04.02.2025
Backen wie damals, denken wie morgen
Künstliche Intelligenz in der Backstube und ein erzgebirgisches Bergwerk als Reifelager? Größer kann ein Spagat eines Bäckermeisters zwischen Moderne und Tradition kaum sein. Ein Besuch in der Bäckerei Nönnig in Ehrenfriedersdorf offenbart, wie dieser Kontrast zusammenpasst und wie der Chef Tobias Nönnig noch weitaus andere Herausforderungen der Branche meistert.
Tobias Nönnig ist seit ein Uhr morgens auf den Beinen. Wenn der Laden für die ersten Berufspendler an der Bundesstraße vier Stunden später öffnet, muss die Auslage gut gefüllt sein. Auch wenn sich vieles verändert im Handwerk , bleiben die Arbeitszeiten eine Konstante, die junge Bewerber abschreckt. „Es braucht Kommunikation, um neue Mitarbeiter zu begeistern und zu halten und auch, um unsere Produkte nach außen zu tragen“, erklärt Tobias Nönnig das Werkzeug, mit dem er grundsätzlich viele tägliche Aufgaben anpackt. Die Bäckereilandschaft hätte sich in den letzten 35 Jahren stark gewandelt, die Anzahl der Privatbäckereien in Deutschland sich seit 1990 halbiert. Die Discounter sind eine große Konkurrenz mit ihren industriellen Fertigungen und Aufbackstationen. Über den Preis also kann sich der Bäckermeister mit einem von Hand und regionalen Zutaten gefertigtem Brot nicht definieren – wie führt man dann ein kleines Familienunternehmen sicher in die Zukunft?
Vom Ein-Laden-Betrieb zum Kleinunternehmen
Die Bäckerei Nönnig mit ihrem Stammsitz in Ehrenfriedersdorf hat Tradition. In dritter Generation wird seit 1950 gewerblich in der Familie Nönnig gebacken, am Standort selbst ist eine Backstube seit 1840 nachweisbar. Zwei Fachgeschäfte – in Geyer und Annaberg-Buchholz – ein Verkaufswagen, der die Dörfer bis an den Erzgebirgskamm versorgt, im Sommer ein Kiosk am Greifenbachstauweiher : Was der Großvater einst klein begann, ist heute ein Unternehmen mit 39 Beschäftigten, darunter vier Azubis für Bäckerei, Konditorei und Verkauf. Die Backwaren wurden mehrfach ausgezeichnet. „Doch optisch schöne und schmackhafte Waren aus dem Ofen zu bringen, reicht heute nicht mehr aus“, ist sich Tobias Nönnig bewusst „Dennoch: schöne Torten- und Brotbilder sind wichtig für Social Media Kanäle wie Instagram. Das gehört inzwischen einfach dazu.“
Es gibt noch andere, die toll backen. Manchmal helfen wir uns mit Zutaten aus.
Rezeptur für eine gelungene Bäckerei
„Unser größtes Gut sind die Mitarbeiter – unser Backstubenleiter z.B. ist seit 1988 bei uns“, erzählt der Bäckermeister stolz. Sie sind eine Zutat im Rezept für seine gut gehende Bäckerei. Hinzu kommt, dass regionale Rohstoffe eingesetzt werden wie Mehle, Eier, Butter. Damit kann sich ein lokaler Handwerker von den Discountern unterscheiden. Und noch ein Gewürz: mit weiteren Geschäften nicht expandieren, sondern auf dem jetzigen Niveau bleiben. Zudem soll jeder Kunde mit einem Lächeln aus den Läden gehen. „Unser Anspruch ist: alles frisch. Deshalb gibt es auch mittags nochmal warme Semmeln. In den Ladenfilialen wird aber nicht gebacken, die Arbeitsteilung ist stringent: Bäcker ist Bäcker und Verkäufer ist Verkäufer.“ Im Ort gibt es zwei weitere Bäckereien. Es ist Konkurrenz, die Nönnig trotzdem nicht als solche sieht. Tobias Nönnig sieht das pragmatisch: „Es gibt noch andere, die toll backen. Manchmal helfen wir uns mit Zutaten aus.“ Ein Blick in die Backstube zeigt: um „toll“ zu backen braucht es heute mehr als große Teigkessel, Schlagbesen in Übergröße, Trichter und Teigschaber. Moderne Displays zeigen, dass Backkunst und Digitalisierung sich vereinen. So funktioniert das Mehlsilo PC-gesteuert, die Backöfen fahren nachts automatisch hoch wie auch die Kühlräume, um Teiglinge schonend auf Temperatur zu bringen. Die Kunden erwarten immer gleiche Qualität – präzise Arbeit ermöglicht das. Und doch sei jeder Tag anders, weil Teige auch abhängig sind von äußeren Bedingungen wie der Witterung.
