08.10.2024
Warum dieses Paar den Rhein gegen das hERZland tauscht
Echte Kölner lieben ihre Stadt. Und viele Zugezogene auch. So wie Anne-Kristin und Marc Richter, die acht Jahre mit Leib und Seele in der Stadt am Rhein lebten. Heute sind sie wieder zurück im Erzgebirge – hier, wo sie aufgewachsen sind. Aber ist das Erzgebirge nun die bessere Alternative oder Köln doch die lebenswertere Stadt? Anne-Kristin sagt: „Köln ist schön, es kommt nur auf das Viertel an.“ Marc sagt: „Findest du wirklich?... Naja, es gibt wohl zwei, drei schöne Ecken...“ Mit ihrer offenen, herzlichen Art haben beide gut in den Kölner Trubel samt Karneval gepasst. Denn im Menschen willkommen heißen, sind Kölner einfach top. Bei aller Liebe zu dem bunten Leben am Rhein gab es dennoch gute Gründe dafür, dass die junge Familie wieder den Schritt zurück ins Erzgebirge gewagt hat.
Man muss im Leben einfach flexibel bleiben und sich immer auf neue Situationen einlassen.
Sprechen Anne-Kristin und Marc Richter über ihre Lebenszeit in Köln, spürt man: Da sind viele kontroverse Emotionen im Spiel, die auch nach vier Jahren Zurücksein im Erzgebirge noch genug Diskussionsstoff bieten. Nach Köln ist das Paar, das sich während der Schulzeit am Thumer Gymnasium kennenlernte, jobbedingt über einen Umweg im Schwabenland gekommen. „Die Schwaben ticken ähnlich wie die Erzgebirger und brauchen Zeit, Menschen kennenzulernen. Aber wenn man zu ihnen dazu gehört, hat man ihre Herzen auf Lebenszeit.“ Dann, mit dem Umzug 2012 nach Köln offenbarte sich ihnen eine völlig andere Welt, mit entspannten, herzlichen und offenen Leuten, denen der Karneval im Blut liegt und die immer neugierig auf neue Begegnungen sind.
Kölle Alaaf und FC Köln – eine Liebe, die tief steckt
Für jemanden, der Köln nicht kennt, beschreiben Anne-Kristin und Marc die Stadt am Rhein so: Kölner haben eine hohe Identität mit ihrer Stadt. Kölle Alaaf und der FC Köln – das sind zwei Markenzeichen einer Stadt, von denen man sich als Neue anstecken lässt, weil sie immer präsent sind. Damit schon neue Erdenbürger von Geburt an den Kölner Virus in sich tragen, kann man in einem FC-Zimmer der Klinik direkt entbinden und danach das Kind gleich im Fußball-Verein anmelden. Oder beim Karneval, von dem es etwa 30 Vereine gibt – in jedem Stadtteil mindestens einen. Eine schöne Altstadt, der Dom, Radfahren am Rhein mit seiner Köl´schen Riviera, die sogenannten „Büdchen“ oder Kneipen, in denen man sich abends trifft: „Wir haben gern dort gelebt und uns komplett darauf eingelassen.“
Bauernhöfe – die neuen Ziele im Familienleben
Anne hatte in Köln einen zeitintensiven Job, unterstützte für eine Klinikrentenversicherung die Personalabteilungen in Krankenhäusern. Marc vertrieb Baumaschinen, war geschätzte 100 Tage im Jahr auf Dienstreisen im Ausland unterwegs – auch als die erste Tochter, heute sieben Jahre, schon geboren war. Bis zur Familiengründung zog man abends noch mal schnell in die Kneipe um die Ecke, Freunde treffen oder am Wochenende auf Konzerte. Als das Baby auf die Welt kam, veränderte sich der Fokus des jungen Paares. Mehr und mehr zog es sie nun raus aus der Stadt auf das Land. Bauernhöfe, Streichelgehege – so hießen die neuen Ausflugsziele. Anne-Kristin teilt das Leben in die Epochen vor und nach der Geburt der Kinder und sieht das Ganze sehr pragmatisch: „Man muss im Leben einfach flexibel bleiben und sich immer auf neue Situationen einlassen.“ Und so wechselte auch ihr Mann im Jahr 2018 den reiseintensiven Job, um mehr Zeit für die Familie zu haben: „Ich wurde aber nicht glücklich, weil die Chemie im neuen Team nicht stimmte.“
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Da hammer ganz schön überlegt.
