"Wir sind nicht nur das Land der Männelschnitzer"
Grünhainichen/ Annaberg-Buchholz (dapd-lsc). Die angeblich sichersten Tore der Welt werden zwischen Waldrand und Eigenheimsiedlung gebaut. "Hinter den sieben Bergen", sagt Michael Simon und lächelt verschmitzt. Der 52-Jährige ist Chef der Firma Zabag, die ihren Sitz in einer unauffälligen grün-weißen Halle am Rand des erzgebirgischen Dorfes Grünhainichen hat.
Auf dem Unternehmensgelände neben dem Spritzenhaus der Freiwilligen Feuerwehr begann der Ingenieur vor 21 Jahren mit dem Bau von Zäunen, wie sie Sportplätze und Einfamilienhäuser umgeben. Heute fertigen Simon und seine 90 Mitarbeiter Tore, die nach Firmenangaben als praktisch unüberwindbar gelten. Weltweit schützen sie deutsche und US-Botschaften, internationale Flughäfen, Atomkraftwerke und Gefängnisse. Manche sind so stabil, dass selbst Kleinlaster aufgehalten werden können. "Wir haben ein Metallseil in das Tor integriert", sagt Simon, "an dem bleibt das Fahrzeug hängen."
Firmen wie die von Simon, die trotz demonstrativer Bescheidenheit des Inhabers zu den Marktführern in der Bundesrepublik gehört und in naher Zukunft die Nummer eins werden will, werden im Erzgebirge nur von wenigen vermutet. Die Region ist eher als "Weihnachtsland" bekannt. Außenstehende denken vielleicht an Schwibbögen , deren Licht in verschneite Nächte fällt, oder an heimelige Stuben, in denen Räuchermänner geschnitzt werden.
Simon empfand das hinterwäldlerische Image zunächst als Vorteil. Als er sich einen Namen in der Branche zu machen begann und lukrative Aufträge an Land zog, habe die Konkurrenz verblüfft reagiert. "Hinter den sieben Bergen", sagt der Unternehmer, "konnten wir ungestört wachsen." Künftig aber möchte das Erzgebirge gern in einem anderen Licht gesehen werden.
"Wir sind nicht nur das Land der Männelschnitzer", sagt der Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung Erzgebirge , Matthias Lißke , in Annaberg-Buchholz. Die Schnitzstuben locken genauso wie tiefe Wälder, Naturparks und die gute Gebirgsluft zwar viele Touristen in die Region. Der Umsatz der Branche betrug zuletzt immerhin 883 Millionen Euro. Arbeit finden in den Hotels, Gaststätten und anderen Tourismusbetrieben aber nur drei Prozent der Beschäftigten im Erzgebirge. Ein weitaus größerer Anteil ist dagegen in Unternehmen wie der Zabag tätig: 32 Prozent der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse entfallen auf die verarbeitende Industrie .
Mit 91 Industriearbeitsplätzen auf 1.000 Einwohner ist das Erzgebirge Spitze in Sachsen. Besonders der Anteil von Metall- und Elektrofirmen liegt über dem Durchschnitt. Dazu gehören renommierte Zulieferer für die Autoindustrie, aber auch kleine Start-ups oder eben Firmen wie Zabag in Grünhainichen, deren Tore über elektronische Schleusen, Lichtschranken oder Einrichtungen zur Erfassung von Kennzeichen verfügen und auch vom saudischen Königshaus geordert werden.
Bekannt ist all das jenseits des Erzgebirges bislang freilich kaum. Das soll sich jetzt dank einer Kampagne ändern, bei der die Region mit Slogans wie "Wir haben untertage gegen Weltspitze getauscht" auf sich aufmerksam machen will. Der Spruch verweist auf die mehr als 800 Jahre alte Tradition des Bergbaus, die ein Grundstein für heutige industrielle Vielfalt ist. Wo früher neue Technik zum Fördern und Verarbeiten des Erzes entwickelt wurde, entstünden auch heute innovative Produkte, sagt Wirtschaftsförderer Lißke: "Wir waren Hightech, und wir sind es noch immer."
Viele der meist mittelständischen Unternehmer unterstützen die Kampagne. Auf diese Weise sollen weitere Investoren angelockt werden, nicht zuletzt aber auch dringend benötigte Fachkräfte. Ein Drittel der Industriebeschäftigten im Erzgebirge ist älter als 50. Viele Jüngere sind in den 90er Jahren weggezogen, weil es damals weniger und oft schlechter bezahlte Jobs gab. Von den Erzgebirgern, die geblieben sind, pendeln heute 7.000 nach Bayern und Baden-Württemberg sowie 30.000 in andere Regionen Sachsens.
Etliche von ihnen sollen nun zurückgeholt und künftige Schulabgänger verstärkt in der Region gehalten werden. Neben dem Image als Land der Männelschnitzer muss das Erzgebirge dazu freilich noch einen unerwünschten Ruf abstreifen: den des Landes der niedrigen Löhne.
Nach der Wende habe das Erzgebirge als Billig-Standort gegolten, räumt Eberhard Grünert ein, Chef der Firma Turck, die in Beierfeld elektronische Steuerungen herstellt. Das aber habe sich "völlig geändert". Zwar würden im Erzgebirge noch keine Löhne wie in Schwaben gezahlt. In Relation zu den niedrigeren Lebenshaltungskosten seien die Einkommen aber schon gut. "Unsere Zukunft", betont der Unternehmer, "besteht jedenfalls nicht in Niedriglöhnen."
Quelle: dapd Nachrichtenagentur GmbH, erschienen am 24.05.2011