26.03.2019
Warum erzgebirgische Handwerker auf Meeresriesen anheuern.
Wer ein Schiff bauen will, trommelt Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen. Klingt leicht, ist es aber nicht. Wer Kreuzfahrtschiffe hochzieht, beherrscht die Königsdisziplin des Schiffbaus. Komplexere, anspruchsvollere Vorhaben gibt es kaum. Um geeignete Männer zu finden, trommelt man vom Norden her südwärts von Mund zu Mund. Seit Jahren heuern drei erzgebirgische Landratten immer wieder an, setzen mit ihrer Arbeit Maßstäbe.
Wir sind nicht für Meterware zuständig, sondern für die Nische
Einer, der mit allen Wassern des Schiffsinnenausbaus gewaschen ist, ist Jens König, Drechslermeister aus dem kleinen Ortsteil Cunersdorf der Stadt Annaberg-Buchholz. Wir treffen uns in seinen Werkstatträumen, gehen ohne Umwege in das kleine Büro. Es verrät den wohl typischsten Charakterzug der Region und ihrer Menschen: Hier weiß einer genau, was er tut. Er macht bloß kein Bohei daraus.
Was gleich auffällt, ist ein riesiger Bauplan. Die von Zettelwirtschaft vollgestopfte Pinnwand verblasst daneben. Wie man sich da zurechtfindet? „Das wird mein 31. Schiff. Mittlerweile ist das Hin- und Herspringen zwischen den Decks Routine. Auf allen in Deutschland gebauten Kussmundschiffen, außer der Cara, findet sich königliches Parkett“, erklärt der Mittfünfziger mit gewissem Stolz. „Immer dann, wenn absolute Präzision gefragt ist, kommen wir ins Spiel. Spa-Bereich, Wellness -Suite, Intarsien vor den Aufzügen, Steakhaus oder Gourmet-Restaurant Rossini – wir machen die Millimeterarbeit.“
Immer dann, wenn absolute Präzision gefragt ist, kommen wir ins Spiel.
Ob rund, oval, geschwungen – die geforderte Passgenauigkeit erlaubt keine Toleranzen. „Holz lebt, tropische Hölzer erst recht. Das Parkett kann eher Pfennigabsätze ab als die großen Temperaturkontraste zwischen Nordkap und Karibik. Die Unterschiede bringen uns aufs Neue ins Schwitzen.“ Im nächsten Atemzug bläst er mit Pfiff den Staub von einem Stück brasilianischen Jatoba-Hartholz.
Einige dieser kleinen Stäbe werden zu Brettern, die die Welt bedeuten. Bis das Rampenlicht angeht, wird geschliffen, gemessen, geschliffen, gewachst, poliert. Solange bis die Übergänge bzw. Höhen der multifunktionalen Bühne stimmen.
The Show must got on
An anderer Stelle des Theatriums werkeln die Monteure von Lindner Metall aus Walthersdorf. Sie sorgen für das Broadway-Feeling an Bord. Zum einen mit unsichtbaren Stahlunterbauten der Bühne, zum anderen mit Edelstahlgestellen für Barhocker oder mit Designblechelementen. Die Primadonnen ihrer Fertigung sind glamouröse Treppengeländer aus hartvergoldetem Aluminium.
„Wer diese Treppe zum ersten Mal sieht, kann sein Staunen nicht verbergen. Wie von selbst verlangsamt sich der Gang. Die Leute schreiten und fühlen sich gut“, verrät Silvia Lindner, Personalleiterin im familiengeführten Unternehmen. Bis es soweit ist, lasert man im Erzgebirge die Geländerfüllung aus und gibt ihr Feinschliff. „Wangen und Stufen werden vormontiert; goldfarbene Geländer krönen das Ganze. Bevor die Treppe auf die Reise geht, wird sie hier komplett aufgebaut.“
Um das gute Stück vor Ort zu platzieren, bedarf es ausgeklügelter Logistik. „Stellen Sie sich das Schiff als Setzkasten vor, der befüllt wird. Die Treppengestelle werden in den Schiffsrohbau eingesetzt, noch bevor das Schiff als solches erkennbar ist. Unsere Mitarbeiter montieren die Geländerbauteile in einem Umfeld, in dem es vor lauter Handwerkern wie im Taubenschlag zugeht. Reparaturen und Zusatzaufträge erledigen wir dann, wenn das Schiff im Hafen liegt und die Passagiere auf Ausflug sind“, ergänzt sie.
