03.12.2024
Herzwerk-Interview mit Henry Sobieraj, Geschäftsführer der Nickelhütte Aue GmbH über beschädigte Kreisläufe und die Gefahren einer Deindustrialisierung
Zur Person: Nach einem Studium zum Diplomwirtschaftsingenieur für Seeverkehrswesen und acht Jahren bei der Marine folgten für den gebürtigen Freitaler fünf Jahre als Händler für Nichteisen-Metalle in Nordrhein-Westfalen. Seit 1996 ist Henry Sobieraj bei der Nickelhütte Aue beschäftigt. 2014 wurde er in die Geschäftsführung berufen. Sobieraj ist Botschafter des Erzgebirges . Der heute 60-Jährige ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt in Aue .
Herr Sobieraj, seit 1635 agiert die Nickelhütte Aue hier an diesem Standort – eine lange Geschichte voller Höhen und Tiefen. Welche Themen bedrücken Sie im Moment, welche Themen beglücken Sie?
Es gibt beide Sorten von Themen und deshalb würde ich eher von Themen sprechen, die uns bewegen. Manche bewegen uns, weil sie uns Schwierigkeiten bereiten, manche, weil sie uns eine Chance bieten. Wir versuchen immer, beide Seiten zu sehen.
Was bewegt Sie?
Vor allem die wirtschaftliche Lage in Deutschland und in Europa. Der Report von Mario Draghi (italienischer Wirtschaftswissenschaftler) an die Europäische Kommission, der Anfang September auf gut 400 Seiten vorgestellt wurde, stellt Europa wirtschaftspolitisch kein sehr gutes Zeugnis aus. Und wir wissen auch, dass speziell Deutschland sich in keiner guten wirtschaftlichen Lage befindet, in einer Rezession steckt und die Wettbewerbsfähigkeit zurückgeht. Das ist für uns ein Thema. Wir sind ein B2B-Recyclingunternehmen für Metalle. Aber es wird nur etwas weggeworfen, wenn vorher auch etwas hergestellt wurde. Wir als Nickelhütte brauchen produzierendes Gewerbe, wir brauchen Industrie , die etwas tut. Wir brauchen jemanden, der etwas bewegt, und am besten mit Metallen. Wenn das weniger wird, dann ist das für uns ein Problem, das wir nicht so einfach lösen können.
Können Sie das an einem Beispiel plastisch machen?
Wir haben eine Produktionslinie, die sich mit den Reststoffen beschäftigt, die bei der Verarbeitung von russischem Erdöl entstehen. Wenn man in Deutschland diesen Rohstoff aus nachvollziehbaren Gründen nicht mehr nutzen will, müssen wir das irgendwie auffangen. In einem anderen Arbeitsbereich sind unsere Rohstoffe die Abfallstoffe aus der Chemischen Industrie. Wenn große Konzerne überlegen, aus Deutschland abzuwandern oder die Produktion zurückfahren, werden unsere Rohstoffe knapper. Zugleich produzieren wir aus diesen Rohstoffen neue Chemikalien, die wir wiederum an die Chemische Industrie verkaufen – wenn die weniger arbeitet, haben wir also auch gleich noch ein Absatzproblem. Diesen Kreislauf können wir schwer durchbrechen.
„Closing the Loop“, die Idee der Kreislaufwirtschaft, für die die Nickelhütte 2023 mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis ausgezeichnet wurde, funktioniert dann nicht mehr …
Richtig. Und das gilt derzeit für verschiedene Bereiche, etwa auch die Automobilindustrie, die Galvanik ist ein großes Thema für uns. Und wir können Rohstoffmangel in Deutschland und Europa nicht einfach substituieren, wir können nicht einfach unsere Rohstoffe in Asien kaufen. Wir sind also in erheblichem Maße auf eine funktionierende europäische Industrie angewiesen. Wenn also Herr Draghi von Deindustrialisierungstendenzen in Europa spricht, ist das für uns ein Thema.
Spüren Sie diese Tendenzen schon?
Ja, wir merken schon etwas. Die Rohstoffe sind schon jetzt weniger verfügbar und auch die Nachfrage nach unseren Produkten hat nachgelassen. Das ist aktuell nicht existenziell bedrohlich. Aber wenn aus dieser Entwicklung eine strukturelle Krise wird, dann nimmt dann Fahrt auf und lässt sich auch nicht mehr einfach zurückdrehen. Dann müssen wir als Nickelhütte darüber nachdenken, andere Kreisläufe zu suchen, in denen wir aktiv sein können.
