28.05.2024
Landschaft und Gemeinschaft: Vereine engagieren sich für den Welterbebestandteil „Hoher Forst“
Seit 5 Jahren hat die deutsch-tschechische Montanregion Erzgebirge /Krušnohoří den Status eines UNESCO-Welterbes. In den Monaten seither hat sich viel bewegt. Die Menschen, die in dieser Region leben, beginnen, sich den Welterbetitel kreativ anzueignen, in der Region aktiv Neues auf die Beine zu stellen. Ein Beispiel dafür ist die Bergbaulandschaft „Hoher Forst“, eines der 22 Bestandteile des Montanregion-Welterbes.
Im Gebiet Hartmannsdorf, Langweißenbach und Kirchberg befindet sich im Hartmannsdorfer Forst eine der ältesten und am besten erhaltenen mittelalterlichen Bergbaulandschaften des Erzgebirges - der Hohe Forst. Ab 1306 begann in diesem Gebiet der Abbau von Silber, später von Kupfererzen. Hier entwickelte sich eine frühe Bergstadt, von der archäologische Reste zeugen. Bis ins 20. Jahrhundert lassen sich die Bergbautätigkeiten nachweisen. Der Hohe Forst liegt heute wie ein mehrere Jahrhunderte umfassendes Geschichtsbuch zu Füßen des Wanderers. Durch Ausschilderung der Wege, durch Schautafeln und durch fachkundige Wanderführungen ist das Areal begehbar und begreifbar. Hier wird, dank aktiver Vereine, die Geschichte anschaulich gemacht.
Als die Welterbebewerbung in die heiße Phase ging, war für den Hartmannsdorfer Bio-Landwirt Christfried Nicolaus schnell klar: „Wir müssen die Leute vor Ort mitnehmen.“ So fanden sich Engagierte aus dem Ort zusammen, um gemeinsam Aktivitäten rund um das Welterbe zu initiieren. Der Erzgebirgische Kulturverein „Glück auf! Hartmannsdorf“ e.V. gründete sich im Oktober 2018: „Wir haben von Anfang an fest an die Welterbe-Bewerbung und die Titelverleihung geglaubt“, erinnert sich Nicolaus, heute Vereinsvorsitzender und Bürgermeister der Gemeinde Hartmannsdorf. Die Zielstellung des Vereins ist es, vielfältige Bezugspunkte der Region zum Welterbe herzustellen.
Was das Welterbe für die Menschen hier bedeutet, wird über die Aktivitäten der engagierten Menschen im Ort thematisiert. Es existieren viele Anknüpfungspunkte und persönliche Beziehungen zu anderen Vereinen, zum Beispiel zu den Bergbrüdern Kirchberg im Kirchberger Natur - und Heimatfreunde des Naturschutzbund Kirchberg e.V. (NABU) unter dem stellvertretenden Vorsitz von Wolfgang Prehl. In diesem Verein engagierten sich Einheimische schon in den 1980er Jahren für das Bergbauerbe. Das Besondere hier ist die Verbindung von Naturschutz, Landschaftspflege und Bewahrung der Bergbautradition.
Welterbe und Naturerbe als Anziehungspunkte
Regelmäßig trifft Christfried Nicolaus zum Beispiel mit Stefan Schürer zusammen. Im Beruf Zerspanungsmechaniker, ist er seit 2008 in seiner Freizeit bei den Kirchberger Bergbrüdern aktiv. Beider Treffpunkt ist zumeist das Huthaus beim Engländerstolln. In dem schönen Blockhaus befindet sich sowohl das Vereinsdomizil der Kirchberger Bergbrüder als auch die Naturschutzstation des NABU. Zu sehen ist hier auch eine kleine Ausstellung mit Fundstücken des alten Bergbaus, der Geologie und Exponaten zum Naturschutz. Stefan Schürer sagt:
Den Naturschutz, die Geschichte des Bergbaus und den Gedanken des Welterbes können wir hier auf dem Gelände des Engländerstollns in einmaliger Weise verbinden.
Zeitzeugnisse bewahren, Geschichte erforschen, Wissen vermitteln – so lautet der Auftrag des UNESCO- Welterbes.
