13.04.2023
Warum zwei Berliner Seelen im Erzgebirge ein (gastronomisches) Zuhause schaffen
Die meisten Dorfgaststätten könnten wohl ganze Bände mit Geschichten über ihre Gäste füllen. Dort werden Vereinsfeste gleichermaßen gefeiert wie Geburtstage, Konfirmationen und Hochzeiten. An den Stammtischen kennt jeder jeden und weiß das Neueste zu berichten. Es sind wahre Institutionen – viel zu oft vom Aussterben bedroht, wenn Inhaber schließlich in den Ruhestand gehen. Die traditionsreiche Hammerschänke in Wildenthal, einem kleinen Dorf zwischen Johanngeorgenstadt und Eibenstock, stand vor dem Alters-Aus. Jetzt kehrt Stück für Stück wieder Leben in das Haus mit seinen zwölf Gästezimmern ein. Und die beiden neuen Betreiber wachsen allmählich in den Alltag von Wirtsleuten ebenso hinein wie in das erzgebirgische Dorfgefüge. Denn Manuela Heine und Dirk Rode haben ihr Leben in der Metropole Berlin gegen das Erzgebirge getauscht. Was bewegt jemanden, einen Schritt ins Ungewisse zu tun und sich eine neue Heimat zu suchen? Wir haben die beiden getroffen.
Immer, wenn ich hier bin, habe ich das Gefühl, es fällt alles von mir ab.
Was Dirk meint ist die Hektik, dieses permanente Gefühl in der Brust, unter Druck zu stehen, im Strom der Metropole mitfließen zu müssen oder sich dagegen stemmen zu wollen. Noch pendelt der Inhaber eines Ingenieurbüros zwischen Berlin und dem Erzgebirge hin und her. Dies zu ändern, ist ein Ziel, was auf dem Plan für die kommenden Jahre steht. Seine Lebensgefährtin Manuela nennt das Erzgebirge inzwischen ihr neues Zuhause. Dabei war das Ankommen für sie im Dezember 2021 ein ganz anderes als für Dirk: Manuela kannte das Erzgebirge nur von der Landkarte. Für Dirk hingegen ist es ein Umzug in die zweite Heimat. Ein Teil seiner Familie stammt aus Johanngeorgenstadt und lebt auch noch da.
Aus den Augen – nach Jahren neu in den Sinn
Als Dirk und Manuela den gemeinsamen Schritt ins Erzgebirge gehen, sind die beiden gerade mal ein halbes Jahr ein Paar. Sie kennen sich aus Kindertagen. Wohnten in Ostberlin im selben Viertel, besuchten den gleichen Kindergarten, lernten in einer Klasse, verstanden sich immer gut. Und liebten schon immer Herausforderungen. Die Lebenswege trennten sich, Familien wurden gegründet, Kinder geboren – und Ehen beendet. Dirk ergriff die Initiative und suchte den Kontakt. Das war vor knapp zwei Jahren. Und nun träumen sie den gleichen Traum: Ein Leben auf dem Land, im Erzgebirge, in ihrer Hammerschänke soll die nächste Lebensphase der 52-jährigen prägen.
Das ist meine Chance im Leben.
Als Dirk entdeckte, dass das Gasthaus zum Verkauf steht, spürte er ein Ziehen im Bauch als untrügliches Zeichen: „Das ist meine Chance im Leben“. Mit der Gastronomie ist er ein Stück groß geworden, half im Restaurant des Onkels ein paar Dörfer weiter als junger Mann immer wieder aus. Und dennoch ist er ebenso wie Manuela Quereinsteiger im gastlichen Metier. „Vielleicht sind wir ein bisschen naiv, aber wir wollen das unbedingt schaffen.“ Als Dirk das Haus das erste Mal von innen sah, hat er sich gleich in den Gastraum „verknallt“. Das war kurz bevor er mit Manuela zusammenkam. Einer der ersten gemeinsamen Wege führte das frische Paar natürlich ins Erzgebirge. „Das Gefühl war gleich gut. Dieses urige, traditionelle Ambiente gefällt mir sehr.“
Was man zum Glücklichsein so braucht
Man braucht viele Dinge nicht, um glücklich zu sein. Was Dirk und Manuela meinen, ist der Überfluss an Angeboten in der Großstadt. Ebenso wie die verzweifelte Parkplatzsuche nach Feierabend oder völlig überfüllte öffentliche Verkehrsmittel. „Wir suchen unsere Form von Glücklichsein tatsächlich im Kontrastprogramm hier im Erzgebirge. Die Gelassenheit der Menschen hier, ihre Natürlichkeit und Dankbarkeit, das gefällt uns einfach. Und dass hier ein Handschlag zählt – so wie ich das aus meiner Jugend noch kenne“, so Dirk. Die Landschaft mit ihren Bergen und dem satten Grün der märchengleichen Wälder im Sommer ist für beide einfach der Wahnsinn. Und dann sagt Manuela diesen Satz: „Früher, da wollte ich nie aufs Dorf ziehen. Und heute würde ich nie wieder nach Berlin zurückgehen.“ Diese Erkenntnis ist nicht neu und kam mit den Kindern. Schon damals zog sie aus Berlin raus aufs brandenburgische Land und erfüllte sich mit einem eigenen Kosmetikstudio einen Traum.
