vom ländlichen Raum in die Hauptstadt: „Ich bekam eine Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Robert-Koch-Institut und war mit dem Thema Impfprävention befasst.“ Nach fünf Jahren weit weg von der Heimat entschied sich die junge Frau zur Rückkehr: „Ich merkte, dass mir in Berlin meine Familie und mein Freundeskreis fehlten. Zwar hatte ich Spaß an der Arbeit, aber ich musste feststellen, dass mir die Großstadt nicht guttat.“ Außerdem vermisste sie die Natur . „Es gab kein Grün vor der Haustür, ich musste erst in die S-Bahn steigen, um dorthin zu kommen.“ Heimweh überkam sie gerade in der Advents- und Weihnachtszeit . „Im Erzgebirge ist es üblich, Schwibbögen ins Fenster zu stellen. Auch das fehlte mir.“
Gerade die Anonymität belastete sie. Deshalb suchte Kristin Kocksch gezielt nach Stellenangeboten im Erzgebirge. „Ich fand eine Stelle bei der Wirtschaftsförderung Erzgebirge im Bereich Berufsorientierung von Jugendlichen.“ Dann ergab sich für sie die Möglichkeit, als Leiterin ins Welcome Center zu wechseln. „Die Aufgabe macht mir großen Spaß, denn sie ist sehr abwechslungsreich, und ich kann mit kleinen Tipps helfen.“ Dabei empfindet sie es gar nicht als Nachteil, dass sie als Gesundheitswissenschaftlerin jetzt in einem ganz anderen Bereich tätig ist – ganz im Gegenteil: „Das für meine Arbeit notwendige Wissen und Netzwerk kann man nicht theoretisch erlernen, sondern nur Stück für Stück aufbauen. Dabei helfen mir die innerhalb des Studiums vermittelte analytische und strukturierte Arbeitsweise.“
Wir sind total zufrieden.
Die Wurzeln von Frederic Günther liegen ebenfalls im Erzgebirge. Auch er ist in seine alte Heimat zurückgekehrt. Seit fast zwei Jahren ist er Geschäftsführer des Verbandes Erzgebirgischer Kunsthandwerker und Spielzeughersteller. Günther stammt aus einem traditionsreichen Handwerksbetrieb, der erzgebirgische Spielwaren und Dekorationsartikel wie Schwibbögen und Räuchermänner herstellt. „Ich habe in einem dualen Studiengang Tourismuswirtschaft studiert und war dann zwei Jahre lang als Einkäufer bei einem Gastronomiezulieferer in München tätig“, berichtet Günther. „Zu der Zeit waren die Arbeitsmarktchancen im Erzgebirge nicht gut.“ Bald schon zog es Günther zurück nach Sachsen, zuerst nach Dresden und dann nach Seiffen. „Meine heutige Frau und ich haben damals eine Pro- und Kontraliste angelegt, was für die Großstadt sprach und was für das Erzgebirge.“ Die Argumente für die Heimat überwogen bei Weitem.
Heute ist Frederic Günther froh über die Entscheidung: „Wir haben hier ein eigenes Haus, nicht weit von meinen Eltern entfernt. So können meine Eltern auch mal unsere Kinder betreuen“, berichtet der Geschäftsführer, der nebenbei auch im elterlichen Betrieb mitarbeitet. Er ist sich sicher, dass seine Familie unter dem Strich inzwischen mehr Geld zur Verfügung hat als in der Großstadt. „Das Leben hier ist einfach günstiger.“ Sein Resümee fällt eindeutig positiv aus: „Wir sind total zufrieden. Für mein Hobby, das Schlagzeugspielen, habe ich einen extra Raum in unserem Nebengebäude, meine Kinder haben einen Garten zum Spielen, und Kitaplätze haben sie auch.“ Außerdem hat die Familie gleich den Wald vor der Tür.
Und Frederic Günther ist nicht der einzige Rückkehrer. „Wir haben in unserem Freundeskreis sogar einen Trend ausgelöst. Immer mehr unserer Freundinnen und Freunde gehen in die Heimat zurück oder haben das vor.“ Inzwischen seien die Berufsperspektiven gut. „Alle, die ich kenne, haben gute Jobs.“
Text: Anja Schreiber, WILA-Bericht vom 3.10.2021