Fachkräftegewinnung von außen als künftiger Garant für Branchenvielfalt: 4. Fachkräftetagung Erzgebirge trifft Nerv der Teilnehmer
Im Fokus der Redebeiträge und Diskussionen stand das Thema Weltoffenheit verbunden mit Impulsen, wie man Willkommenskultur noch stärker im betrieblichen und gesellschaftlichen Bereich etablieren kann. Denn gerade ein gutes Ankommen und Integrieren in der Gesellschaft ist für einen Zuwanderer ein wesentliches Entscheidungskriterium, ob er dauerhaft in der Region bleibt oder wieder verloren geht. „Es reicht nicht nur, viel Kraft in eine punktuelle Willkommenskultur zu stecken. Vielmehr müssen wir es schaffen, das Ganze als eine gesamtgesellschaftliche Gemeinschaftsaufgabe von Unternehmen, Kommunen und dem gesamten sozialen Umfeld zu verstehen. Jeder Einzelne ist gefragt, denn wir können es uns nicht leisten, dass diese Fachkräfte weiterziehen“, unterstrich
Matthias Lißke
, Geschäftsführer der
Wirtschaftsförderung Erzgebirge GmbH
(
WFE GmbH
) den Kern der Lösung.
Willkommenslotse mit Weitblick: 5 Jahre Welcome Center Erzgebirge
Die erste Fachkräftetagung Erzgebirge fand im Februar 2014 statt. Unter der Überschrift „Willkommen im Erzgebirge“ nahm die WFE GmbH in Sachsen gemeinsam mit der Agentur für Arbeit und der IHK Chemnitz Regionalkammer Erzgebirge eine Vorreiterrolle ein. Bereits damals wurde nicht nur der Bedarf erzgebirgischer Unternehmen an ausländischen Fachkräften ermittelt, sondern auch eine FR-Regio Studie zur Initiierung regionaler Netzwerke für eine Willkommenskultur vorgestellt. Man erkannte frühzeitig, wie sehr sich die Notwendigkeit an Fachkräften von außerhalb aufgrund des demografischen Wandels zuspitzen würde. Infolge der zweiten Tagung im Juni 2014, die konkrete Best-Practice-Beispiele aufzeigte, wurde vor fünf Jahren das Welcome Center Erzgebirge (WCE) ins Leben gerufen. Nach einer Phase des Netzwerkaufbaus und der Etablierung kristallisierten sich in der Praxis spezifische Arbeitsschwerpunkte heraus.
„Im Gros führen wir Erstberatungen durch. Wo kümmere ich mich um eine Wohnung, wie funktioniert der Prozess der beruflichen Anerkennung, welche Schulen und Vereine gibt es und natürlich: wo kann ich mich weiter qualifizieren? Wir geben dazu erste Informationen in Form eines Handlungsplans, immer mit konkretem Hinweis, an welche speziellen Fachstellen sich derjenige wenden kann“, erklärt Kristin Kocksch, die Leiterin des Welcome Center Erzgebirge. Das WCE hat in einer Lotsenfunktion den Überblick über das Gesamtpaket, gepaart mit einer großen regionalen Kenntnis. Im Detail werden schließlich Experten in den Beratungsstellen des Netzwerks involviert. „Jeder Fall ist anders, oftmals sehr komplex, weshalb wir auf Individualität großen Wert legen“, so Kocksch weiter.
Chance: Offenheit für Talente aus aller Welt
Dass die Potentiale einer gelebten Willkommenskultur in Zeiten des steigenden Fachkräftebedarfs genutzt werden müssen, unterstrich auch Prof. Dr. Uwe Hunger von der Hochschule Fulda. Der Politikwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Migration bekräftigte, dass der Ausstrahlungseffekt unter Umständen enorm sei. „Durch eine gelebte Willkommenskultur öffnen sich Regionen für Talente aus aller Welt. Damit kann man dem Fachkräftemangel begegnen und wenn man die Prozesse bewusst begleitet, führt Diversität zu mehr Innovation und Wettbewerbsfähigkeit“, so Prof. Hunger. Grundsätzlich sei es aber wichtig, mit Themen wie Diskriminierung offen umzugehen, diese Strukturen zu erkennen und an einer Öffnung zur arbeiten. „Wie bei allen gesellschaftlichen Öffnungsprozessen ist der Weg nicht nur harmonisch und Konflikte entstehen. Deswegen ist ein Grundkonsens an dieser Stelle so wichtig.“
Neuland: Fachkräfteeinwanderungsgesetz hat Fragenpotential
„Mit Inkrafttreten des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes im März letzten Jahres stieg der Wissensbedarf vor allem bei den Unternehmen“, bestätigte Kay Tröger. Der Koordinator des Netzwerks IQ Sachsen ist vor allem in der Unterstützung von Kommunen, Arbeitnehmern und Arbeitgebern tätig und kennt Chancen und Herausforderungen des Gesetzes gleichermaßen. „Der Anteil von EU-Zuwandernden ist in den letzten Jahren nahezu konstant geblieben und durch die Regelungen der Freizügigkeit relativ einfach, wenngleich hier auch noch viele Fragen unbeantwortet sind. Die Netto-Zuwanderung von Fachkräften wird künftig vor allem aus Drittstaaten kommen“, so Tröger. Die Anerkennung der beruflichen Qualifikationen im direkten Zusammenspiel mit aufenthaltsrechtlichen Fragen seien die Hauptaspekte, um die es geht. „Das bedeutet, uns weiterhin intensiv auf Anerkennungsverfahren zu orientieren und unaufhörlich auch nachholende Anerkennungsberatungen bei den bereits hier lebenden Menschen durchzuführen, um auch wirklich jede Qualifikation nutzbar zu machen.“, appellierte Kay Tröger. Gleichsam sei es wichtig, vor allen den Unternehmen Fachwissen bereitzustellen und die Prozesse zu begleiten.
