Die Jäger des verlorenen Schatzes
Lithium wird immer begehrter, die Weltmarktpreise explodieren. Freiberger Forscher haben jetzt ein Verfahren entwickelt, mit dem sie den Rohstoff aus heimischen Vorkommen gewinnen und aus alten Batterien recyceln können. Lithium ist in unserem Alltag allgegenwärtig. Ob in Cerankochfeldern oder Solarzellen, in den Akkus kabelloser Telefone oder elektrischer Zahnbürsten und natürlich in Autos. Vor allem die zunehmende Elektromobilität lässt die Nachfrage steigen. Bis 2025 sollen 70 Prozent des gehandelten Lithiumcarbonats – die Rohstoffquelle von Lithium – für Batterien von Elektroautos genutzt werden. Lithium ist für Speichertechnologien sehr gut geeignet, weil das Leichtmetall eine hohe Energiedichte erreicht. Prognosen gehen von einer Vervierfachung der Nachfrage bis 2025 aus. Der Weltmarktpreis hat sich in den letzten zwei Jahren bereits mehr als verdoppelt. Eine Tonne Lithium kostet mittlerweile fast 14.000 US-Dollar, Tendenz steigend. „Lithium ist ein kritischer Rohstoff“, sagt Professor Martin Bertau, Chemiker an der Technischen Universität Bergakademie Freiberg in Sachsen. „Man sollte es nicht wegwerfen und neues kaufen, sondern im Kreislauf behalten.“ Frühzeitige Förderung Bis vor wenigen Jahren hat sich in Deutschland niemand darum gekümmert. Die heimischen Lithium-Ressourcen blieben ungenutzt – sowohl unter der Erde als auch in alten Akkus, die im Müll landeten, statt aufbereitet zu werden. Martin Bertau und seine Mitstreiter wollten das ändern. Bereits vor sechs Jahren gründeten die Wissenschaftler der TU Bergakademie Freiberg gemeinsam mit regionalen Unternehmenspartnern das Bündnis „Hybride Lithiumgewinnung“, das durch das Wachstumskern-Potenzial-Programm des BMBF gefördert wurde. Ihre Idee war, Lithium mit ein und demselben Verfahren zu gewinnen und zu recyceln. „Das Bundesforschungsministerium hatte damals schon die Weitsicht, unser Vorhaben zu fördern, als noch kein anderer an Lithium gedacht hat“, erinnert sich Bertau. Dafür ist er sehr dankbar, denn diese frühe Unterstützung trägt inzwischen reichlich Früchte. Üppige Vorkommen Die Freiberger haben eine Technologie entwickelt, die es ermöglicht, den wertvollen Rohstoff aus dem Lithiumerz Zinnwaldit zu gewinnen. Das Erz ist nach dem Ort benannt, in dem es reichlich unter der Erde lagert: das sächsische Zinnwald im Erzgebirge . Aktuelle Untersuchungen haben gezeigt, dass dort rund 70.000 Tonnen des begehrten Erzes zu finden sind – deutlich mehr als bisher angenommen. Es sind die größten Zinnwaldit-Vorkommen in ganz Europa und die zweitgrößten der Welt. Die Gewinnung ist recht unproblematisch. „Zinnwaldit wird durch Tiefbergbau abgebaut“, erläutert Martin Bertau. „Das heißt, anders als beim Abbau von Kohle gibt es keinen Tagebau und damit auch keinen großflächigen Eingriff in die Natur .“ Lediglich eine Öffnung im Berg, durch die Lastwagen rollen können, ist notwendig. Der Rohstoff wird unter Tage gewonnen und nur die Erze werden abtransportiert. Das restliche Material bleibt im Berg. Hohlräume, die später Probleme bereiten könnten, gibt es deshalb nicht. Doppelter Nutzen Doch so einfach und umweltschonend es auch sein mag, den Rohstoff ans Licht zu holen, so schwierig ist es, daraus Lithium zu gewinnen. Denn das Zinnwaldit-Erz enthält auch Aluminium, Eisen und Fluor. Aus diesem Materialmix Lithiumcarbonat zu gewinnen, das unter anderem für die Produktion von LithiumIonen-Batterien genutzt wird, ist erst durch das Freiberger Verfahren möglich. Wie funktioniert dieses Verfahren? Zunächst wird das Erz zerkleinert und auf circa 1.000 Grad Celsius erhitzt. Auf diese Weise bilden sich aus dem Zinnwaldit neue mineralische Komponenten, vor allem ein lithiumreiches Silikat mit dem Namen β-Spodumen. „Unter Zugabe von Kohlendioxid und Wasser reagiert das im Spodumen enthaltene Lithium zu Lithiumhydrogencarbonat“, erklärt Bertau. „Die gering konzentrierte Lithiumhydrogencarbonat-Lösung lässt sich mit Hilfe der Elektrodialyse anreichern. Das dabei erhaltene Konzentrat wird erhitzt, das CO2 entweicht und es entsteht Lithiumcarbonat, welches sich einfach abtrennen lässt.“ Das Kohlendioxid gelangt nicht in die Atmosphäre, sondern wird aufgefangen und erneut genutzt. Das klingt sehr komplex, ist aber ein relativ unkompliziertes chemisches Verfahren, und das Beste daran: Es lässt sich genauso gut für das Recycling nutzen. Aus alten Akkus wird damit der Rohstoff Lithiumcarbonat wiedergewonnen und verschwindet nicht im Müll. Internationales Interesse Die Kosten für das neue Verfahren sind überschaubar. Für die chemische Gewinnung einer Tonne Lithiumcarbonat aus Zinnwaldit rechnen die Freiberger Forscher mit 1.000 US-Dollar. Hinzu kommt die Finanzierung des Erzabbaus. Doch selbst damit bleiben sie mit ihrer Methode weit unter den derzeitigen Weltmarktpreisen. „Außerdem macht uns die Gewinnung des heimischen Zinnwaldits unabhängig von teuren Importen“, resümiert Martin Bertau. Drei Patente haben der Chemiker und sein Team für ihr Verfahren bereits angemeldet. Anfragen von Firmen aus der ganzen Welt liegen auf ihrem Tisch. Ein europäisches Unternehmen prüft gerade den Kauf der Patente, um das Verfahren in die industrielle Nutzung zu überführen. Dem steht nichts im Weg, denn die Anlagen, die für die Lithium-Gewinnungstechnologie gebaut werden müssen, sind Standard in der chemischen Industrie , keine Sonderanfertigungen. Nach dem sogenannten Upscaling vom Labor- in den Industriemaßstab und einer kurzen Testphase kann es richtig losgehen. Auch der Abbau von Zinnwaldit wird vorangetrieben. Das Freiberger Unternehmen Deutsche Lithium GmbH, das sich um weitere Investoren bemüht, plant ein Bergwerk, in dem künftig bis zu 150 Beschäftigte arbeiten sollen. Wenn alles gut läuft, soll im Sommer 2021 das erste Lithium-Produkt aus Sachsen auf den Markt kommen. Für Martin Bertau und seine Mitstreiter ist das ein toller Erfolg. Ihre Idee, die mit dem Wachstumskern-Potenzial erstmals gefördert wurde, ist nun aufgegangen. Die von ihnen entwickelte nachhaltige Technologie wird die Lithiumgewinnung revolutionieren – weit über die Grenzen Sachsens hinaus. Quelle: Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), "Unternehmen Region" Ausgabe 3/2017