Natürliche Rohstoffe und Idealismus

17.01.2018

Wie Existenzgründer der Textilbranche im Erzgebirge Nischen besetzen

Rohstoffe aus der Natur und eine Portion Idealismus in Kombination mit erfahrenen Fachleuten

Stollberg / Schwarzenberg , 18. Januar 2018. Umfangreiche Erfahrungen durch eine jahrhundertelange Tradition auf der einen Seite und ein hohes Innovationspotenzial auf der anderen begründen die Stärke der erzgebirgischen Textil- und Bekleidungsindustrie. So ist das Erzgebirge schon lange eine Kernregion dieser Branche, die sich durch neue Ideen sowohl in der Herstellung klassischer Bekleidungsprodukte bis hin zu modernsten technischen Textilien auszeichnet. Mit rund 60 Firmen weist das Erzgebirge die vergleichsweise höchste Konzentration von Textil- und Bekleidungsherstellern in den neuen Bundesländern auf. Die Bandbreite reicht dabei von kleinen und mittelständischen Hightech-Unternehmen bis hin zu pfiffigen Existenzgründern, die der Textil-Tradition folgend Marktnischen besetzen. Dabei spielen Faktoren wie der Bezug zur Natur und eine gesunde Ökobilanz oftmals eine wichtige eine Rolle.

Natur pur für die Jüngsten: Kinderbekleidung aus Hanf

Die Idee, Kinderbekleidung aus Hanf herzustellen, ist in Deutschland bisher einzigartig. Norman Schirmer hat sie vor vier Jahren gehabt und unter dem Label “Hanfare“ umgesetzt. Seine Affinität zu den Vorteilen der Hanffaser dagegen begann 2002. Vor Jahren noch als abschreckender Begriff negativ besetzt, weiß man heute um die vielen positiven Eigenschaften der Pflanze. Hanf ist extrem rar, die Nachfrage inzwischen enorm. Vor allem deshalb, weil sich heute mehr Menschen denn je auf die Güter der Natur besinnen.

„Einfach mal 200 Meter Stück Stoff kaufen ist schwierig“, erklärt der Stollberger und begründet mit einem Fakt die noch kleine Kollektion an Baby- und Kleinkindkleidung. Diese besteht aktuell aus Kurz- und Langarmshirts, die quasi zeitgleich mit seinem ersten Kind als Idee geboren wurde. Selbst mit ganz wenigen Stücken im Kleiderschrank angefangen, trägt er heute selbst ausschließlich Kleidung aus Hanf, auch wenn man das der Jeans und dem karieren Hemd nicht ansieht. Und auch den Socken, Shirts und der Unterwäsche nicht, die in seinem Laden in den Regalen sortiert liegen. Der wahre Komfort der Hanfkleidung erschließt sich erst beim Tragen: „Ich bin immer wieder begeistert von den Eigenschaften: Die Stoffe klimatisieren - kühlen im Sommer, wärmen im Winter, sind antibakteriell und schützen sogar vor UV-Strahlung“, so Norman Schirmer. Aufgrund dieser Eigenschaften kommt Hanf übrigens auch in Dämmstoffen zum Einsatz. Ein zweiter Punkt, der überzeugt, ist die gute Ökobilanz, die immer mehr Kunden wichtig ist. „Zur Herstellung von 1 kg Stoff benötigt man 300 l Wasser. Im Vergleich verschlingt dieselbe Menge Baumwolle 27.000 Liter Wasser. Und Hanf wächst wie Unkraut, braucht keine speziellen Bedingungen, reichert sogar den Boden mit Nährstoffen an statt ihn auszulaugen“