Wer glaubt nach dieser Erfahrung noch an die nächste Technologie, die das nächste große Ding werden soll. Wer investiert dann noch?
Dann müssen Sie künftig mehr Batterien von Elektroautos recyclen …
Wir sind in diesem Bereich schon seit vielen Jahren tätig. Wir machen das nicht erst, seit über E-Mobilität große Reden geschwungen werden und der große Hype rund um E-Autos entfacht werden sollte, koste es, was es wolle. Und natürlich haben wir uns und auch viele andere sich darauf eingestellt, künftig deutlich mehr Batterien zu recyclen. Aber der Hype ist nicht entstanden, weil die Verbraucher – zumindest in Deutschland – nicht mitspielen, weil die Autos ihnen ohne Förderung zu teuer sind oder die Lademöglichkeiten nicht ausreichend ausgebaut wurden. Da fehlt ein Stück Verlässlichkeit in der Wirtschaftspolitik, die ausreichend Geld in die Hand nimmt, um das politisch gewollte Thema auch voranzutreiben. Und die vielleicht auch die Batterieproduktion in Deutschland und Europa vorantreibt. Denn alles, was außerhalb Europas passiert, nützt uns als Recyclingunternehmen nichts.
Wie sehr trifft Sie das?
Wir sind zum Glück relativ flexibel aufgestellt und haben uns auch einen guten Ruf als verlässlicher Recycler erarbeitet. Wir arbeiten gesetzeskonform und ohne Störfälle. Dafür nehmen unsere Recycling-Kunden auch etwas höhere Preise in Kauf. Aber es gibt Unternehmen, die haben extra neue Linien oder Produktionsanlagen aufgebaut. Da wurden Kapazitäten geschaffen, Millionen investiert – und jetzt sind die Batterien nicht da. Das kratzt am Vertrauen in die Politik und es stellt sich die Frage: Wer glaubt nach dieser Erfahrung noch an die nächste Technologie, die das nächste große Ding werden soll. Wer investiert dann noch?
Die Pflicht zur Nachhaltigkeitsberichterstattung müsste Ihnen derzeit in die Karten spielen ...
Einerseits, weil viele produzierende Unternehmen ja auch zur Einhaltung bestimmter Recyclingquoten verpflichtet sind. Andererseits werden auch wir selbst zum Jahr 2025 erstmals berichtspflichtig. Da stecken wir mitten in den Vorbereitungen. Bei den vielen Kennzahlen, die es da gibt, kann man nicht erst eine Woche vorher anfangen, sich damit zu beschäftigen. Das belastet schon jetzt Ressourcen an Mensch, Material und Geld, ohne einen direkten Beitrag zur Wertschöpfung des Unternehmens zu leisten.
Ein Thema, das Sorgen bereitet?
Die Bürokratie insgesamt. Als metallverarbeitendes Recycling-Unternehmen unterliegen wir der Störfall-Verordnung, die zahlreiche Verpflichtungen mit sich bringt. Alle unsere Abgasströme werden überwacht und unsere Wasserabgaben ans Schwarzwasser kontrolliert. Es gelingt uns, alle Verpflichtungen einzuhalten. Das ist gut, aber es ist auch Aufwand. Und wenn Grenzwerte immer weiter nach unten gesetzt werden, dann rechtfertigt zusätzlicher Aufwand vielleicht nicht immer die damit erzielten Verbesserungen. Wenn zugleich andere Regionen der Welt mit anderen Grenzwerten arbeiten, entsteht fast automatisch ein Wettbewerbsnachteil, obwohl die Umwelt in beiden Fällen geschützt wird. Was mich aber fast noch mehr beschäftigt: Man wird als Unternehmer immer verdächtigt, dass man bestimmte Richtlinien nicht einhalten will, um Kosten zu sparen. Woher kommt dieser negative Gedanke? Wir leben auch hier in dieser Welt. Ich laufe zu Fuß zur Arbeit – warum sollte ich daran Interesse haben, Trinkwasser oder Luft in Aue zu verunreinigen? Immer mehr Regelungen werden aufgestellt, auch um die vermeintliche Profitgier von Unternehmungen zu zügeln – das ist aus meiner Sicht nicht mehr zeitgemäß.
