09.05.2023
Ein Interview mit der Leipziger Mode-Designerin Maria Seifert
Maria Seifert lebt mit ihrer Tochter in Leipzig. Ihr Mode-Label MARIA SEIFERT aber ist ein erzgebirgisches und wird in Eibenstock produziert. Dort übernahm die 40-jährige vor vier Jahren eine Textilnäherei, die aus Altersgründen vor dem Aus stand. Inzwischen hat sich die kleine Firma mit ihrem erfahrenen Team zu einer feinen Manufaktur gewandelt, die sich neben der Lohnfertigung für ausgewählte Marken vor allem auf das Wachsen der eigenen Marke konzentriert. Zweimal wöchentlich pendelt dafür die taffe Unternehmerin von der großen in die kleine Stadt, genau genommen: an den Erzgebirgskamm. Wir haben Maria Seifert in ihrer Textilmanufaktur Seifert besucht und mit ihr über das Leben in ihren beiden Welten gesprochen, über Nachhaltigkeit sowie Schnelllebigkeit der Zeit und darüber, was ihr als Arbeitgeberin am Herzen liegt.
Du springst zwischen zwei Welten hin und her, sozusagen zwischen Metropole und ländlichem Raum, und den jeweiligen Mentalitäten und Eigenheiten. Was fühlst du, wenn du von deinem Zuhause Leipzig ins Erzgebirge in deine Textilmanufaktur fährst?
Also wenn ich in Chemnitz bin, bin ich verkehrstechnisch erst einmal genervt. Dann fahre ich von der Autobahn am Abzweig Aue ab und spüre, dass ich innerlich runterkomme. Wenn ich in Eibenstock ankomme und die Tür zu meiner Manufaktur öffne, dann ist alles gut. So stressig die Zeiten aktuell sind, weil wir gerade hoch ausgelastet sind, ist meine Firma für mich ein kleiner Ruhepol geworden. Ich bin leidenschaftliche Handwerkerin, arbeite im Zuschnitt, das erdet mich total. Das Handwerk und seine Bodenständigkeit finde ich sehr schön. In Leipzig strengt mich inzwischen die „Großstädtigkeit“ an. Auch beruflich, dort geht es mehr um Marketing und betriebswirtschaftliche Themen. Hier in meiner Firma geht es um das Machen. Klar entwickeln wir auch, aber machen alles mit mehr Ruhe. Leipzig ist eine so schöne Stadt, aber das Land ist mir inzwischen lieber und das Arbeiten hier ans Herz gewachsen. Deshalb habe ich die bewusste Entscheidung getroffen und die Firma samt Steuer nach Eibenstock gebracht. Jetzt fahre ich zweimal in der Woche ins Erzgebirge . Und wenn ich eine kleine Wohnung finde, werde ich auch gern mal über Nacht bleiben.
Im Jahr 2019 hast du die Firma übernommen, hast aber schon vorher in diesem Betrieb für deine Kollektion nähen lassen. Wie bist du eigentlich auf das Erzgebirge gekommen?
Ich bin über eine Marke, für die ich als Freelancerin gearbeitet habe, auf die Näherei in Eibenstock aufmerksam geworden und habe dann selbst die Firma beauftragt. Mir hat der zwar in die Jahre gekommene aber erfahrene Betrieb sehr zugesagt. Im Sommer 2019 rief mich die damalige Eigentümerin an und beichtete, dass sie den Betrieb aus krankheits- und altersbedingten Gründen aufgeben wird. Das war ein großer Schockmoment. Ich wusste, dass es hier viele Kunden wie mich gibt. Ich hatte endlich eine lokale Produktionsstätte in Deutschland, mit der ich zufrieden bin. Denn Made in Germany war für mich immer ein wichtiger Punkt, weil ich Nähe zum Betrieb und das Handwerk fördern wollte. Eine Woche später schlug ich ihr vor, dass ich den Betrieb übernehme. Aber sie sagte: Ich zieh das jetzt durch. Dann dachte ich: Maria, sei mutig und rief sie ein zweites Mal an. Wozu sollte das alles verschrottet werden? Tolle Fachkräfte auf der Straße sitzen? Dann rief sie später zurück und sagte: Ich verkaufe Ihnen den Betrieb. Die Übernahme war dann ein schwieriger Prozess. Es wird einem in Deutschland nicht leicht gemacht, einen Betrieb zu übernehmen.
Ich hatte endlich eine lokale Produktionsstätte in Deutschland, mit der ich zufrieden bin.
Unternehmensnachfolge ist ja tatsächlich aktuell ein großes Thema der Wirtschaft, auch im Erzgebirge. Was meinst du konkret? Was wird einem nicht leicht gemacht?
Wir sind die Nachfolge nicht klassisch angegangen, sondern ich habe den Betrieb gekauft. Das heißt, wir haben auch die Mitarbeiterinnen für einen Tag entlassen und dann neu eingestellt. Da die Arbeitsverträge noch veraltet waren, war das auch der bessere Weg. Das war auch an das Team das Signal: Wir holen euch in das Hier und Jetzt mit allen rechtlichen Grundlagen. So habe ich also komplett neu gegründet und mich auf diesem Weg aber an vielen Stellen allein gelassen gefühlt.