Zwischenmenschlichkeit: Kein Garant, aber ein guter Ansatz
Gerade für Unternehmer gestaltet sich der Integrationsprozess manchmal sensibel. Ein neuer Mitarbeiter steht einem gefestigten Team gegenüber. Sprachliche Hürden, teils noch fremde kulturelle Gepflogenheiten verunsichern. Oliver Knauf , Geschäftsführer der Firma Omeras aus Lauter, hat einen Weg gefunden, wie es gut funktionieren kann: „Meine Erfahrungen mit unserem internationalen Team bestätigen: Ein klares, transparent kommuniziertes Regelwerk baut Ressentiments ab und sorgt für ein stärkeres Teamgefüge. In unserem Unternehmen machen wir keine Unterschiede - jeder hat dieselben Rechte und Pflichten. Am Ende zählt die Person - nicht die Herkunft, Hautfarbe oder Religion.“ Aber bei allen menschelnden Aspekten betonte er dennoch: „Für integrationswillige Migranten müssen die bürokratischen Hürden abgebaut und eine stärkere Unterstützung – sei es finanzieller oder struktureller Art – durch Bund und Land sichergestellt werden. Dies beginnt bei längeren Geltungsdauern der ausgestellten Arbeitserlaubnisse und betrifft auch das Angebot von Sprachkursen, an denen die Arbeitnehmer vor oder nach der Arbeit auch teilnehmen können.“
Ausblick: Neue Ideen für die Neuen in der Region
Es gibt keine Alleinverantwortung! Das wurde in allen Beiträgen der 4. Fachkräftetagung Erzgebirge offensichtlich. Gesetze, die auf den Weg gebracht werden, und gut funktionierende Netzwerke brauchen als Basis eine Willkommenskultur in der Region, die Integration auf gesamtgesellschaftlicher Ebene ermöglicht. Dabei sind es nicht nur die Fachkräfte aus dem In- und Ausland, die Bedarf haben. „Auch Rückkehrer, die vor Jahren das Erzgebirge verlassen haben, wenden sich mit einem Fragenkatalog rund um Job- und Wohnungssuche, Hausbau, Schule und Vereinen an uns. Was auffällt: Gefragt ist immer ein lebenswertes Gesamtpaket. Also weg von: ‚Ich will hier arbeiten‘ hin zu ‚Das große Ganze muss stimmen, damit ich hier leben und arbeiten möchte‘“ so Kristin Kocksch. Geschnürt hat sie dafür ein Willkommens-Paket, das künftig Kommunen an ihre neuen Bürger geben können, nachdem die Kommunen einem umfangreichen Check inklusive individueller Beratung durchlaufen haben. Auch soll es künftig einen Kennenlernabend für „Neulinge“ der Region geben – vor allem zum Austauschen und Vernetzen – aber auch, „um ihnen eine der essentiellen Erzgebirgstraditionen auf ihren Weg hier zu geben: das gesellige Beisammensein, unser Hutzn“, meint die Leiterin des WCE augenzwinkernd.
Kleine Statistik zum Welcome Center Erzgebirge:
Seit Gründung des WCE im Juli 2016:
- 256 Rückkehrer bzw. Zuwanderer aus Deutschland individuell beraten – hierbei auch in 80% der Fälle mehrere Kontaktaufnahmen und Beratungsthemen je Fall
- 310 Zuwanderer aus dem Ausland individuell beraten – hierbei in 65% der Fälle mit 2 oder mehr Kontaktanfragen
- 211 Unternehmen individuell beraten und in Informationsveranstaltungen und Netzwerkveranstaltungen über 750 Unternehmen zu Zuwanderung- und Integrationsthemen sensibilisiert.