Norman Schirmer setzt am liebsten auf Regionalität. Noch kann er dieses Ziel nicht in aller Konsequenz umsetzen. Aktuell kommt der Faser-Rohstoff aus Südtirol, der auf einer 120 Jahre alten Maschine in Baden-Württemberg gefertigt wird.. Über das Netzwerk „Hanfliebe“, in das er seit Jahren eingebunden ist, knüpfte er Kontakt zu einer Berliner Textildesignerin, die die Schnittmuster als Basis für die Kollektion zeichnet. Genäht wird die Kinderkleidung dann allerdings ganz regional – bei einem zuverlässigen und hochwertigen Lohnkonfektionierer in Jahnsdorf, quasi um die Ecke, fair hergestellt eben. „Es macht doch Sinn, regionale Kreisläufe zu nutzen und in einer Region gemeinsam an einem Strang zu ziehen“, so der 40-jährige.

Seit 2005 vertreibt Norman Schirmer Mode, Lebensmittel und Kosmetik in seinem Online-Shop, 2014 eröffnete er das Hanfare-Ladengeschäft. Begonnen hat die Liebe zum Hanf aber bereits 2002, als seine Eltern mit einem Hanftee als Urlaubsmitbringsel – aus Spaß –die Neugier entfachten. Über Monate recherchierte der Stollberger zu der Pflanze – vor allem die Historie der Nutzpflanze, die bis zu den alten Chinesen zurückreicht. Fasziniert von dem Gelesenen wusste er: Das wird meiner neuer Job. Zu dem Zeitpunkt arbeitete er auch im Textilbereich – allerdings als CNC-Schleifer im Textil-Maschinenbau. Doch schon länger nagte der Wunsch, etwas anderes, Neues zu wagen und so folgte dem Traum eine kaufmännische Ausbildung, die in die Selbstständigkeit mündete. Übrigens, den nächsten Laden mit solch einem Profil vermutet Norman Schirmer in Berlin oder München. Anfragen über das Internet reichen von Endkunden „in den hintersten Wäldern Finnlands“ bis hin zu einer Händleranfrage aus Dublin.

Klar, Hanfprodukte generell und auch die Kinderkleidung im speziellen scheinen auf den ersten Blick preisintensiver. Sind sie auch im Vergleich zur Discounterware– so wie eben andere Bio- und Naturprodukte auch. Dafür aber ökologisch sauber, fair und im Idealfall regional gefertigt. Norman Schirmer gibt zu, vor Jahren mit einem Wegzug aus dem Erzgebirge geliebäugelt zu haben. Vor allem, weil in der Großstadt ein höheres Kundenpotential durch mehr Offenheit gegenüber alternativen Produkten liegt. Dann blieb Familie Schirmer doch, weil eben alle mit Leib und Seele Erzgebirger sind: „Wir würden zu vieles vermissen, haben unsere komplette Familie hier und ich bin seit 30 Jahren einem Fußballverein treu. Rein sachlich muss man auch die höheren Lebenshaltungskosten in den Ballungsgebieten bedenken.“ Hier findet Norman Schirmer die Ruhe, um über künftige Projekte nachzudenken: Das nächste ist schon eingetütet: „2018 kommt unsere Herren-Unterwäsche aus 100% Hanf, die auch hier regional in Sachsen gefertigt wird.“

Auf erzgebirgischen Wanderwegen getestet: extraschaaafe Kleidung

Das Herz des Ateliers von Anja Müller-Bauer und Luise Egermann ist ein großer Zuschneidetisch. Im Regal daneben warten Ballen mit Lodenstoffen in unterschiedlichen Stärken darauf, ihrer Bestimmung zugeführt zu werden. Die Kleiderpuppe und der Garderobenständer voller Muster lässt erahnen, was aus ihnen werden soll: Damenoberbekleidung, genauer gesagt: vor allem Jacken. Wer an Loden denkt, malt sich vor allem Kleidung von Jägern und Hüte mit Gamsbart aus. Hier in Schwarzenberg entstehen seit 2015 aber ganz moderne, funktional schicke Produkte aus Schurwolle vom Merinoschaf - von der schaaafen Julia bis hin zur schaaafen Leonie.