Der Engländerstolln wird vom Verein betrieben. Sein Name wurde vom Volksmund geprägt und geht zurück auf den 2. Weltkrieg, als hier englische Kriegsgefangene 1943-45 Zwangsarbeit leisten mussten. Zu DDR-Zeiten war hier militärisches Sperrgebiet, heute ist er Schaubergwerk und Winterquartier für Fledermäuse. Regelmäßig kommen Besucher, um an fachkundigen Führungen zu Bergbau , Geschichte und Natur teilzunehmen. Das Mundloch, der Stollneingang, stammt aus der Zeit des modernen Bergbaus. Begeht man den Stolln im Inneren weiter in die Tiefe, so stößt man immer wieder auf Bergbau aus Mittelalter und Früher Neuzeit, den Martin-Römer-Stolln (ab 15. Jh.). Dieser zieht sich durch den ganzen Hohen Forst.
„Das Schöne dabei ist“, so betont Stefan Schürer, „dass hier im Forst nichts verbaut ist, jeder Gast hat freien Zugang.“ Nicolaus und Schürer bestätigen beide, dass seit dem Welterbertitel die Aufmerksamkeit für das Areal viel größer geworden sei. Der Hohe Forst rückt wieder verstärkt ins Bewusstsein der Einheimischen und inzwischen auch der touristischen Gäste. Eine Besonderheit ist, dass ein Großteil des Hartmannsdorfer Forsts, zu dem der Hohe Forst gehört, auch offizielles Naturerbe der Deutschen Bundesstiftung Umwelt ist. „Das ist der große Unterschied zu anderen Bestandteilen“, erläutert Christfried Nicolaus, „wir sind nicht rein museal auf ein Denkmalbauwerk fokussiert, sondern ein Flächendenkmal in reizvoller Natur.“
Als NABU-Mitglied ist Stefan Schürer auch in Naturschutz und Landschaftspflege aktiv. Der Waldumbau im Hohen Forst ist im Gange. Wenn die Forstwirtschaft Gebietsweise die Fichten entnommen hat, wird mit klimaresistenteren Buchen, Eichen und Weißtannen aufgeforstet. Über Generationen wird aus dem einstigen Wirtschaftswald und der Kulturlandschaft wieder mehr eine Naturlandschaft werden. Das gelinge hier seit Jahren, so Schürer, weil viele Verantwortliche - wie Sachsenforst, Deutsche Bundesstiftung Umwelt, NABU, Sächsisches Oberbergamt, Gemeinden und Städte – sehr gut kooperieren.
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Verankerung des Welterbes in der Region
Was im Wald funktioniert, klappt auch beim Welterbe. „Das Welterbe soll die Menschen im Erzgebirge zusammenbringen. Dies war auch ein Ansinnen der Bewerbung “, so versteht Nicolaus den Welterbe-Gedanken ganz praktisch. Begeisterung entwickeln, Identität stiften, all das brauche es für die Zukunft der Region. Der Verein sieht sich als Forum, das Menschen zusammenbringt, Aktivitäten koordiniert und Kooperation zu anderen Vereinen sucht. Die Pflege der Traditionen ist dabei ein wichtiger Anknüpfungspunkt. „Wir arbeiten im Verein sukzessive Geschichte und Geschichten auf und publizieren das“, so Nicolaus.
Offenheit, Austausch, Vernetzung – so könne Hartmannsdorf die eigene Rolle als Gemeinde und Gemeinschaft in Region besser definieren und verständlich machen. Der Kulturverein initiierte bereits einige Veranstaltungen, etwa die Themenabende zur Geschichte, das Adventsliedersingen in der Alten Oberförsterei (früher Torf- und Holzlieferung), die Weihe der Osterkrone am alten Brunnen (Wasserleitung für Hammerwerk, die immer noch funktioniert). Mehrere 100 Leute wurden so bereits von den 15 Vereinsmitgliedern mobilisiert und mit dem Welterbe in Kontakt gebracht. Im Kirchberger Verein, der seit vier Jahrzehnten besteht, sind über 200 Mitglieder aktiv.
Je mehr Mitstreiter wir haben, je mehr Menschen über das Welterbe reden, umso mehr tragen wir unsere Region in die Welt hinaus.
Christfried Nicolaus
Hartmannsdorf liegt im Tal, ca. 200 Höhenmeter unterhalb des Hohen Forstes. Früher gab es im Ort viele Hütten, Hammerwerke und ein reiches Handwerk in der Holz- und Metallwirtschaft. Schneidmühlen, Brettermühlen, Eisenbergbau, Nagel- und Eisenbeschlagfertigung – der Ort fungierte auch als „Zulieferer“ des Schneeberger Bergbaus. In der Nähe befindet sich außerdem der Filzteich , Objekt im Welterbebestandteil „Montanlandschaft Schneeberg“. Einst Brauchwasseranlage aus dem 15. Jahrhundert für den Schneeberger Bergbau, ist er heute ein beliebtes Schwimmbad und die zweitälteste Talsperre in Deutschland.
