Erzgebirge hofft auf Welterbetitel
Baku/ Annaberg-Buchholz . Wenn es jetzt noch schiefgeht, wäre das eine Riesenüberraschung. Am 30. Juni beginnt die 43. Sitzung des Welterbekomitees der Unesco. Auf der Tagesordnung der bis zum 10. Juli angesetzten Sitzung steht auch die Entscheidung über den Antrag der Montanregion Erzgebirge zur Aufnahme in die Liste. Und da die Gutachter des Weltdenkmalrates Icomos das Begehren unterstützen, scheint die Zustimmung der Vertreter der 21 stimmberechtigten Staaten eine Formsache.
Für die Erzgebirger selbst sowieso. "Das Erzgebirge ist welterbewürdig", postuliert Matthias Lißke , Chef der Wirtschaftsförderung Erzgebirge , die bei dem Antrag die Fäden zusammenhält. "800 Jahre Bergbaugeschichte sind einzigartig", findet Lißke. "Der Wert dieser Geschichte, die lebendige Traditionspflege und die Zukunft dieser Region stehen in enger Verbindung." Der Bewerbungsprozess hat dabei gezeigt, dass die Erzgebirger über Durchhaltewillen verfügen. Die Idee war bereits 1999 aufgekommen, die erste Machbarkeitsstudie folgte kurz darauf. "Der lange Prozess hat viele Städte und Gemeinden sowie Parlamente, viele Vereine, viele private Bürger, Unternehmen, Touristiker und vor allem auch Menschen grenzüberschreitend zusammengebracht", sagt Lißke. Er schätzt, dass mehrere tausend Menschen im Erzgebirge auf die eine oder andere Art mit dem Antrag zu tun hatten.
Schon einmal, 2016, wähnten sie sich kurz vor dem Ziel. Doch damals stuften die Icomos-Gutachter den Antrag mit seinerzeit mehr als 80 Bestandteilen im deutschen und tschechischen Erzgebirge als zu ausufernd ein. Die Erzgebirger mit dem Freiberger Professor Helmuth Albrecht als federführendem Bearbeiter strafften die Bewerbung, fassten Bestandteile zusammen - und strichen schweren Herzens, was nicht direkt mit dem Erzbergbau in Verbindung stand. So sind heute die Steinkohle-zeugnisse in Oelsnitz ebenso wenig darauf zu finden wie die Spielzeugmacher aus Seiffen.
Übrig blieben 22 Bestandteile, davon 17 auf sächsischer Seite, wie die Montan- und Bergbaulandschaften Freiberg, Annaberg, Schneeberg mit ihren historischen Innenstädten und zahlreichen Zeugnissen der Bergbauvergangenheit, wie die Innenstadt Marienbergs, der Saiger-hüttenkomplex Olbernhau, die erst vor wenigen Jahren entdeckten Silberbergwerke Dippoldiswalde. Dass die Bewerbung so lange reifte, hängt aber auch damit zusammen, dass vor Ort wie in Dresdner Ministeriumsfluren teilweise Skepsis herrschte. Würde ein neuer Schutzstatus nicht die wirtschaftliche Entwicklung behindern, fragte sich mancher. Dass die Unesco wegen des Baus der Waldschlößchenbrücke dem Dresdner Elbtal den Welterbetitel aberkannte und so weltweit für negative Publicity sorgte, war da Wasser auf die Mühlen der Kritiker. Zumal sich die Aberkennung bei der Tourismusentwicklung der Stadt nicht bemerkbar machte. So brachten die damaligen Landtagsabgeordneten Tino Günther (FDP) und Alexander Krauß (CDU) die Idee auf, das Erzgebirge lediglich als immaterielles Kulturerbe zu würdigen. Schließlich aber stellte sich der damalige Innenminister Markus Ulbig (CDU) hinter die Bewerbung.
Insgesamt wurden in den vergangenen zehn Jahren 1,5 Millionen Euro investiert, sagt Lißke. "Im Wesentlichen" trugen ihm zufolge Städte und Gemeinden das Geld. Dazu kamen Fördermittel der EU für grenzüberschreitende Projekte. Die Region verspricht sich davon viel. Lißke: "Es geht um Bekanntheit, es geht um den Tourismus, der neue Zielgruppen erschließen und mit neuen Produkten mindestens das derzeitige Übernachtungsniveau sichern kann." Ein positives Image und wichtige Infrastrukturmaßnahmen würden sich auf den Wirtschafts- und Lebensraum positiv auswirken, die vielen montanhistorischen Denkmale seien wesentlich einfacher zu erhalten.
Erfahrungen der Unesco selbst, aber auch anderer Welterbestätten, geben ihm recht. Beispiel Zeche Zollverein in Essen: Auf der einst größten Steinkohleförderanlage Deutschlands arbeiteten einst 6000 Menschen. "Nach der Schließung von Zeche und Kokerei 1986 und 1993 drohten die umliegenden Stadtteile abgehängt zu werden", berichtet Sprecherin Delia Bösch. Doch 2001 wurde die Zeche Weltkulturerbe. Seitdem hat sie sich zum Besuchermagneten entwickelt, jährlich 1,5 Millionen Besucher bedeuten bei kulturellen Ausflugszielen in Nordrhein-Westfalen Platz zwei hinter dem Kölner Dom. Auf dem Gelände hatten sich mehr als 50 Unternehmen der Kreativwirtschaft angesiedelt, wurden 2500 Arbeitsplätze neu geschaffen. Für eine Kunsthochschule entstand ein Neubau, bald folgt ein Hotel.
Doch nur auf den Titel allein ist so eine Entwicklung nicht zurückzuführen. Der Aufwand ist beträchtlich. Von 1990 bis 2016 wurden rund 334 Millionen Euro Steuermittel investiert, bis 2025 sollen noch einmal 100 Millionen folgen. Und die Unesco wacht mit Argusaugen, damit denkmalgerechter Erhalt und kulturelle Nutzung im Einklang bleiben. "In der Praxis erweist sich dieser Auftrag als äußerst komplex", räumt Delia Bösch ein. Ein Expertenforum soll nun Leitlinien erarbeiten, um die Balance zu wahren. Dennoch: "Zollverein gilt als Leuchtturm des Ruhrgebiets", sagt Bösch.
Von dem Titel können auch kleine Institutionen profitieren. So das von Bauhaus-Gründer Walter Gropius 1911 errichtete Fagus-Werk in der niedersächsischen Kleinstadt Alfeld. Ein Welterbe, in dem noch produziert wird, beispielsweise Schuhleisten. Besucher blicken Mitarbeitern über die Schulter, die dann abends auch mal die Halle noch für eine Kulturveranstaltung ausfegen. Bei Investitionen und wirtschaftlicher Entwicklung stimmen sich die Eigentümer eng mit der Unesco ab. "Das funktioniert sehr gut", sagt Fabienne Gohres, Welterbe-Managerin im Fagus-Werk. Die Besucherzahl sei seit dem Titel deutlich gestiegen, von 9000 auf jetzt um die 20.000 jährlich, auch internationale Gäste finden nun den Weg in die niedersächsische Provinz. Und die Stadt sei stolz darauf. "Für uns als Unternehmen ist das eine Bereicherung", versichert Gohres. Fürs Erzgebirge, da ist sich nicht nur Lißke sicher, würde das genauso gelten.
Quelle: Freie Presse vom 17.06.2019, Frank Hommel