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Wir müssen aufpassen, dass wir unsere Region erfolgreich gestalten, dass wir lebenswert bleiben.
Zu den sich verändernden Bedingungen gehört auch der Anstieg des CO₂-Preises. Inwiefern spielt das – oder auch Energiekosten – für Sie eine Rolle?
Die Energiepreise für Elektroenergie haben wir im Griff. Mit unseren pyrometallurgischen Prozessen erzeugen wir weitestgehend unsere eigene Energie und können sogar Strom und vor allem Fernwärme hier an Kunden in der Stadt Aue verkaufen. Aber natürlich spielt dafür Gas eine Rolle, das wir zwar schrittweise substituieren wollen – aber es fehlen geeignete Technologien. Wir können auch nicht einfach auf Wasserstoff zurückgreifen, weil – da sind wir wieder bei nicht nachvollziehbaren Entscheidungen der Politik – das Wasserstoffkernnetz ja noch nicht einmal bis zum Wasserstoffkompetenzzentrum Chemnitz ausgebaut werden soll und obendrein der ländliche Raum erneut benachteiligt wird. Manchmal hat man den Eindruck, dass unsere Region in vielen Köpfen nur als Tourismusstandort mit ein paar Schnitzern und ein paar Weihnachtsmärkten verankert ist. Dass wir hier eine der größten Dichte an Industrieunternehmen und Industriearbeitsplätzen deutschlandweit haben, wird nicht mitbedacht. Wir möchten gern CO2neutral werden. Aber wir können auch nicht zaubern.
Es gibt in jüngster Zeit einige, auch prominente Fälle von Unternehmen in der Region, die in Schwierigkeiten geraten. Wie sehr beschäftigt Sie das, auch als Botschafter des Erzgebirges?
Es gibt darauf mehrere Perspektiven. Unternehmerisch betrachten wir zunächst die Dinge, die bei Kunden oder Lieferanten passieren. Aber im weiteren Blick gehört natürlich auch die Frage dazu: Wie attraktiv kann unsere Region für junge Menschen, für Zuwanderer aus Deutschland oder dem Ausland sein, wenn hier Industriearbeitsplätze verloren gehen? Viele der Unternehmungen, denen es gerade nicht so gut geht, waren über Jahre wichtige Stützen der Gesellschaft hier in Aue oder dem gesamten Erzgebirge , nicht nur als Menschen oder Arbeitgeber, auch finanziell als Sponsor oder Unterstützer von sozialen, kulturellen, sportlichen Projekten. Und wir wissen: Das wächst hier nicht so schnell wieder nach. Deshalb müssen wir aufpassen als Gemeinschaft der Unternehmen und als Gemeinschaft der hier Lebenden, dass wir unsere Region erfolgreich gestalten, dass wir lebenswert bleiben. Das muss auch in Zusammenarbeit mit den Städten Chemnitz und Zwickau geschehen. Da darf es kein Gegeneinander von Stadt gegen Land geben. Insofern freuen wir uns auch über den Titel von Chemnitz als Kulturhauptstadt – das strahlt auch auf die Region ab.
Wahlergebnisse wie die bei der Europawahl oder der sächsischen Landtagswahl wirken hingegen eher imageschädigend ...
Zumindest bekommen wir gelegentlich Fragen aus dem In- und Ausland, wie sich das hier entwickeln wird. Was wir als Unternehmensführung tun können, ist Weltoffenheit, Internationalität, Toleranz vorzuleben. Nach meiner Erfahrung haben wir zum Beispiel überhaupt keine Probleme im Umgang mit ausländischen Mitarbeitenden – und wenn es die gäbe, würden wir sofort dagegen vorgehen. Ich kann als Geschäftsführer meine Meinung kundtun, aber ich kann und will natürlich niemandem vorschreiben, was er wählen soll. Und ich kann auch in vielen Ehrenämtern immer wieder an die Politik appellieren, Probleme endlich zu lösen und wieder für mehr Verlässlichkeit und Stabilität zu sorgen. Wir brauchen stabile Verhältnisse, nicht nur in Berlin, sondern auch in Dresden.
Das Gespräch führte Volker Tzschuke
Fotos: Erik Wagler