Der Blick über den Tellerrand

In einer Welt, in der traditionelle Handwerksbetriebe und Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft selten aufeinandertreffen, gibt es Ausnahmen. Eine solche ist Christina Lötzsch, die zusammen mit ihrem Bruder Thomas Lötzsch das Familienunternehmen Lötzsch Naturstein GbR in Lößnitz leitet. Ein weiterer ist Norman Horatzscheck, der als Kunsthandwerker neue Wege beschreiten möchte. Sie nahmen an einem Workshop im Rahmen des Projektes „Cross Innovation – Handwerk trifft Kreativwirtschaft“ teil, der sie aus ihren gewohnten unternehmerischen Umfeldern herauslockte.

Mit der Frage „Wie können wir Fachpersonal im ländlichen Raum finden und vor allem bei uns halten?“ ging sie in den Prozess, der neue unerwartete Ideen, Perspektiven und Lösungen ergab. „Ich war sofort interessiert, weil ich mir nicht vorstellen konnte, was aus einer Zusammenarbeit zwischen Handwerk und Kreativwirtschaft entstehen könnte“, erklärt Christina Lötzsch, als sie von der Möglichkeit hörte, an einem cross-innovativen Workshop in Kooperation mit Kreativschaffenden aus der Region und Studierenden der Hochschule Schneeberg teilzunehmen. Für sie war es eine Chance, sich auf unbekanntes Terrain zu begeben und mit jungen Menschen zusammen-zuarbeiten. Erwartungen hatte sie keine, vielmehr ging es ihr darum, neue Perspektiven zu gewinnen. „Es war spannend zu sehen, wie die Kreativwirtschaft denkt und arbeitet, und ob ich daraus etwas für mein Unternehmen mitnehmen kann.“ Was sich anfangs wie eine „Überraschungskiste“ anfühlte, entwickelte sich zu einem fruchtbaren Austausch. Der Workshop war für sie eine wertvolle Erfahrung. Auch andere Handwerksunternehmen waren beteiligt. Schnell wurde klar, dass jeder vom anderen profitieren konnte. „Zuerst denkt man, das passt vielleicht gar nicht zusammen, aber dann findet man doch Schnittstellen“, erzählt Christine Lötzsch, für die es anfangs eine Herausforderung war, sich in den kreativen Prozess einzufinden. „Ich bin es gewohnt, schnell zu Ergebnissen zu kommen. Aber hier mussten wir uns Zeit nehmen, um alle Ideen zu sammeln und zu durchdenken.“ Während einer Brainstorming-Session brachte jeder Teilnehmer seine Ideen ein, die weder sofort bewertet noch verworfen wurden. Diese geduldige Herangehensweise war für die Unternehmerin eine wertvolle Lektion.

Ein zentraler Aspekt des Workshops war der Cross Innovation-Ansatz und die Ideenfindungsmethode „Design Thinking“. Diese Methode war für Christina Lötzsch Neuland: „Aber ich verstand schnell, dass es darum geht, Branchen zusammen-zubringen, die auf den ersten Blick nicht zusammengehören.“ Für ihr Unternehmen eröffnete dieser Ansatz neue Chancen. „Wir dürfen nicht in unserer eigenen Blase bleiben. Es ist wichtig, zu sehen, wie andere Branchen arbeiten, und sich davon inspirieren zu lassen.“ Ein Beispiel ist die zunehmende Digitalisierung, die auch in einem traditionellen Handwerksbetrieb wie ihrem Einzug hält. Auch wenn nicht alle Ideen sofort umgesetzt wurden, legte der Workshop den Grundstein für zukünftige Innovationen.

CO-KREATIVE PROZESSE IM HANDWERK

Im traditionellen Handwerk existieren oft eingespielte Abläufe und Routinen. Doch was passiert, wenn ein Kunsthandwerker in die Welt der Cross Innovation eintaucht? Norman Horatzscheck von Horatzscheck Kunsthandwerk , Annaberg-Buchholz , wird künftig den Betrieb seines Vaters weiterführen und neben seiner kreativen Arbeit auch eine Immobilie mit neuem Leben füllen. Wie Christina Lötzsch nahm auch er an einem Workshop im Rahmen der Beta-Konferenz „Cross Innovation Made in Saxony – Handwerk trifft Kreativwirtschaft“ teil.

