12.10.2020
Einzige Getreidemühle im Erzgebirge baut auf lange Familienhistorie
Von weitem schon ist es eine Augenweide: das historische Ensemble aus ehemaligem Blaufarbenwerk und Mühlenkomplex an der Zschopau . Was die Wenigsten wissen ist, dass sich hinter den historischen Mauern der erstmals 1563 erwähnten Mühle ein sehr erfolgreicher und prämierter Lebensmittelbetrieb verbirgt: das Familienunternehmen Rolle Mühle. Die Firma steht beispielhaft für viele im Erzgebirge , die moderne Firmenpolitik leben und sich dennoch ihrer großen Tradition bewusst sind. Im Mittelpunkt des Müllerhandwerks steht ein auf den ersten Blick ziemlich gewöhnliches Alltagsprodukt: Mehl. Doch Mehl ist nicht gleich Mehl und so steckt in jedem gemahlenen Korn immer jede Menge neuer Ideen, um am hart umkämpften Markt, seinen Platz zu finden.
Man lebt nicht nur für sich allein
– das Credo ihres Vaters wurde Anne Rolle-Baldauf quasi in die Wiege gelegt und auf ihrem Spielplatz, dem Mühleareal, von klein auf weitergegeben. Seit 164 Jahren schon liegt der Duft nach frischem Korn in der „Rolle-Mühle“ in Waldkirchen in der Luft. Bäckermeister Carl Friedrich Rolle, der Urururgroßvater von Anne Rolle-Baldauf, erwarb einst das Grundstück des ehemaligen Blaufarbenwerkes*, um immer für Nachschub an Mehl für seine eigene Bäckerei und die umliegenden Handwerker zu sorgen. In sechster Generation mit den Geschäftsführern Dr. Thomas und Frank Rolle in Familienhand gedenkt man heute nicht nur im Firmennamen C.F Rolle GmbH dem Gründer, sondern lebt die Familientradition mit großer Verantwortung und Weitblick weiter. Für verantwortungsvolles und nachhaltiges Handeln, also umweltfreundliche und soziale Unternehmensführung, verlieh das Landwirtschaftsministerium im vergangenen Jahr der Mühle den Umweltpreis. Zu Buche schlug dabei auch, dass man sich seit Jahren die Wasserkraft des Flusses zunutze macht und sich so, wenn genug Wasser fließt, eine autarke Komplettversorgung aus regenerativer Energie sichert. An arbeitsfreien Wochenenden kann sogar Strom ans Netz abgegeben werden. Sich die Natur zunutze machen – und ihr etwas zurückgeben, wie mit dem Einbau einer Fischtreppe, ist ein Gleichgewicht, das für die Familie Rolle selbstverständlich ist.
Der Spezialist für Spezialisten
Wir sind klein und mittelständisch. Eine große Industriemühle würde so nicht überleben,
40 Tonnen Getreide werden pro Tag vermahlen. Die Mühlenlandschaft hätte sich sehr verändert. Wo früher in jedem dritten Dorf mit „Wind- und Wasseranschluss“ eine Mühle stand, ist die Landschaft längst ausgedünnt. Zum Vergleich: Laut Verband Deutscher Mühlen gab es im Jahr 1950 19.000 Mühlen in Deutschland, heute sind es noch 550 – und die C.F. Rolle Mühle ist die einzige im Erzgebirge. Ideenreichtum ist gefragt, um am Markt zu bleiben und nicht dem Mühlensterben zum Opfer zu fallen. Die Waldkirchener Mühle hat sich deshalb zum Spezialisten für Spezialisten entwickelt. Was das heißt? Ein Blick in den Mühlenladen zeigt es: Backmischungen für Brote und Kuchen, eine Vielfalt an Mehlen aus regionalen Getreideernten, von Gelbweizenmehl über Emmer-Vollkornmehl bis hin zum Roggenmehl, Brot in Dosen bis hin zu Säcken mit ganzem Korn. Alles hübsch abgepackt für den Endverbraucher. Zwischen bekannten finden sich auch historische, sogenannte vergessene, Mehlsorten. Die handlichen Packungen sind bedruckt mit der Dachmarke „Landgemacht“. Es ist ein Label, das für unverfälschte Bio Produkte steht und gleich mehrere sächsische Bio Produzenten unter einem Dach vereint. Ein paar Türen weiter sind die Abpackungen größer – Mehlsäcke für Bäcker aber auch Kunden aus der verarbeitenden Industrie deutschlandweit. Und der fertig gebackene Bio-Stollen aus dem Erzgebirge wird gar EU-weit geliefert. Der Bioanteil insgesamt ist auf 45 Prozent gewachsen, der Rest sind konventionelle Spezialmehle. Die Bio-Tendenz ist steigend. Dazu braucht es natürlich eine solide Basis an Bio-Bauern. „Zum Glück besinnen sich immer mehr darauf. Aber der Umstellungsprozess von konventionell auf Bio ist aufwendig und dauert bis zur Anerkennung drei Jahre“, erklärt die Mühlen-Fachfrau. Der Rolle-Mühle gelang indes der Einstieg ins Biogeschäft gut, das Sortiment wurde konsequent seit dem ersten Bioprojekt mit sächsischer Ernte im Jahr 1993 stetig erweitert. Mitarbeiter wurden speziell zu dem Thema geschult. Schon 1994 eröffnete man den Mühlenladen, der heute eine Schatzkiste an regionalen Lebensmitteln ist, in dem auch Produkte von anderen regionalen Herstellen auf die Ladentheke kommen. Was über allem steht, ist, Authentizität und Ehrlichkeit. Hinzu kommt ein Produktionsanteil an Lohnabfüllung. Diese nutzen Landwirte, um ihr eigenes gemahlenes Korn unter ihrer Marke zu verkaufen.
