Vier Gründer und ein Halleluja

24.10.2023

Vier junge Menschen, vier Ideen, ein Ort.

Wenn etwas mehrfach an einem Fleck wächst oder vertreten ist, sagt man im Erzgebirge „Do muss e Tampel [Tempel] sei“. Hilmersdorf scheint so ein Platz zu sein. Gleich vier Start-ups tummeln sich im Ortsteil der Kleinstadt Wolkenstein. Tischkicker, Club Mate, Hoodies, Latte Macchiato oder aufgeklappte Laptops – dieses Hipster-Klischee bedient man hier nicht. Stattdessen sind wir jungen Menschen begegnet, die sich bewusst fürs Hierbleiben entschieden haben. Sie sehen ihre Zukunft im ländlichen Raum. Dafür krempeln sie die Ärmel hoch, verstehen sich als Team, versprühen Zuversicht, wachsen an sich selbst und an den Aufgaben, die ihre Unternehmung mit sich bringt. Wir trafen auf vier Persönlichkeiten, deren gemeinsamer Nenner nicht nur Selbstverwirklichung, sondern auch Jugendkreis und Kirchgemeinde ist.


Lukas Schmidt, 25 Jahre, Landwirt.

Aussäen. Um Regen bangen. Wachsen lassen. Ernten. Glücklich und dankbar sein.

Ein Bauernhof, den die Großeltern bewirtschafteten. Vierzig Hektar Anbaufläche für Weizen, Roggen, Braugerste, Raps und Kartoffeln. Achtzehn Schafe, die ihren „Chef“ angrinsen, weil es ihnen bei ihm gutgeht. Lukas Schmidt hat Agrarwissenschaft studiert. Angestellt im Kompetenzzentrum Ökologischer Landbau des Freistaates berät und schult er landwirtschaftliche Betriebe, die auf Bio umstellen wollen. Seinen Hof bewirtschaftet er im Nebenerwerb. Der Brotjob im „Amt“ gibt ihm die Sicherheit, um Schritt für Schritt etwas Eigenes aufzubauen.

Den Spagat zwischen Ertrag und Biodiversität hinzubekommen, ist fast schon eine Kunst

„Dank meines Großvaters kann ich auf fruchtbaren Boden zurückgreifen. Der Gehalt an Humus und Grundnährstoffen im Acker stimmt. Beides ist die Lebensgrundlage für Pflanze, Tier und Mensch. Mehr fordern mich die sogenannten Beikräuter. Den Spagat zwischen Ertrag und Biodiversität hinzubekommen, ist fast schon eine Kunst. Man muss einfach einen anderen Blick darauf bekommen. Schließlich geht es mir darum, das Bodenleben und die Pflanzenvielfalt auf dem Feld zu erhalten“, sagt der Jungbauer. Einer seiner Pläne ist, nachhaltig zu wirtschaften. Das schließt eine größere Tierherde nicht aus. Mehr Schafe bringen mehr Fleisch, welches direkt und regional erhältlich sein soll.

„Das Bewusstsein, woher das Essen kommt, ist stark gewachsen, nicht zuletzt durch Corona. Bundesweit ging die Direktvermarktung durch die Decke. Im Erzgebirge ist man da etwas verhaltener. Aber in meiner Generation beobachte ich ein Umdenken. Lebensmittel, die in der Tonne landen, Tierwohl und auch die Landwirtschaft an sich – das sind Themen, über die sich ein Kopf gemacht wird“. Schon allein dafür lohnt es sich, Kraft und Zeit zu investieren und sich nicht vom Acker zu machen.

Deborah Weber, 22 Jahre, Logopädin.

Die Zettelei mit den Behörden habe ich völlig unterschätzt.

Eigentlich wollte sie nur starten, anfangen und sich ihren kleinen Patientinnen und Patienten widmen. Doch der bürokratische Aufwand (z. B. Anträge, Genehmigungen, Vorschriften, Berufshaftpflicht) und die daraus resultierenden Wartezeiten erwiesen sich als die größten Hürden, die es für Deborah Weber zu nehmen galt. Sie beschreibt das so: „Oft ging das eine ohne das andere nicht. Dieses Angewiesensein auf Entscheidungen hat genervt. Generell war meine Gründungsphase voller Höhen und Tiefen. Förderungen kamen nicht zustande. Gleichzeitig wurden mir Türen geöffnet. Da habe ich Gelassenheit gelernt.

Entmutigt hat sie dies nicht. Im Gegenteil. „Ich merke, wie es wirklich ist, wenn man sein eigenes Ding macht. Eine Erfahrung ist, dass im Gebirge viel über Mund-zu-Mund-Propaganda passiert. So funktioniert das Bekanntwerden und Bekanntmachen meiner Praxis. Das Leben auf dem Dorf hat hier seine positive Seite“, sagt sie und ergänzt: „Ich wollte bewusst alleine losgehen und musste viele Klinken putzen. Bei Ärzten, die die Rezepte verordnen, mit dem Praxispersonal am Tresen oder Müttern. Viele Gespräche zogen dann Kreise, weil man sich auf mich eingelassen hat.“

Ich kann hier viel freier als in der Stadt arbeiten, mehr Inspiration hineingeben.