Mit Leidenschaft und Fingerspitzengefühl lernen
Die Hammerschänke soll wieder mit Leben gefüllt werden – in kleinen Schritten. Ihre kleine Wellness -Oase für kosmetische Behandlungen hat sie bereits installiert. Aktuell nehmen die beiden Übernachtungsgäste auf, für die Manuela ein Frühstück und auch ein Abendmahl zaubert. Gastronomische Erfahrung bringt sie keine mit, aber umso mehr Fingerspitzengefühl und Herz. „Ich gehe als erstes von mir aus: was würde ich mir wünschen, was würde mich im Urlaub glücklich machen?“. Diese Denkweise erwarten beide auch von ihrem künftigen Küchenteam, das bis Ende 2023 stehen soll. Denn das ist das nächste Ziel im Fünf-Jahres-Plan, den sie gemeinsam aufgestellt haben. Die Hammerschänke soll wieder ein Ort für die Gemeinschaft werden, ein Ort, an dem sich Gäste wohl fühlen, nächste Generationen feiern können und typische regionale Speisen finden, wegen denen man gerne wiederkommt.
Wenn Arbeit zum Vergnügen wird
„Das wird schön“, sind sich beide sicher und strahlen sich an. Momentan schmeißt Manuela den Laden wochentags mit Jan, der guten Seele, er kennt jedes Zimmer, jede Schraube, denn er gehörte bereits zum festen Team der Vorgänger und ist immer zur Stelle, wenn gehandelt werden muss. Am Wochenende ist Dirk da. Auch wenn das Restaurant noch geschlossen ist, brodelt es doch ab und zu in der perfekt ausgestatteten Küche. Wenn Geburtstage, Veranstaltungen oder Weihnachtsfeiern angefragt werden, sagt das kleine Team entschlossen zu. Und holt sich Hilfe von einem Caterer – würde man meinen. Weit gefehlt, denn jede Herausforderung nimmt Manuela selbst sportlich an. „Neulich habe ich einen Geburtstag mit 50 Gästen gestemmt. Rinderbraten stand auf der Wunschliste. Ich dachte: Warum denn nicht. Ich koche gern und probiere was aus.“ Und dann steht auch Dirks Verwandtschaft parat und aus dem Auftrag wird ein Familientreffen: Der Bruder und die Schwester oder auch die Kinder reisen an, Cousins und Cousinen kommen hinzu. Die Dankbarkeit darüber ist bei dem Paar groß, so die Lücke bis zur professionellen Betreibung schließen zu können.
Das ist einfach unser Leben.
Wenn man die beiden fragt, was sie in ihrer Freizeit nach der Arbeit machen, erntet man zuerst ein stilles Lächeln. Das erklären sie dann so: „Wir lieben unsere Arbeit, die deshalb gar keine Arbeit für uns ist. Das ist einfach unser Leben.“ Und dieses Leben ist zwar aktuell gefüllt mit vielen Lernaufgaben zu Abläufen in Gastronomie und Hotellerie, bietet aber auch Raum zum Erkunden der Gegend. Und das tun beide am liebsten gemeinsam mit ihren Fellnasen Campino dem Boxer, Hektor der Deutschen Dogge und der kleinen Frieda dem Großen Schweizer Sennenhund. Wobei Frieda für die Hammerschänke verantwortlich ist und die beiden „alten Herren“ das Büro von ihrem Herrchen in Berlin betreuen. Soweit dann noch Zeit ist fährt Manuela mit ihrem Rad, direkt von der Haustüre weg – ohne Staus, Gehupe und Großstadthektik.