03.03.2020
„Erzgebirger“ oder „Erzgebirgler“, das ist hier die Frage. Eine Frage, an der sich zuweilen die Geister s̶t̶r̶e̶i̶t̶e̶n̶ scheiden. Deswegen fragen wir einen echten Experten zu seiner Einschätzung: Wie heißt es denn nun?
„Erzgebirger“ oder „Erzgebirgler“, diese Frage haben wir auch den Abonnenten unserer Facebook-Seite in einer Umfrage gestellt. Das Ergebnis spricht für sich – wenngleich es nicht so eindeutig war, wie mancher vielleicht vermutet hat: 64 % der knapp 2.600 Teilnehmer sprechen sich für „Erzgebirger“ aus. 36 % ziehen die „Erzgebirgler“-Variante vor.
Wir wollen es aber genauer wissen und haben deshalb einen Experten gefragt: Daniel Schöller ist Sprachwissenschaftler an der Professur Germanistische Sprachwissenschaft, Semiotik und Multimodale Kommunikation beim Institut für Germanistik und Kommunikation (IfGK) an der TU Chemnitz . Wenn es einer wissen muss, dann er. Und er hat sich dankenswerterweise die Zeit genommen uns aufzuklären, ob denn nun die Version mit oder ohne „l“ richtig ist.
Wie heißt es denn nun: Erzgebirger oder Erzgebirgler?
Daniel Schöller, Sprachwissenschaftler an der Professur Germanistische Sprachwissenschaft, Semiotik und Multimodale Kommunikation an der TU Chemnitz
Um dieser Frage nachzugehen, wollen wir uns zuerst die beiden Wörter unter einer sprachwissenschaftlichen Lupe genauer ansehen. Dabei ist zu erkennen, dass sich beide Wörter von der Form her lediglich durch ein -er bzw. ein -ler am Wortende unterscheiden. Mit beiden Elementen können aus einem Wort Personenbezeichnungen gebildet werden, die sich zum Beispiel auf eine Tätigkeit (Sport ➡ Sportler, fahren ➡ Fahrer), einen Beruf (Botschaft ➡ Botschafter, Wissenschaft ➡ Wissenschaftler) oder die Herkunft (Chemnitz ➡ Chemnitzer, Freiberg ➡ Freiberger) der Person beziehen. Als solches Wortbildungselement wird -er heute vor allem an Verben (also z.B. fahren ➡ Fahrer, lehren ➡ Lehrer, denken ➡ Denker) angehängt. -ler wird dagegen viel lieber an Substantive wie Sport, Wissenschaft oder eben Gebirge usw. angehängt. Und dieses Vorgehen ist schematisch, d.h. es ist ein Muster, das häufiger und typischerweise angewendet wird.
Es ist aber so, dass beide Möglichkeiten ohne Bedeutungsunterschied nebeneinander existieren können und dann z.B. räumlich unterschiedlich verteilt sind. In der Schweiz und Österreich wird bspw. viel häufiger Wissenschafter verwendet, in Deutschland nur Wissenschaftler.
In der Entwicklungsgeschichte der deutschen Sprache treten beide Formen sehr früh auf, wobei -er ursprünglicher ist. -ler kann zudem eine abwertende und spöttische Bedeutung haben. Das muss nicht zwingend sein – oder nicht mehr wie heute beim Wissenschaftler. Es zeigt sich erst in der Situation der jeweiligen Verwendung. Im Gedicht „Graf Eberhard der Greiner von Wirtemberg“ benutzt Schiller z.B. den Ausdruck Städtler in spöttischer Weise. Diese Art der Verwendung wird auch augenscheinlich bei Provinzler, Einsiedler oder Hinterwäldler.
Erzgebirgler? Erzgebirger? – hERZmenschen!