Die Heimat klopft immer lauter an
Neben dem neuen Lebensmodell vom Paar zur Familie gab es noch einen zweiten Punkt, der Gedanken an eine Rückkehr ins Erzgebirge nährte. Annes Vater hatte 1995 ein Versicherungsbüro in Zschopau gegründet. Das Geschäft lief mehr als gut, mit 3.500 Kunden zählt es bis heute zu den größten seiner Art in Sachsen. Vor fünf Jahren kam das Thema Ruhestand und damit eine mögliche Nachfolgeregelung auf den Tisch. Er stellte den Kindern die Frage, ob sie sich eine Weiterführung vorstellen könnten. „Da hammer ganz schön überlegt“, sagen beide einhellig. Ein halbes Jahr ziemlich genau. Was immer mitschwebte bei der Entscheidungsfindung war die Tatsache, dann die Familie, allen voran die Großeltern, vor der Nase zu haben. Ein Fakt, der mehr als Gold in dem Moment wog. Was auch lockte, war die Aussicht, zusammenarbeiten und sich als Selbstständige verwirklichen zu können. Und schließlich blitzte noch ein weiterer Pluspunkt auf: Der Nachwuchs müsste nicht in der Anonymität einer Großstadt in die Schule gehen und schon als Erstklässler mit einer Bahn fahren, die oft ein mulmiges Gefühl hinterlässt. Und ja, auch die Kitagebühren waren in Köln enorm. „Und natürlich war es auch die Wertschätzung meinem Vater gegenüber, das, was er hier aufgebaut hat, gut weiterzuführen“, so Anne-Kristin.
Beste Entscheidung im Gewissenskonflikt
In Köln lebte das Paar in einem Bekanntenkreis aus Einheimischen und Zugezogenen – auch Erzgebirgern, die sich scheinbar überall auf der Welt zusammenfinden. Einmal staunten sie nicht schlecht, als an ihrem Auto mit ERZ-Kennzeichen ein Zettel klemmte – geschrieben von einem Erzgebirger aus Kemtau, mit dem sie noch heute befreundet sind. In die Heimat Erzgebirge kamen sie stets zu vielen Gelegenheiten, vor allem zu Geburtstagen und an Feiertagen. Bewusst war ihnen immer: Ziehen wir aus Köln weg, geben wir unser soziales Umfeld auf und sind dafür der Familie nah. Ein echter Gewissenskonflikt. Und dann kam Corona, mit all den Regularien und Restriktionen, die weder regelmäßige Treffen mit Freunden in Köln noch mit der Familie im Erzgebirge möglich machten. Was aber wuchs, war die Sehnsucht nach Familie und Wehmut nach Geborgenheit.
Die Zeit in Köln bleibt bis heute tief im Herzen. Aber es gibt viele Dinge, welche die inzwischen vierköpfige Familie zu schätzen weiß: „Es ist das klassische Stadt-Land-Thema, was wir selbst erleben. Das Erzgebirge ist entspannter als Stadt. Man kann hier ruhiger leben und die Kinder bedenkenlos draußen spielen lassen. Wir haben nun endlich einen Hund, der tagsüber mit im Büro ist. Und klar, wir genießen die Natur – auch wenn wir Köln schon als recht grüne Stadt empfunden haben. Oft treffe ich mich mit alten Schulfreunden“, erklärt Marc. Anne-Kristin und Marc betrachten das Leben in Abschnitten. Jetzt befinden sie sich in jenem, der ganz den Kindern geweiht ist. Wie das Leben der beiden in 15 Jahren aussieht, das lassen sie sich offen. „Aber hier und heute bleibt die Familie im Erzgebirge. Jetzt ist es hier für uns das Beste“, sind sich die beiden Rückkehrer sicher. Und dann ergänzen sie noch nachdenklich: „Etwa die Hälfte unserer Kölner Bekanntschaften ist inzwischen aufs Land gezogen oder zu ihren Familien zurück.“
Text: Sabine Schulze-Schwarz
Fotos: Celina Schubert, Stadtverwaltung Zschopau/Schloss Wildeck