12.03.2024
Wie ein Unternehmen mit typisch erzgebirgischem Erfindungsreichtum und Know-how auf die Herausforderungen unserer Zeit reagiert und davon profitiert.
Die Firma A. Schieck ist als hoch spezialisierter Partner für Metallverarbeitung am Markt etabliert. Kundinnen und Kunden sind Industrie und Unternehmen. Nicht zuletzt wegen der allgemeinen wirtschaftlichen Lage entstand der Wunsch, mit einem eigenen Produkt auf den Markt zu gehen. Dass es ausgerechnet ein innovatives Gewächshaus für voll automatisierten, ressourcenschonenden Pflanzenbau wird, konnte anfangs niemand ahnen.
Die Suche nach einem eigenen Produkt
Die A. Schieck GmbH ist ein Unternehmen, wie es typisch ist für das Erzgebirge . Rund 50 Mitarbeitende sowie Auszubildende, spezialisiert auf Metallverarbeitung – Feinbleche und Maschinenbau. Auftraggeber sind Industrie und Gewerbekunden: Lohnfertigung, Kleinstserien, Ersatzteilfertigung und Prototypenerstellung. „Für viele sind wir die letzte Rettung, wenn es um Metallverarbeitung geht“, erklärt Michael Rathe, Geschäftsführer des Unternehmens, Maschinenbauer und Lebensgefährte der heutigen Mitinhaberin Stefanie Schieck.
Ihr Vater Andreas Schieck gründete das Unternehmen 1985 in Bernsbach. Nach der Wende startete der Betrieb durch, schuf Arbeitsplätze, als ringsum viele Unternehmen aufgeben mussten. Die angespannte wirtschaftliche Lage in der jüngsten Vergangenheit zeigte jedoch, dass die Abhängigkeit von anderen Branchen ihre Schattenseiten hat. So entstand der Wunsch, ein eigenes Produkt auf den Markt zu bringen. Gedacht. Gemacht.
Gemeinsam mit Mario Rotzoll, einem engen Freund aus Jugendzeiten und ebenfalls Maschinenbauer, machten sich Michael Rathe und Stefanie Schieck auf die Suche nach einem geeigneten Produkt. Schnell stießen sie auf das Paternosterlager – ein vertikales Umlaufregal, bei dem sich die einzelnen Regalböden im Umlaufverfahren nach oben und unten bewegen lassen. Die gelagerten Dinge lassen sich so ohne Leiter oder Hubmittel in Greifhöhe entnehmen.
Gleichzeitig bieten sie viel Lagerfläche auf geringer Grundfläche. Konstruktion und Steuerung solcher automatisierten Regalsysteme passten gut zu den Möglichkeiten des Metallverarbeitungsunternehmens. „Zu diesem Zeitpunkt wussten wir selbst noch nicht genau, wie so ein Paternoster im Detail funktioniert“, schildert Betriebswirtschaftlerin Stefanie Schieck, „also haben wir kurzerhand auf eBay zwei gebrauchte in Lübeck gekauft. Die haben wir erstmal auseinandergebaut, um zu verstehen, wie sie funktionieren, wie sie sich für unsere Zwecke nutzen lassen und was verbessert werden muss.“
In so einem Lager müssen ja nicht zwingend Schrauben liegen. Man könnte da doch auch Pflanzen reinsetzen
Mit den Erkenntnissen wurde die Idee für ein Materiallager weitergesponnen. Doch schon bald stellte sich Ernüchterung ein. Ein Materiallager, wie es sich das Trio überlegt hatte, war bereits auf dem Markt. Die anfängliche Begeisterung schwand aber nur kurz. „Als uns das bewusst wurde, standen wir zufällig gerade in unserem privaten Gewächshaus. Da kam uns der entscheidende Einfall: In so einem Lager müssen ja nicht zwingend Schrauben liegen. Man könnte da doch auch Pflanzen reinsetzen“, führt Michael Rathe weiter aus.