Was Deborah Weber an Hilmersdorf schätzt? „Ich kann hier viel freier als in der Stadt arbeiten, mehr Inspiration hineingeben. Weil sich die kleinen und großen Leute darauf einlassen. Und, dass ich Menschen um mich habe, die ähnlich ticken. Lukas Schmidt ist einer davon. Es ist das Gesamtpaket. Einige kennen sich aus dem Jugendkreis. Da passiert es, dass wir selbst unter der Woche abends zusammensitzen und Mario Kart spielen. Das alles fühlt sich wie nach Hause kommen an.“

zur Praxis von Deborah Weber


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Lukas Großwendt, 22 Jahre, Vermögensberater.

Geben ist seliger als nehmen. Darum mache ich auch Dinge, an denen ich kein Geld verdiene.

Die meisten Unternehmen scheitern daran, dass sie nie gegründet werden.

„Die meisten Unternehmen scheitern daran, dass sie nie gegründet werden. Ich möchte, dass das im Erzgebirge nicht mehr so ist“, sagt Lukas Großwendt. Dazu braucht es Kapital, denkt man. Viel wichtiger als das, sei der Mut, überhaupt loszugehen und etwas anders zu machen.

Er selbst ist ein Beispiel dafür, wie es gehen kann. Bereits während des Abiturs macht er sich als Finanzberater selbstständig, baut sich seine gegenwärtige Existenz auf. Das läuft so gut, dass er die Schule hinschmeißen und sich nur noch auf sein Geschäft konzentrieren will. Seine Eltern bestehen aber auf den Abschluss. Heute versteht er warum.

„Selbstständig sein geht nicht ohne Disziplin und Struktur. Es braucht eine gewisse Selbstführung. Ich muss mich erstmal selbst im Griff haben. Ein Arbeitsplatz außer Haus gehört für mich dazu. Daheim lauert überall die Aufschieberitis“, lacht er und bringt die üblichen Verdächtigen ins Spiel: Waschmaschine, Bad putzen, dem Paketdienst die Tür öffnen. Ein Ziel zu verfolgen, bei der Sache bleiben, sich nicht ablenken lassen – dazu möchte er Gleichaltrige in der Region ermutigen. Zusammen mit ihnen will er ein Verständnis für gutes Haushalten entwickeln, um eine Saat für die Zukunft zu legen. Für die Rahmenbedingungen seien beide Seiten verantwortlich. „So etwas ist auf die nächsten zwanzig Jahre ausgelegt. Jeder Mensch, jedes Finanzkonzept ist anders. Das wird nicht langweilig.“

zur Dienstleistung von Lukas Großwendt

Simon Drechsel, 20 Jahre, Foto-/Videograf.

Beim Schneiden und Bearbeiten von Aufnahmen bin ich wie im Tunnel. Meine Arbeit als Busfahrer ist da ein gutes Kontrastprogramm.

Selbstständig sein mit Netz und doppeltem Boden: Simon Drechsel fotografiert seit seiner Kindheit. Seine Fotos und Videos fallen nicht nur im Bekanntenkreis auf. Irgendwann kommt die Anfrage, ob er auch für Firmen arbeite. „So ging das damals los. Die Jobs wurden immer mehr. Mit 17 Jahren habe ich dann gegründet und trotzdem eine Ausbildung zum Busfahrer gemacht“, erzählt er in seiner bescheidenen Art.

Mit 17 Jahren habe ich dann gegründet und trotzdem eine Ausbildung zum Busfahrer gemacht

Ziemlich schnell bekommt das Interview seinen ganz eigenen Drive. Wir sprechen über das Verständnis von Dienstleistung unter Freunden, den Ehrgeiz, das Beste aus dem Material herauszuholen, das allgegenwärtige „Das haben wir schon immer so gemacht“, die Vorbehalte gegenüber Social Media und das Dauerbrennerthema Mitarbeitergewinnung.

Simon Drechsel ist kein Wald- und Wiesenvideograf. Er hat sich bewusst „spitz“ aufgestellt, will die Nische der Baufirmen und Industrieunternehmen aufwerten. Für sie produziert er Inhalte (Content), liefert Filme und Fotos für deren Websites oder Social-Media-Kanäle. „Unternehmen erwerben mehr als (bewegte) Bilder von mir. Sie kaufen den Dienst, die Leistung und die Sicherheit, dass der Auftrag pünktlich und in versprochener Qualität geliefert wird. Das unterscheidet einen Freundschaftsdienst von professioneller Arbeit. Logisch, dass dafür viel Zeit am Feierabend und Wochenende draufgeht. Doch wenn der Kunde durch meinen Film offene Stellen besetzen kann, ist das wie Applaus für mich.“

zur Agentur von Simon Drechsel

Text: Beatrix Junghans-Gläser

Fotos: Dirk Rückschloss