Die Geschichte von Anja Müller-Bauer und Luise Egermann ist eine der Gegensätzlichkeiten. Luise ist die kreative Erzgebirgerin, den Kopf voller Ideen, welche die Produkte vor allem „schön“ machen. Anja ist zugezogen aus dem Voralpenland, eine „Uhiesige“ – wie die Erzgebirger sagen. Sie ist der funktionale Kopf des jungen Unternehmens „Extra Schaaaf“, der dafür sorgt, dass die Jacken, Westen und Stulpen ihren praktischen Zweck für Outdooraktivitäten erfüllen. Praktisch und schick, wind- und wetterfest, wasserabweisend und atmungsaktiv, angenehm wärmend – 100 Prozent Schaf eben mit all seinen guten Eigenschaften, ist das, was schlussendlich den Kunden erreicht. Mit zum Unternehmen gehört auch der Hund Djego. Bei ausgiebigen Wanderungen mit dem Vierbeiner testen die beiden Schwarzenbergerinnen ihre Musterstücke bei jedem Wetter, diskutieren und optimieren, denn glückliche und zufriedene Kunden sind das A und O. Um künftig näher an den potentiellen Käufern dran zu sein, begannen Anja und Luise in diesem Herbst damit, mit einem neuen Messestand aktiv auf Verbrauchermessen für ihr noch junges Unternehmen zu werben.
„Wir haben das Material schnell lieben gelernt und machen nun zeitlose und langlebige Dinge daraus, die uns gefallen“, erzählt die 32jährige Luise Egermann. Die Ideen werden als Skizzen zu Papier gebracht, eine Meisterin aus Bockau entwickelt die Schnittmuster daraus. Das Zuschneiden übernehmen die beiden dann im Atelier selbst, bevor die Teile in eine Textilfertigung in Eibenstock gebracht werden. Von der Qualität der fertigen Teile sind sie begeistert: „Die Frauen dort sind absolute Fachkräfte“. Auch wenn die Kollektion wachsen soll, ist Regionalität ein Kriterium, das beiden wichtig bleibt. Die fertigen Jacken mit den großen Kapuzen sind komplett „made in Germany“ – vom Garn über den Reißverschluss bis zum Stoff. „Der Weg vom Schaf bis zur fertigen Wolle ist schwer nachzuvollziehen, der Markt sehr global“, erklärt Anja Müller-Bauer. Gerade deshalb war es beiden wichtig zu wissen, wo ihr Stoff herkommt und so haben sie sich vor Ort in Tirschenreuth die Produktion ihrer Meterware angeschaut.

Kennengelernt haben sich die beiden Frauen durch Zufall auf dem Schwarzenberger Altstadtfest im Jahr 2011. Heute verbindet die beiden nicht nur als Unternehmerinnen die Faszination für den Wollstoff aus der Natur sondern eine große Freundschaft. Über das Erzgebirge und seine Leute hat die 45jährige Anja Müller-Bauer in den Jahren viel gelernt. „Auf den ersten Blick wirken viele Erzgebirger verschlossen. Heute sage ich: Die Erzgebirger sind treue Menschen und einfach kein bisschen oberflächlich. Ich habe hier die besten Nachbarn, die ich je in meinem Leben hatte“, schwärmt Anja. Ins Erzgebirge kam sie 2011 aus beruflichen Gründen mit wenigen Worten erzgebirgisch im Gepäck und wollte gleich nie mehr weg. Verliebt hat sie sich von Anfang an in die erzgebirgische Landschaft , „die ist ein Traum, so wild und rau und gerade in der Weihnachtszeit wunderschön.“ Von den Potentialen der Region Erzgebirge sind beide begeistert – von dem hohen Engagement der Menschen hier und den gut funktionierenden Netzwerken, mit dessen Hilfe man Unternehmen aufbauen kann.