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Schauen wir in ein Nachschlagwerk wie den Online-Duden, dann ist nur das Stichwort Erzgebirgler verlinkt. Das Stichwort des Artikels beim Aufruf lautet „Erzgebirgler, auch Erzgebirger“. Lesen wir eine regionale Zeitung, dann findet sich Erzgebirger, in Textsammlungen von überregionalen Zeitungen findet sich häufiger Erzgebirgler. Wie kann das sein? Und gibt es die eine „richtige“ Bezeichnung?
Zunächst fällt auf, dass die eine Form – Erzgebirger – die bevorzugte Eigenbezeichnung ist. Diese finden wir auch im Wörterbuch der Grimm Brüder. Die andere Form nicht. Der Erzgebirgler scheint dagegen häufig eine Fremdbezeichnung zu sein.
Für die weitere Diskussion müssen wir noch berücksichtigen, dass Substantive aufgrund von spezifischen grammatischen und semantischen Merkmalen in weitere Klassen unterteilt werden. So sind Substantive wie Tisch, Auto oder auch Berg und Gebirge Gattungsnamen. Mit ihnen werden z.B. konkrete Gegenstände bezeichnet, die auch in einer Vielzahl vorkommen. Daneben gibt es die Klasse der Eigennamen. Mit ihnen werden Einzeldinge bezeichnet: z.B. „Chemnitz“ als Stadtname. Der typische Eigenname ist „leer“ – er ist wie ein Etikett. Es gibt aber auch einen Übergangsbereich. Aus Gattungsnamen können Wörter zusammengesetzt werden, die dann als Eigenname dienen. Der Eigenname „Fichtelberg“ für die höchste Erhebung in Sachsen ist ein Beispiel dafür. Wir meinen und denken mit „Fichtelberg“ nicht (mehr) an einen Berg mit vielen Fichten, den Gattungsnamen aus dem das gesamte Wort zusammengesetzt ist, auch wenn die Herleitung eventuell noch sichtbar und nachvollziehbar ist.
Warum ist das wichtig? Herkunftsbezeichnungen, die aus einem Eigennamen abgeleitet sind, werden in großem Umfang mit -er abgeleitet (Chemnitzer, Lausitzer, Schwarzwälder, Schweizer und auch Freiberger). Bei einem geografischen Gattungsnamen ist darüber hinaus auch -ler möglich: Bergler, Gebirgler, Älpler, Südstaatler.
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Beim Erzgebirge stellen sich daher folgende Fragen: Wie gut ist der Eigenname? Wie viel Vorstellung „steckt“ noch in dem Wort? Ist der geografische Name leer? Die beiden einfachen Wörter Erz und Gebirge sind Gattungsnamen. Ihre Bedeutung ist in gewisser Weise noch verstehbar und kann zusammengesetzt werden: Ein Gebirge, ein bestimmtes Gebirge, nämlich „aus“ Erz bzw. einem hohen Anteil an Erzvorkommen. Mit dieser Bedeutungsaufladung nähert sich der geografische Name einem Gattungsnamen an und tendiert damit zur Bildung mit -ler für „Person kommt aus dem Erzgebirge“.
Je mehr der geografische Name als ein typischer Eigenname aufgefasst wird, desto eher wird das Schema „Herkunftsname + er“ und damit Erzgebirger wahrscheinlicher und zwingender.
Das Ausgeführte gilt analog und grammatisch regulär für „die Person ist weiblich und kommt aus dem Erzgebirge“: Erzgebirg-er/ler-in.
Fazit
Beide Formen – der Erzgebirger und der Erzgebirgler – folgen regulären grammatischen Wortbildungsmustern. Die Frage ist, wie stark der geografische Name noch mit Bedeutung (begrifflichem Inhalt) seiner Wortbestandteile aufgeladen ist und wie viel Vorstellung dem Namen damit noch zukommt. Der Erzgebirgler kann tatsächlich abwertende und spöttische Bedeutung haben. Das häufige Vorkommen als Fremdbezeichnung kann diesen Eindruck verstärken. Der Erzgebirger ist als Form grundsätzlich neutral.