Über Jahrhunderte profitierten alle in Hartmannsdorf vom Bergbau. Natürlich durchlief der Ort auch alle Wandlungen über die Jahrhunderte mit. Geblieben sind die Handwerks- und Industrietradition, die lebendige Dorfgemeinschaft und die Pflege der Landschaft . Hartmannsdorf ist attraktiv und lebendig, wie die vermehrten Zuzüge der letzten Jahre zeigen.
Das Erzgebirge in Summe verdankt seine Großartigkeit vielen kleinen Teilen, die über Jahrhunderte zusammenspielten,
resümiert Christfried Nicolaus. Diese Vielfalt gelte es für die Einheimischen neu zu entdecken, auch die Menschen von auswärts könne man damit überraschen.
Alte Wege, neue Wege: Landschaft verbindet Menschen
Ein Projekt beider Vereine war es, das Wandergebiet Hartmannsdorfer Forst neu zu erschließen. Es verbindet die Objekte Hoher Forst und Filzteich und führt damit bis zur Bergstadt Schneeberg . Die Wegeinfrastruktur erschließt die Welterberegion neu: Landschaft verbindet Orte, Landschaft verbindet Menschen. „Wir möchten die Leute an die Hand nehmen, sich mit der Geschichte ihrer Region auseinanderzusetzen“, fasst Nicolaus das Ziel noch einmal präziser. Das könne unter anderem über geführte Wanderungen mit Ortskundigen geschehen. „Inzwischen sind alle Wegweiser neu errichtet worden und neue Schautafeln zur Natur und Geschichte hinzugekommen“, ergänzt Stefan Schürer, der als Wanderführer tätig ist.
Die Farbe an den Wegeschildern des Natur- und Bergbaulehrpfad leuchtet noch in frischen Tönen. Alles ist nagelneu. Nach der Verleihung des Welterbetitels war beiden Vereinen sofort klar, dass die Beschilderung der Wanderwege erneuert werden muss. Hartmannsdorfer und Kirchberger setzen sich zusammen und planten die Routen neu, und zwar so, dass Lehrpfad und andere Wanderwege aus allen Richtungen nun geschickt zusammenlaufen. Spannende Entdeckungswanderungen kann man jetzt hier erleben.
Allein der Bergbau- und Naturlehrpfad ist 6,3 Kilometer lang. Auch wenn die Strecke für routinierte Wanderer kurz erscheint, sollte man sich Zeit nehmen, um in Ruhe die Natur wahrzunehmen, Geschichte zu entdecken und die interessanten Schautafeln zu lesen. Stefan Schürer empfiehlt eine Tageswanderung mit sechs Stunden Gehzeit, wobei genug Zeit für Rast und das Genießen der Aussichten in die Landschaft bleibe. Im Rahmen der Erzgebirgischen Wanderwochen im Mai werden seine Touren ebenfalls als „Welterbewanderungen“ vom Tourismusverband Erzgebirge e.V. angeboten.
An der Schautafel Nr. 2 erreicht der Wanderer die „Schöne Aussicht“. Hier gibt der Wald den Blick frei auf Langenweißbach und die Silberstraße, die weiter zur Bergstadt Schneeberg führt. Weiter auf dem Weg, mitten im Wald, trifft der Wanderer auf trichterförmige Senken. Darunter verlaufe, so erklärt Stefan Schürer, der mittelalterliche Martin-Römer-Stolln. Die Senken waren einst die Lichtlöcher für die Bergleute, um die Luftzufuhr und Zustieg zu gewährleisten. Martin Römer (15. Jh.), einst der reichste Kaufmann und Bergbauinvestor der Region, wird gemeinhin auch als der „Fugger von Sachsen“ – frei nach der berühmten Augsburger Kaufmannsfamilie – bezeichnet.
Hier eröffnet sich ein unverbauter Blick auf Zeugnisse des Mittelalters. Plötzlich steht der Wanderer auf einem Hügel, der einst eine mittelalterliche Turmhügelburg war, mit Wall und Graben. Angrenzend liegt die alte Siedlung „Fürstenberg“, die von Bergleuten bewohnt wurde. 1989 wurde sie archäologisch erforscht. Christfried Nicolaus erzählt aus Kindheitstagen von Wanderungen mit seinem Großvater. Damals sei noch nichts ausgeschildert gewesen, Wege habe man sich selbst suchen müssen. Spannend fand er die lokalen Mythen und Legenden, die noch heute erzählt werden.
