Zahl der Pendler im Erzgebirge nimmt zu
VON HANNAH METZGER
ANNABERG-BUCHHOLZ - Es sind ziemlich genau 100 Kilometer, die Rico Schreiter jeden Tag zurücklegt. Nur, um zur Arbeit und wieder zurück zu kommen. Der 31-jährige Maschinen- und Anlagenführer fährt von seinem Heimatort Mildenau nach Frankenberg. Damit gehört Rico Schreiter zu den rund 38.300 Menschen im Erzgebirgskreis , die nach der aktuellsten Statistik der Annaberger Arbeitsagentur 2010 zur Arbeit pendeln mussten. Tendenz steigend. Im Vergleich zum Vorjahr sind knapp 1000 Arbeitnehmer hinzugekommen. Und der größte Teil von ihnen - etwa 27.200 - fährt in die Nachbarlandkreise, also nach Chemnitz, Zwickau, Mittelsachsen oder ins Vogtland. Damit machen nicht mehr die "klassischen" Pendler, die in den Westen zur Arbeit fahren, den Löwenanteil aus. Es sind die Kurzstreckenpendler, die auf Landstraßen und Autobahnen das Sagen haben.
Auch Rico Schreiter fährt "nur" eine Stunde hin und eine wieder zurück. "Im Sommer, wenn es keinen Stau gibt", betont er. Ein Risiko ist es allemal. "Zum Beispiel wenn ich nach der Nachtschicht nach Hause fahre, da fällt es besonders schwer, mich aufs Fahren zu konzentrieren", schildert der Mildenauer. Und es sind eben zwei zusätzliche Arbeitsstunden, die er täglich einrechnen muss. Weshalb der 31-Jährige dann überhaupt pendelt? "Es ist nicht ganz so leicht, hier in der Gegend was zu finden, wo man ordentlich verdient", sagt er. Zwar sei immer wieder von Fachkräftemangel die Rede - aber wenn dann ein Stundenlohn von 6 Euro geboten würde, wie er selbst erfahren habe, dann sei das kein echtes Angebot. "Ich seh' ja auch nicht ein zu arbeiten und dafür kaum was zu bekommen", betont Schreiter. Trotzdem hat er sich bei der Arbeitsagentur als potenzieller "Heimkehrer" angemeldet. "Irgendwann fragt man sich doch, ob es sich lohnt." Karolin Tottewitz ehemalige Pendlerin
Auf diese Weise hat Karolin Tottewitz ihre jetzige Arbeitsstelle in Schönfeld gefunden. Die 25-Jährige war bis Oktober 2010 Fernpendlerin. Ihre Familie und ihr Freund lebten in Annaberg und Dresden, sie selbst während der Woche in Stuttgart. "Ich habe dort ein Praktikum gemacht, wollte auch die Großstadt mal ausprobieren", sagt sie. Alle zwei Wochen sei sie ins Erzgebirge gefahren, rund 450 Kilometer weit. Sie hätte auch in Stuttgart einen Arbeitsplatz bekommen. "Aber irgendwann fragt man sich doch, ob essich für ein Wochenende lohnt, zehn Stunden auf der Autobahn zu verbringen", erklärt sie. Tottewitz hat deshalb in der Heimat einen Arbeitsplatz gesucht - sie hat Wirtschaftsingenieurwesen für Maschinenbau studiert. "Es war aber nicht ganz einfach. Viele Firmen haben einfach gar nicht reagiert - obwohl sie angeblich Leute gesucht haben", erzählt sie. Über die Heimkehrerbörse der Wirtschaftsförderung Erzgebirge hat Karolin Tottewitz schließlich einen Arbeitsplatz in der Region gefunden. Denn das Pendeln, immer aus dem Koffer zu leben, nirgendwo richtig zu Hause zu sein - das könne auch nicht mit ein bisschen mehr Geld ausgeglichen werden. "Ich bin hier wesentlich ruhiger. Und man hat plötzlich Zeit für Hobbys und Familie am Wochenende."
Es ist genau das, was Sabine Zimmermann, Regionsvorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds, an den steigenden Pendlerzahlen moniert. "Der Preis der erhöhten Mobilität ist zunehmender Stress bis hin zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen", sagt sie. Das Ziel müsse sein, für mehr Beschäftigung und fair entlohnte Arbeit im Erzgebirge zu sorgen. Der Annaberger Arbeitsagenturleiter Gerhard Rohde hatte zuletzt ebenfalls betont, dass potenziellen Arbeitnehmern und Heimkehrern Entwicklungsperspektiven im Erzgebirge geboten werden müssten. Auch im Eigeninteresse der Firmen, da der Wettbewerb um Fachkräfte längst begonnen habe. Quelle: Freie Presse, Ausgabe Annaberger zeitung, 27.06.2011