Aue - der Wahnsinn geht weiter
VON THOMAS TREPTOW
Aue - Am Blickwinkel der Auer ändert der Platz an der Sonne freilich ganz und gar nichts.
Die Veilchen schielen nicht nach oben. Und wenn, dann posaunen sie es klugerweise nicht in die Welt hinaus: "Spitzenreiter zu sein, ist schon ein schönes Gefühl. So viele Punkte weit weg von unten, das ist unser Ziel", argumentierte Kevin Schlitte. "Wir gucken nicht auf die Tabelle, sondern machen so weiter wie bisher. Alles andere interessiert nicht", schlug Tobias Kempe in die gleiche Kerbe. Abwehrrecke Adli Lachheb stand ihnen nicht nach: "Wir träumen nicht, bleiben auf dem Boden. 30 Punkte sind die Realität."
Großspurige Ansagen sind im Erzgebirgsstadion tabu. Dabei könnte sich das
Überraschungsteam der 2. Liga nach dem sechsten Heimsieg in Folge zumindest ein
klitzekleines Stückchen weiter aus dem Fenster lehnen. Denn in der ersten Halbzeit
spielten die Platzbesitzer die überaus bieder agierenden Gäste, wie Mittelfeldmann Marc
Hensel richtig erkannte, "förmlich an die Wand." Wobei die Betonung auf "spielen" liegt.
Aachens Trainer liegt daneben
Ein ums andere Mal lief der Ball wie geschmiert durch die Reihen der Erzgebirger.
Gelungene Kombinationen mündeten oft in Torgefahr. Bei ansehnlichen Dribblings, etwa
von Lachheb oder Jan Hochscheidt über den halben Platz, rieb sich nicht nur manch
Zuschauer die Augen. Das passte so gar nicht zu dem Stempel einer nur rackernden und
grätschenden Truppe. Wenig war auch von einer Mannschaft zu sehen, die nur mit langen
Bällen agiert. So schätzte Trainer Peter Hyballa die Auer ein. Womit Aachens Coach daneben lag. "Wir haben hervorragend zusammengespielt und nicht nur gekämpft",
lobte FCE-Trainer Rico Schmitt zu Recht.
Wenn es in den ersten 45 Minuten etwas zu bemängeln gab, dann die Torausbeute. Vor
und nach dem Führungstreffer des bärenstarken Lachheb (24.), der den Ball nach einer
Kempe-Ecke aus Nahdistanz zu seinem zweiten Saisontor ins Netz beförderte, hatten
Hensel (19.) und Hochscheidt (30.) sehr gute Möglichkeiten. Auch bei diesen beiden
Chancen gab jeweils Kempe die Vorlage. Der 21-Jährigeabsolvierte ein großes Pensum
und seine klugen Pässe fanden meist einen Abnehmer. "Das war sehr, sehr ordentlich.
Wenn Tobias diesen Weg beibehält, kommt er Schritt für Schritt voran", wertete Schmitt.
Der offensive Mittelfeldspieler selbst gab das Lob an die gesamte Mannschaft weiter. "Ich
denke, alle haben eine große Leistung gezeigt und ich konnte meinen Teil beitragen."
Schmeichelhafter Elfmeter
Das gilt auch für Kevin Schlitte. Der ehemalige Rostocker trug ebenfalls seinen Teil bei. Er spielte ordentlich, nur machte er die Partie ungewollt noch einmal spannend. 2:0 lag Aue in Front - Hochscheidt hatte in der 62. Minute eine feine Kopfballvorlage von Hensel aufgenommen und das Leder überlegt ins lange Eck geschoben - da ging Schlitte im Strafraum in einen Zweikampf mit dem eingewechselten Babacar Gueye. Als der senegalesische Nationalspieler plötzlich stürzte wie von einer Axt gefällt (67.), zeigte Schiedsrichter Günter Perl auf den Punkt. "Ich berühre ihn. Den Elfmeter kann man, muss man aber nicht geben", meinte der Auer diplomatisch.
Spielentscheidend war der Anschlusstreffer durch Höger, der Torhüter Martin Männel mit
einem platzierten Schuss ins rechte untere Eck überwand, nicht mehr. Die FCE- Abwehr
stand gut und bei Kontern lag ein drittes Tor für die Hausherren in der Luft. Es fiel nicht
mehr. Dafür fielen sich die Auer nach dem Schlusspfiff jubelnd in die Arme. Die Fans
huldigten dem neuen Spitzenreiter. Ein schöner Moment, den alle genießen können. Bis
zum Derby am nächsten Sonntag in Cottbus.
Aue: Männel - le Beau, Lachheb, Paulus, Klingbeil (75. Birk) - Hensel, Schröder - Schlitte,
Kempe, Hochscheidt (89. F. Müller) - Glasner (69. Ramaj)
Aachen: Hohs - Casper (64. Demai), Stehle (V/46. Gueye), Herzig, Achenbach -
Feisthammel - Höger, Junglas - Arslan - Auer, Stieber (77. Lubasa)
SR: Perl (Pullach), Tore: 1:0 Lachheb (24.), 2:0 Hochscheidt (62.), 2:1 Höger (67.
Foulelfmeter), Zuschauer: 10.636. Quelle: Freie Presse, Ausgabe Annaberger Zeitung, 22.11.2010