Inzwischen ist alles leicht zu finden, wie man am Wegabzweig zu den „Hechtlöchern“ feststellen kann. Hier am Kreuzungspunkt treffen der Hartmannsdorfer Rundweg „Welterbe erleben“ und der Kirchberger Natur- und Bergbaulehrpfad aufeinander. Weitere Verbindungen nach Langenweißbach und zum Naturweg Filzteich in Richtung Schneeberg schließen sich an. Christfried Nicolaus spricht immer wieder von einem Dreiklang, der sich hier an diesem Ort anstimmen lasse: „Natur – Kultur – Erbe.“ Irgendwie, so könnte man denken, sind doch alle Erzgebirger musikalisch, vereinen die natürliche, kulturelle und traditionelle Vielfalt zu einer wohlklingenden Harmonie:
Wir haben eben diese unglaublich schöne Natur und diese reiche Kultur über viele Jahrhunderte,
so Nicolaus weiter.
Das Erzgebirge durch die Brille des Welterbe-Titels neu sehen
Dieses Bewusstsein war nicht immer so vorhanden. Viele der älteren Erzgebirger erlebten das letzte halbe Jahrhundert als Niedergangsgeschichte des Bergbaus und damit vorwiegend als Vergangenheitsbewältigung. Mit dem Welterbetitel, so eine These von Christfried Nicolaus, entwickeln die Erzgebirger ein neues Verhältnis zu ihrer Region, vor allem die junge Generation: „Das Welterbe schafft ein neues Selbstbewusstsein. Wir schauen positiv nach vorn. So können wir uns hier in der Region weiterentwickeln. Es ist eine riesige Chance. Dabei geht es aber nicht nur um Tourismus und Vermarktung, sondern auch um unser positives Eigenverständnis.“ Er plädiert für einen positiven, modernen Patriotismus, der zugleich verbindet und eine Einladung nach außen ausspricht, das Erzgebirge neu kennenzulernen.
Wir müssen unsere Geschichte fortschreiben,
formuliert Nicolaus als Ziel und betont damit auch die generationenverbindenden Aspekte des Welterbes. Deshalb mobilisieren beide Vereine auch Jung und Alt. So wie die Hartmannsdorfer und Kirchberger mit dem Welterbe umgehen, begreift man, dass die Welterbebestandteile der Montanregion Erzgebirge nicht abgegrenzt sind, sondern durch viele Aspekte miteinander verbunden sind, zum Beispiel durch historische Wege, neue Wanderwege, durch kulturelle Traditionen und persönliche Bindungen.
Welterbe verbindet
„Welterbe verbindet – das ist für mich eine Maxime, nach der man täglich handeln kann“, erklärt Nicolaus den Nutzen der kulturellen, geografischen und historischen Bezüge und Zusammenhänge. Der Hohe Forst und seine Wege sowie die Aktivitäten der Vereine ringsum schaffen ein landschaftliches und kulturelles Bindeglied zwischen den Welterbeobjekten Hoher Forst, Filzteich und Bergstadt Schneeberg sowie den angrenzenden Kommunen Hartmannsdorf, Kirchberg und Langenweißbach. Das Besondere ist, wie die vielen Akteure zusammenspielen, sich gemeinsam um das Welt- und Naturerbe kümmern. Das Huthaus zum Beispiel haben auch die Gemeinden Hartmannsdorf und Kirchberg finanziell unterstützt, obwohl es auf dem Gemeindegebiet von Langenweißbach liegt. Nicolaus ist überzeugt: „Alle profitieren davon über die Gemeindegrenzen hinweg.“
Die einzelnen Ortsgeschichten, die Wirtschaft und die Kultur der Bewohner sind über Jahrhunderte mit dem Bergbaugeschehen im Hohen Forst verbunden. Das verdeutliche sehr gut, so Christfried Nicolaus, wie außergewöhnlich der Welterbestatus in der Montanregion sei:
Es sind eben nicht nur die Sachzeugnisse, sondern auch das immaterielle Erbe, die lebendigen Traditionen, die reiche Kultur, das enorme Wissen inbegriffen.
An den vielen Initiativen und Mitstreitern sehe man, dass das Welterbe nicht nur lebe, sondern erst richtig aufzublühen beginne. Stefan Schürer ergänzt: „Unser Welterbe bildet, tut wohl und entschleunigt, weil es in der Natur erlebbar ist.“
Text: Carsten Schulz-Nötzold
Fotos: Georg-Ulrich Dostmann