Konntest du dafür Fördermittel in Anspruch nehmen oder hattest sonstige Unterstützung?
Nein, es musste einfach alles sehr schnell gehen. Ich hatte für das komplette Umfirmieren nur drei Monate Zeit und damals keinerlei Kontakte. Und auch für den Kredit bei der SAB-Bank mussten wir uns sehr durchboxen. Wenn es eine selbstverständlichere Förderstruktur gäbe, wäre es tatsächlich leichter. Und ich bin dafür, dass es für die ersten drei Jahre zum Beispiel Steuerentlastungen geben müsste.
War für dich damals der Ruf des Erzgebirges als Billiglohnregion ein Grund, im Erzgebirge produzieren zu lassen?
Ausschlaggebend war allein die lokale Nähe. Und prinzipiell stehe ich für die Anhebung des Mindestlohns im textilen Handwerk. Ich verstehe aber auch, dass alles eine Grenze hat, denn es muss auch erwirtschaftet werden. Unsere Partner müssen bereit sein, die Preise für die Kleidung zu zahlen und auch an unsere Endkunden müssen wir das weiter kommunizieren. Manchmal stehe ich vor meinen Kunden und frage direkt: Geht ihr für 12 Euro brutto die Stunde arbeiten? Tja, und dann sagt keiner mehr was. Aber ich bin mir sicher: Die Preise für industrielle Textilproduktion werden steigen.
Ich bin froh, ein Team zu haben, das zu mir passt.
Hast du anfangs Skepsis gespürt bei den eher eingesessenen, erfahrenen Näherinnen aus dem Erzgebirge, als du Chefin wurdest. Schließlich kamst du als Frau aus der Großstadt mit einem eigenen Label an den Erzgebirgskamm in eine traditionsreiche Stickerei-Stadt. Und hast du auch selbst mal gezweifelt, ob der Weg richtig ist?
Skepsis war bestimmt da. Aber an mir als Unternehmerin gezweifelt hat, so glaube ich, niemand. Sie kannten mich ja schon vorher als eine Unternehmerin, die hier hat als Kundin produzieren ließ. Eher habe ich an mir in den vielen betriebswirtschaftlichen Fragen gezweifelt – aber inhaltlich, fachlich zu keinem Moment. Ich bin froh, ein Team zu haben, das zu mir passt.
Deshalb puschen wir unsere Eigenmarke MARIA SEIFERT jetzt enorm und setzen uns für faire Löhne ein.
Beim Blick auf deine Website oder in deinen Instagram-Kanal fällt auf, dass du deinem Team transparent eine ziemlich große Wertschätzung entgegenbringst und jeder Mitarbeiter mal seine Bühne bekommt. Für ein gutes Arbeitsklima zu sorgen, kann das auch einen niedrigeren Lohn aufwiegen?
Auf alle Fälle. Unser Verhältnis untereinander ist sehr gut. In den letzten drei Jahren habe ich mich sehr darauf konzentriert, dass sich das Team wohlfühlt. Die Löhne waren vor mir hier unterirdisch. Die Lohndiskussion gibt es aktuell zum Glück daher eher wenig. Ich möchte auch, dass die Löhne perspektivisch steigen. Deshalb puschen wir unsere Eigenmarke MARIA SEIFERT jetzt enorm und setzen uns für faire Löhne ein. Ich gebe den Mitarbeitern die Bühne, sie werden gehört und wahrgenommen. Ich versuche regelmäßig Team-Meetings zu machen. Was ich aber auch immer wieder erkläre und fordere ist, ab und an wie eine Unternehmerin zu denken. Ich bin hier nicht die Rudelsführerin, auch wenn ich sehr nach außen wirke und die Aufträge ranhole. Auch ich bin Teil dieses Teams, führe flach und auf einer Ebene. Deshalb versuche ich meinem Team zu vermitteln, eine eigene reflektierte Haltung zu entwickeln und Wünsche zu äußern. Das fällt den Erzgebirgern schwer. Ich war die letzten drei Jahre neben meiner Selbstständigkeit als Betriebsrätin bei H&M aktiv und kenne also die Seite des Personals sehr gut und bringe das Verständnis für Mitarbeiter mit. Aber es ist oftmals eine Gratwanderung, ein Ausloten, das Wohlbefinden der Mitarbeiterin zu sehen und selbst als Arbeitgeberin nicht zu kurz zu kommen.
Wir sind eine Marke, die hier produziert wird und neuen Wind in die Modebranche bringt
Wo verortest du dein Label MARIA SEIFERT – ist es ein Leipziger oder ein erzgebirgisches Label? Und wo finde ich deine Kleidung überhaupt?