Cross Innovation klingt zunächst abstrakt, besonders für jemanden, der tief in der Praxis des Handwerks verwurzelt ist. „So richtig wusste ich nicht, was es ist“, gibt Horatzscheck zu. Hinter dem Konzept verbirgt sich mehr als nur das Zusammenspiel verschiedener Disziplinen. Cross Innovation geht weit über das übliche Auftraggeber-Auftragnehmer-Verhältnis hinaus und zielt darauf ab, durch Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Branchen kreative und innovative Lösungen zu entwickeln. „Oft habe ich gar keine Zeit, um mich kreativ mit neu-en Herausforderungen auseinanderzusetzen. Als Handwerksmeister stehe ich nicht nur in der Werkstatt, sondern kümmere mich auch um den Verkauf, Social Media und die Buchhaltung“, sagt er. Er nutzte die Chance des Workshops – auch wenn der Terminkalender voll war. „Ein paar Ideen hatte ich schon. Aber ich wollte, dass nochmal jemand anderes darauf schaut. Es ist immer gut, zusätzlichen Input zu bekommen."

NICHTS ERWARTET, VIEL BEKOMMEN

Im Workshop, an dem er teilnahm, trafen sich Studierende der Fachhochschule Schneeberg und Kreativschaffende aus Sachsen sowie Vertreterinnen der Wirtschaftsförderung Erzgebirge GmbH und der IHK. Drei Teams wurden durch einen Ideenfindungsprozess zu verschiedenen unternehmensinternen Fragestellungen geleitet. „Ich wollte für ein Haus in der Annaberger Altstadt, das ich gekauft hatte, ein neues Nutzungskonzept erarbeiten. Dass mein Ladengeschäft einziehen sollte, war schon klar, aber die anderen Etagen standen noch leer. Ich war total überrascht, wie viele Ideen da kamen“, berichtet der Kunsthandwerker. Diese unerwarteten Ideen, die von Menschen aus anderen Bereichen kamen, machen für ihn den Mehrwert von Cross Innovation aus.

„Klassische Handwerksunternehmen haben meist keine großen Möglichkeiten, sich für kreative Prozesse Zeit zu nehmen“, sagt er. Der Versuch, sich aus dem alltäglichen Arbeitsumfeld zu lösen, ist für ihn zwar nicht neu, aber in der Praxis eine Herausforderung: „Neue Produkte zu entwickeln, ist wesentlich schwerer geworden“, erklärt er. Das liege nicht nur an den vollen Auftrags-büchern, sondern auch daran, dass viele Handwerker in kleinen Unternehmen alles selbst in die Hand nehmen müssen. Trotz anfänglicher Zurückhaltung empfand er die Teilnahme am Workshop als sehr bereichernd. „Im schlimmsten Fall hast du einen Tag geopfert. Aber selbst, wenn es Kritik ist, gehst du mit neuen Erkenntnissen nach Hause“, sagt er. Der Wert liegt in der Einbindung von kreativen Köpfen aus anderen Bereichen und in den Workshops, die neue Perspektiven eröffnen. Das ist es, was Cross Innovation im Kern ausmacht: Die Bereitschaft, sich auf Neues einzulassen und den Mut, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen, um innovative Lösungen zu entwickeln.

CROSS INNOVATION MADE IN SAXONY

Unter dem Namen „Cross Innovation Made in Saxony“ erprobte der Branchenverband der Kultur- und Kreativwirtschaft Erzgebirge e. V. 2023 in Kooperation mit vier weiteren sächsischen Kreativwirtschaftsverbänden verschiedene Formate und Methoden in Veranstaltungen oder Workshops, wie die über 80.000 Kreativschaffenden in Sachsen zu Innovationstreibenden anderer Branchen werden können. Bis Ende Mai 2023 fokussierte sich das Projekt auf die Vermittlung von Know-how, schuf Räume für Begegnungen zwischen verschiedensten Branchen und ermöglichte den Wissenstransfer zwischen Städten, Regionen und Branchen.

Das neue Projekt im Rahmen der Cross Innovation Made in Saxony-Initiative bietet kleinen Unternehmen, Organisationen und Institutionen die Möglichkeit, in zehn Monaten gemeinsam mit Kreativexperten an digitalen Lösungen zu arbeiten. Ziel ist es, Prozesse, Abläufe und Arbeitsweisen durch Digitalisierung zu optimieren und regionale Cross Innovations-Netzwerke zu etablieren. Bei einem ersten Auftakttreffen Ende Oktober 2024 werden die Teams zusammengestellt und die spezifische Fragestellung unter dem Thema „Digitalisierung mitgestalten“ erarbeitet.