CirculaPlants – Vertikales Gärtnern im Rotationsprinzip
In zweieinhalb Jahren Entwicklungszeit entstand schließlich mit angelesenem Fachwissen über Gewächshaussteuerung, maschinenbaulichem Know-how und viel Tüfteln das erste automatisierte und inzwischen auch patentierte Vertical-Farming-Gewächshaus-System für das Freiland. „Unsere eigenen Erfahrungen aus dem Gewächshausanbau haben uns geholfen, ließen sich aber nicht immer übertragen. Da half letztlich nur viel Ausprobieren“, erläutert Mario Rotzoll. „Wir mussten tatsächlich auch viele eingegangene Pflänzchen entsorgen“, erinnert sich Stefanie Schieck lachend. Am Ende stand aber ein inzwischen marktreifer Prototyp der CirculaPlants, so der Name des Systems.
CirculaPlants muss man sich folgendermaßen vorstellen: In einem sechs Meter hohen Gewächshaus steht ein Umlaufregal mit Pflanzwannen, in denen Pflanzen in einer Nährlösung stehen. Die Wannen laufen im Rotationsverfahren nach oben und unten. So erhalten alle Pflanzen die optimalen klimatischen Wachstumsbedingungen. Ein gesteuertes Frisch- und Umluftsystem sorgt für die passende Temperatur und Luftfeuchtigkeit. Über eine zusätzliche Beschattung lässt sich auch die Sonneneinstrahlung bei Bedarf reduzieren. Die Nährlösung in den Pflanzwannen wird regelmäßig ausgetauscht und aufbereitet.
So haben Algen, Pilz- und Bakterienbefall ebenso wenig eine Chance wie Schädlinge. All das erfolgt vollautomatisch. Dank natürlicher Sonneneinstrahlung sind zusätzliche Beheizung und Beleuchtung des Gewächshauses nicht erforderlich. Der für den Antrieb und die Steuerung erforderliche Strom lässt sich wahlweise über Photovoltaikmodule gewinnen. Auf diese Weise kann das vertikale Gewächshaus vollständig autark arbeiten. Ein Schließsystem sorgt dafür, dass nur der Eigentümer die Früchte seiner Arbeit erntet.
Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit
„Das Prinzip des vertikalen Gartenbaus ist nicht neu“, erläutert Michael Rathe, „Pflanzen werden heute schon mitunter in riesigen Regalen angebaut. Bislang aber immer nur in geschlossenen Räumen mit künstlicher Beleuchtung. Unser System ist das erste für den Freilandbereich.“ Die Vorteile liegen auf der Hand. Auf kleinster Fläche lassen sich mit geringem Ressourcenverbrauch und wenig Arbeitsaufwand große Mengen Gemüse, Obst und Kräuter anbauen.
Unser System ist das erste für den Freilandbereich.
Ein Aspekt, der in dicht besiedelten Ballungsräumen immer wichtiger wird. Energiebedarf für Wärme und Beleuchtung entfällt, und der Wasserbedarf ist ebenfalls minimal, da es sich um ein geschlossenes System handelt, aus dem kein Wasser entweicht. Das ermöglicht Pflanzenanbau mit minimalem Wassereinsatz auch bei Wasserknappheit. Ein Thema, das sogar in Deutschland immer wichtiger wird.
Das System eignet sich insbesondere für kleinere Gemüsesorten, Salate und Kräuter oder die Setzlingszucht. Und es gibt noch einen weiteren Einsatzbereich. Dank der umfassenden Steuerung der Wachstumsbedingungen und einem Schließsystem sind die Anlagen für den Anbau von Arzneipflanzen und sogar medizinischem Cannabis geeignet.
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Neue Impulse für das Unternehmen
Mit CirculaPlants hat das erzgebirgische Metallverarbeitungsunternehmen erfolgreich ein innovatives, eigenes Produkt auf den Markt gebracht. Das Unternehmen konnte aber auch darüber hinaus profitieren. „Wir mussten neue Fertigungsverfahren, wie das Laserschweißen, einführen und unsere Mitarbeiter weiterbilden“, erklärt Michael Rathe abschließend. „Unsere Belegschaft war Feuer und Flamme für das Projekt und hat uns bei allen Schritten tatkräftig unterstützt“, fügt Stefanie Schieck anerkennend hinzu. Auf diese Weise hat die Entwicklung dem Unternehmen ein zukunftssicheres Produkt gebracht und gleichzeitig für einen regelrechten Innovations- und nicht zuletzt auch einen Motivationsschub gesorgt.
Text: Philipp Senge
Fotos: Georg Ulrich Dostmann, Mario Rotzoll