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KI: besser als der Menschenverstand
Unterschiedliche Wetterbedingungen schlagen sich im Käuferverhalten nieder – ebenso Jahreszeiten, Ferien, Tage vor oder nach Feiertagen. Kaufverhalten ist für den Menschenverstand schwer planbar. Das endet nicht selten in leeren Regalen vor oder noch vollen nach Ladenschluss. Beides sind ungünstige Szenarien. Vor fünf Jahren führte Tobias Nönnig ein KI-gesteuertes Kassenverbundsystem ein und beschritt neue Wege seiner Branche. „Früher saß ich abends am Bestellzettel für die Backstube zwei Stunden. Heute berechnet die KI aus Verkaufszahlen, Wetterlage und äußeren Bedingungen super schnell, wieviel Backwaren morgen benötigt werden.“ Und dann fügt der Meister hinzu: „Ich bin kein Fan der Automation, aber das begeistert mich sehr.“ Die Retourenquote hat sich seitdem extrem verbessert. Und auch eine Bestell-App für die Kunden macht das Tagesgeschäft planbarer und wird gern genutzt
Stollen – gereift im Stollen
Tobias Nönnig ist Präsident des Erzgebirgischen Stollenverbandes. Es ist ein Ehrenamt, in dem er die Tradition des erzgebirgischen Weihnachtsgebäckes nach außen tragen kann. Er weiß, dass die modernen Maschinen und künstlichen Intelligenzen eines nicht können: Tradition bewahren – das muss von den Handwerkern direkt kommen. Im November und Dezember wird die Produktion verdoppelt: 15.000 Stollen werden gebacken, verziert, verpackt und sogar bis nach Japan verschickt. Das bedeutet für die Mitarbeiter vor Jahresende noch einmal doppelt Gas zu geben. Die ersten Stollen werden zum Reifen ins Bergwerk gebracht – das Besucherbergwerk Zinngrube in der Stadt bietet ideale Bedingungen.
Wenn junge Leute zum Praktikum da sind und ob der Arbeitszeiten stöhnen, frage ich: Wie oft warst du diesen Sommer im Freibad? ... Also ich war zwanzig Mal, weil ich mittags mit Arbeiten meistens fertig bin.
Gute Argumente für (neue) Mitarbeiter
In einem Handwerksbetrieb ist alles Chefsache. „Wir Handwerker haben zu tun, unser tägliches Pensum zu schaffen. Es fällt schwer, sich Zeit für strategisches Denken zu nehmen. Gerade das ist aber wichtiger denn je“, fasst Tobias Nönnig zusammen. Das Angebot der Wirtschaftsförderung Erzgebirge GmbH , sich mit anderen Unternehmern auszutauschen, nahm er gern an. CSRnetERZ heißt das Projekt, in dem sich Unternehmer treffen, um einen Blick in andere Branchen zu erhalten – vor allem bei Themen rund um Mitarbeiterbindung und gesellschaftlichem sowie sozialem Engagement. „Ich habe in den Gesprächen gespürt, dass alle mit gleichen Problemen trotz unterschiedlicher Branchen und Größen kämpfen.“ Mit Kitazuschuss, Bikeleasing, Betriebsrente und Frei-Wünschen im Dienstplan profitieren seine Mitarbeitenden bereits von einigen Benefits. Auch ist es für ihn selbstverständlich, dass auch mal ein Umzug mit dem Firmenauto gefahren und sich per WhatsApp-Gruppe über Wichtiges schnell ausgetauscht werden kann. „Wir unterstützen Mitarbeiter auch in ihrer Weiterentwicklung, so wie erst vor kurzem unseren Brotsommelier.“ Wichtig sei es, all diese Dinge zu kommunizieren, das hat er sich aus den Treffen mitgenommen. Und wie überzeugt Tobias Nönnig nun die Fachkräfte von morgen für eine Ausbildung im Bäckerhandwerk? „Wenn junge Leute zum Praktikum da sind und ob der Arbeitszeiten stöhnen, frage ich: Wie oft warst du diesen Sommer im Freibad? ... Also ich war zwanzig Mal, weil ich mittags mit Arbeiten meistens fertig bin“. Tobias Nönnig weiß, wie er junge Menschen sprichwörtlich hinterm Ofen vorlocken kann. Und dann verrät er noch, dass zwischen eins und fünf seine liebste Arbeitszeit wäre: „In der Backstube herrscht Stille trotz des geschäftigen Werkelns. Jeder arbeitet vor sich hin, kennt seine Aufgaben – und dann wird auch mal genascht.“ Es sind die Stunden, wo Kommunikation bei Nönnigs auch ohne große Worte funktioniert.