Ein Mitarbeiter buchte extra eine Kreuzfahrt, nur um seiner Freundin die eigene Arbeit zeigen zu können.
Während der Einbauphase sind die Männer von früh bis spät auf der Baustelle; versorgen sich selbst – ganz nach der Seefahrerweisheit: Nur der Proviant, der auf dem Schiff ist, ernährt die Besatzung. „Dieses ‚Ich war auf der Werft‘, das hat schon etwas“, fasst die Maschinenbau-Ingenieurin zusammen. „Ein Mitarbeiter buchte extra eine Kreuzfahrt, nur um seiner Freundin die eigene Arbeit zeigen zu können.“
Sternenspektakel in der Juniorsuite
Wenn der Vorhang fällt, das Licht im Theatrium erlischt, die Nacht tiefschwarz über dem Meer hängt und kein Firmament zu sehen ist, trauen manche Passagiere ihren Augen nicht. Statt der üblichen Kabinenbeleuchtung funkelt über ihren Köpfen die Milchstraße. Wirbelnde Windrädchen, schillernde Sternchen, dunklere Wolken formieren sich spiralförmig zum Nachthimmel. Auf Knopfdruck! Wer realisiert denn solch eine abgefahrene Idee? Brandes Technik aus Scharfenstein.
Insgesamt 672.000 Handgriffe waren nötig; ohne Prototypen
Die Mannschaft um Volker Schreiter und Gunter Neef bringt Acrylglas und Kunststoffe in Form. „Der Sternenhimmel war die reinste Tüftelei. Wir knobelten an der Frage: ‚Wie bekommen wir am Leuchtobjekt den Sternenlichteffekt hin?‘ Zuerst dachten wir an eine Acrylglasscheibe mit entsprechend vielen Bohrungen. Funktionierte nicht. Dann kam unserem Geschäftspartner die Idee, auf die von uns entwickelte Leuchthaube eine Art Autofolie aufzuziehen. Das war der Durchbruch“, berichtet Gunter Neef.
„4.000 filigrane, lichtdurchlässige Pünktchen bringen das Aha-Erlebnis. Dafür wurde die Folie geplottet, sprich, kleine Kreise wurden vorgeritzt. Das Herauslösen war die Mammutaufgabe. Perforation für Perforation musste mit dem Skalpell herausgehebelt werden“, erklärt er „Insgesamt 672.000 Handgriffe waren nötig; ohne Prototypen. Dieser Part geschah extern.“
Mit ähnlich viel Fingerspitzengefühl erfolgt das Verkleben der Acrylglasteile. „Unsere Frauen haben dazu das ruhige Händchen. Ihnen gelingen blasenfreie Verbindungsnähte und die gewünschte klare Optik.“ Schade, dass beim Gang durch die Produktion keine der drei Frauen zu sehen ist. Vielleicht sehnt sich eine von ihnen aufs Meer?
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Stattdessen zieht eine CNC-Maschine ihre Kreise. „Das wird eine Etagere,sprich, ein 1,80 m im Durchmesser großes Objekt zur Präsentation von Obst, Gebäck, Desserts. Solche Teile braucht die Gastronomie. Ob im schwimmenden Hotel oder im Bergrestaurant – das ist egal“, spricht Neef und zeigt zum Schluss noch ein Filetstück. Gravierte Acrylglasscheiben, die als Raumteiler in den Bordrestaurants dienen. Außen kratzfest, innen die beleuchtete Straßenkarte von Peking. Nicht nur die asiatischen Gäste dürften begeistert sein.
Text: Beatrix Junghans-Gläser
Fotos: Bernd März, Jens Uhlig
Übrigens tummeln sich noch mehr erzgebirgische Landratten mit ihrem handwerklichen Know-how auf Kreuzfahrtriesen. Zum Beispiel Raumausstatter Drechsler aus Thum: mehr dazu im Freie Presse Artikel vom 11.01.2019.
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Diese Gechichte erschien zuerst im Magazin „Herzland - Gedacht.Gemacht.Erzählt“. Hier kannst du das gesamte Magazin online lesen, als PDF herunterladen oder gedruckte Exemplare nach Hause bestellen.
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