Wir sind aus Eibenstock. Wir sind eine Marke, die hier produziert wird und neuen Wind in die Modebranche bringt. Wir verorten uns aber auch als deutschlandweites Label und wollen so den Sprung international schaffen. Aktuell gibt es unsere Kleidung über den Online-Shop – zum Anfassen im Laden momentan nicht. Nach drei Jahren Pause steigen wir gerade wieder in die Kommunikation ein und fragen auch Läden wieder an.
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Deine Mode geht in Richtung „Green fashion“ vor allem durch nachhaltige Materialien und deine faire Manufaktur. Damit setzt du einen Punkt zur sehr diskutierten „Fast fashion“, die oftmals für miese Arbeitsbedingungen steht. Fühlst du dich manchmal hilflos in deinem Kampf?
Früher ja. Seit ich meine Manufaktur habe nicht mehr. Ich bin froh, dass ich sie habe, das setzt meinem Konzept die Krone auf, man nimmt uns anders wahr. Wir werden künftig noch eine Schippe drauflegen, die modische Relevanz unseres nachhaltigen Gedankens soll wachsen.
Das Thema, regional und nachhaltig kaufen, ist auch im Erzgebirge angekommen. Es gibt Gemeinschafts- und Regionalläden, erzgebirgische Label organisieren sich. Es gibt inzwischen viele Leute, die dort gern kaufen würden. Aber regionale Qualität kostet mehr Geld. Wie argumentierst du da?
Tatsächlich erhöhen sich ja aktuell für viele Dinge die Preise. Und ich sage Nein, nachhaltige Mode ist nicht teurer als die Premiumsegmente der konventionellen Massenlabel. Es ist einfach eine reine Kopfsache, welche die Presse und die Modeszene noch selbst befeuert hat. Wir dürfen uns an T-Shirts für 10 Euro nicht mehr orientieren. Das ist einfach nicht tragbar und nicht mit dem Gewissen vereinbar. Wer nachhaltig kauft, kauft langlebig für Jahre und nicht Masse. Unsere Mäntel kann man noch der Tochter weitergeben. Das Problem ist, dass die Kunden an billige Preise gewöhnt sind.
Wer nachhaltig kauft, kauft langlebig für Jahre und nicht Masse.
Ein Blick in die Zukunft: Wo siehst du dich und dein Label MARIA SEIFERT in fünf Jahren?
Ich möchte mindestens fünf MitarbeiterInnen als Fachkräfte haben und zwei Auszubildende. Und auch gern Mitarbeiterinnen, die mutig sind und einen Quereinstieg wagen. Ich wünsche mir, dass unsere Kollektion wächst und die Manufaktur noch unabhängiger wird. Wir produzieren gerne für andere Marken, aber in meiner Vision möchte ich einmal selbst entscheiden, welche Marke zu uns vom Verständnis her passt.
Und selbst die Eigenwilligkeit der Erzgebirger ist irgendwie charmant.
Das Erzgebirge ist die führende Handwerkerregion in Sachsen. Wir sind als Tüftler und Bastler bekannt. Worin siehst du das Potential in der Region?
Es gibt viele gute Ideen. Manchmal fehlt mir das überregionale Denken ein bisschen. Was ich aber sehe, ist die hohe Qualität, mit der Dinger umgesetzt werden. Als Beispiel fällt mir der noch junge Regionalladen REGINE hier in Eibenstock ein. Dort findet man so schöne und qualitativ anspruchsvolle Produkte. Die Liebe zum Handwerk, die Professionalität und Aufmerksamkeit, die Hersteller ihrem Produkt entgegenbringen – darin sehe ich Potential. Dinge werden mit Persönlichkeit gefüllt, das ist eine große Stärke. Und selbst die Eigenwilligkeit der Erzgebirger ist irgendwie charmant. Traurig finde ich, dass gerade Traditionsbetriebe keinen Nachfolger finden und schließen. Ich denke, die ältere Generation sollte dem Nachwuchs mehr Raum geben, um hier bleiben zu wollen oder auch mehr willkommen heißen.
Einer Imagestudie zufolge, die wir im letzten Jahr durchgeführt haben, zeigen die Erzgebirger im Vergleich zu anderen Regionen die höchste Verbundenheit zu ihrer Heimat. Hat man dich damit schon angesteckt und verrätst du uns vielleicht einen Lieblingsplatz?
Ich fühle mich inzwischen sehr wohl hier. Die üppige
Natur
macht viel mit mir, denn ich bin ein kleines Naturkind. Eine kleine Wohnung oder ein Gartenhäuschen günstig zu finden, wäre toll. Ich habe auch Wurzeln im Harz und eine positive Einstellung zum Land. Einen Lieblingsplatz habe ich noch nicht, ich bringe immer zu wenig Zeit mit. Einen zu finden steht aber auf meiner Liste für dieses Jahr weit oben. Wobei einen habe ich schon: die Bäckerei Grüllich im Ort. Dort bestelle ich immer meine Rosinenbrötchen, auf die meine Tochter zuhause schon sehnsüchtig wartet.