Was das Mühlenrad immer weiter dreht
Vom anfänglichen Beliefern von Großhändlern bis zu vielen Hof- und Bioläden und Supermärkten in der ganzen Republik heute: Dahinter steckt eine Erfolgsgeschichte, die manche Hürde barg. So war beispielsweise der Weg in die hart umkämpften Supermarktregale ein langwieriger. Vielleicht sind es genau jene Herausforderungen, die das Mühlenrad der Familie Rolle und ihren 25 Mitarbeitern immer unermüdlich weiter dreht – und das in zwei Schichten, zu Hochzeiten in der Backsaison auch dreischichtig. Fachkräfte zu finden sei schwer, erzählt Anne Rolle-Baldauf. Vier ausgebildete Müller sind beschäftigt in dem Unternehmen, das Wert auf ein gutes und vor allem familiäres Arbeitsklima legt. Der Lehrberuf heißt Verfahrenstechnologe in Mühlen- und Futtermittelwirtschaft, für den es in Deutschland nur zwei Schulen gibt. Um das Handwerks des Müllers zu erlernen, braucht es vor allem Fitness und ein Interesse für Natur und Umwelt. Der Mahlprozess vom Korn zum Mehl ist komplex und besteht aus mehreren Stufen. Deshalb wurde auch im Frühjahr diesen Jahres der Maschinenpark modernisiert, um den wertvollen Rohstoff der Natur, maximal auszunutzen. Und Mehl ist eben nicht gleich Mehl, variiert in Körnung und Mischung. Eine gleichbleibende Qualität ist dennoch das A und O für die Kunden, bei einem reinen Naturprodukt manchmal ein Drahtseilakt. Um immer höchste Qualität zu liefern, wird deshalb im betriebseigenen Labor jede Charge genau unter die Lupe genommen.
Was die Herzen der Müller lang schlagen lässt
Die Rolle-Mühle ist ein klassisches Familienunternehmen seit 1856, der Name des Urgründers Carl Friedrich Rolle bis heute im Firmennamen – mit dem Zusatz: Die Mühle mit Herz. Das Herz des Firmengründers schlug 101 Jahre lang, Anne Rolle-Baldaufs Großvater Hans Rolle trifft man mit über 90 Jahren noch heute ab und an im Unternehmen an. Trotz Enteignung 1972 blieb er durchgängig Direktor. . Was alle Vorfahren eint und das hohe Alter vielleicht dankt, ist der Wille, sich so gesund wie möglich zu ernähren. Anne Rolle-Baldauf hat ihre Kindheitserfahrungen mit dem Studium der Ernährungsökonomie fachlich auf breite Füße gestellt. Ein Job in Kanada lockte nach einer Praxiszeit dort. „Ich hätte es einfach nicht gekonnt, für immer zu bleiben, bin mit der Familie hier sehr verbunden. Und wer einmal zu Weihnachten nicht zuhause war, weiß: Da stirbt man fast als Erzgebirger“, erzählt sie mit einem Augenzwinkern. Und da ist es nicht der Weihnachtsstollen aus dem speziellen Stollenmehl aus der familieneigenen Mühle mit Herz, der Sehnsüchte nach Heimat weckt – sondern auch die erzgebirgische Landschaft selbst, in die dieses architektonische Kleinod eingebettet ist.
*Blaufarbenwerk: Das Zschopenthaler Blaufarbenwerk war im Jahr 1649 gegründet worden. Es ist eine Cobalterzaufbereitung, also eine klassische Folgeindustrie des Bergbaus im UNESCO-Welterbe Montanregion Erzgebirge/Krušnohoří. Das Hergestellt blaue Kobaltfarbmehl, das zur Bemalung von Porzellan und Keramik genutzt wurde.
Hintergrund:
Das Erzgebirge ist ein starker Industriestandort im Grünen mit den meisten verarbeitenden Unternehmen in Sachsen. Mit 33 % der Beschäftigten liegt der Branchenanteil deutlich über den Vergleichszahlen von Sachsen (20 %) und von Deutschland (21 %). Ein oftmals jahrhundertelanger Erfahrungsschatz und ein daraus gewachsenes spezifisches Knowhow sind für viele Unternehmen eine solide Basis, auf die sie ihre neuen Ideen – Nischenprodukte und Sonderanfertigungen – stellen. „Innovation aus Tradition“ sozusagen in einer Region, der eine über 800jährige Bergbaugeschichte zugrunde liegt und die heute den Titel „UNESCO-Welterbe“ tragen darf.
Die Branche der Ernährungsindustrie macht am Gesamtmarkt des verarbeitenden Gewerbes mit mehr als 20 Beschäftigten im Erzgebirge 9 Prozent aus, sachsenweit sind es 13 Prozent. Das sind auf diese Unternehmensgröße bezogen etwa 21 Unternehmen von insgesamt 420.
Foto und Text: Sabine Schulze-Schwarz