Wo die Liebe hinfällt

14.05.2024

Ein sonniger Spätsommernachmittag in Gablenz, einem kleinen Dorf zwischen Stollberg und Aue . Mitten im Ort grüßt eine himmelblaue Scheune, am Apfelbaum leuchten prallgelbe Auguster. Vor der knallroten Tür lädt ein handgeschriebenes Schild ein, doch mal hereinzuschauen ins Kreativ-Café Agape, das mittwochs, donnerstags und samstags geöffnet hat. Na, das mache ich doch gern!

Simone Schwind begrüßt mich mit einem herzlichen Strahlen. „Komm rein“, sagt sie und gibt den Blick frei auf einen großen, lichten Raum. An zwei langen Tischen sitzen Frauen und basteln. Lachend, schwatzend, vertieft ins Tun und doch in regem Austausch. Wir kommen sofort ins Gespräch. Christin ist Stammgast, sie wohnt direkt gegenüber und besucht das Kreativ-Café regelmäßig aller zwei Wochen. Heute hat sie zwei Freundinnen mitgebracht. Gemeinsam mit ihren Kindern verbringen sie hier den Nachmittag beim Basteln und Reden.

Die neunjährige Nora verziert mit Fingerspitzengefühl und Fantasie eine hölzerne Schatzkiste mit Glitzersteinen und Perlen, Deborah formt winzige Donuts für ihr Spielhaus. Ihre sechzehnjährige Schwester hat atemberaubende Schmuckstücke kreiert – filigrane Blümchenohrringe und ein Kettenanhänger im Streuselplätzchen­Look. Materialien und Zubehör für ihre Kunstwerke finden sie in unzähligen kleinen Schubladen und Kommödchen, die überall im Raum verteilt sind. „Das haben wir zu Hause nicht“, sagen die Mädchen, „und außerdem macht es hier viel mehr Spaß.“ An Ideen mangelt’s keinesfalls – dafür hat Simone Schwind gesorgt. Mit viel Liebe sucht sie Kreativ­Ideen aus dem Internet heraus, die ihre Gäste dann umsetzen. „Kreatives Am-Handy-Sitzen“, nennt sie diese Methode. Immer wieder schauen die vor-wiegend weiblichen Besucher aufs Tablet und setzen um, was sie dort sehen – „die perfekte Kombination aus analog und digital“, lacht Simone, die mir gleich das „Du“ angeboten hat.

Kreativcafé Agape

Siedlerstraße 2

09366 Stollberg/Erzgeb. OT Gablenz

Email : info@kreativcafe-agape.de

https://kreativcafeagape.simplybook.it/

Nach wenigen Minuten steht ein dampfender Kakao und ein Stück Apfeltorte auf dem Tisch – natürlich selbst gebacken mit den Äpfeln aus dem eigenen Garten. Ich kann nicht widerstehen – das will ich auch! Im Handumdrehen serviert mir Emma meinen Wunsch. „Emma kommt fast immer“, erzählt Simone mit anerkennendem Blick. „Für die Mädchen aus dem Dorf ist es toll, mal rauszukommen, im Café zu sitzen und zu reden – das gibt’s ja nicht so oft in der Gegend. Hier schnuppern sie ein bisschen ‚große Welt‘“ – wie in Berlin oder Köln, wo Simone ursprünglich herkommt. Sie ist mit der Kaffeehauskultur aufgewachsen und hat den Vibe der Großstadt ein bisschen vermisst hier in Gablenz, wo die Liebe sie hingezogen hat. Für eine echte Kölner Frohnatur ist das kein Grund zum Verzagen – und so hat sich Simone ihr Café einfach ins Erzgebirge geholt.

Großstadt-Vibe im Erzgebirge

Die Tür fliegt auf, und wie ein Wirbelwind fegt Maria herein. Auch sie kommt jede Woche und trifft sich hier mit ihrer Mama und ihrer Schwester Anja. „Meistens bring' ich meine Tochter noch mit“, sagt Maria.

Das Treffen ist für uns wertvolle Familienzeit – sonst würden wir wohl nicht so oft zusammenkommen.

Sie schätzt die Regelmäßigkeit und die Auszeit vom Alltag, die gerade mittwochs so wohltuend ist, um mal runterzukommen. „Wisst ihr, was ich jetzt mache?“, fragt Maria, noch bevor sie sich zu ihrer Familie an den Tisch setzt. „Ich ess‘ jetzt ein Stück Kuchen! Darauf hab ich mich den ganzen Nachmittag gefreut.“ Die zwölfjährige Emma springt auf und flitzt in die kleine Küche.

„Ich wollte schon immer ein eigenes Café haben“, erzählt sie. Ihr Mann war sofort Feuer und Flamme. „Ohne ihn wäre dieses Projekt unmöglich gewesen“, sagt Simone. „Wir haben jeden Montag gebaut – fast vier Jahre lang.“ Mit viel Liebe und handwerklichem Geschick wurde aus der alten Garage ein wunderschönes Café, wie man es durchaus auch in Köln finden könnte. Pastellfarbene Wände, Wimpelketten und wiederaufgemotzte alte Stühle erinnern an die Kreativ-Oasen von Pinterest & Co. Das Highlight sind die alten Holzkommoden mit selbst gebauten Aufsätzen, in denen Hunderte kleine Schublädchen für die Bastelmaterialien Platz finden.

„Mein Mann ist Tischler“, lächelt Simone, als sie meinem staunenden Blick folgt. Wie praktisch! Und auch Simone hat ein Faible fürs Werkeln mit Holz: „Ich wollte eigentlich mal Holzspielzeugmacherin werden“, verrät sie mit einem Augenzwinkern. „Doch da hieß es damals: Dafür musst du ins Erzgebirge gehen. Das wollte ich als junges Mädchen auf keinen Fall. Und nun, zwanzig Jahre später, sitze ich genau hier, weil ich im Internet einen Mann von hier kennen-lernte. Verrückt, wie das Leben manchmal spielt!“ Finanziellen Anschub erhielt die Idee vom Kreativ-Café durch ein Preisgeld der LEADER - Region „Tor zum Erzgebirge e.V.“ im Wettbewerb „Gieht luus! Deine Heimat. Dein Projekt.“ Gefragt waren Macherinnen und Macher, die in ihrem Umfeld etwas bewegen wollen. Simones Projektidee hat die Jury begeistert, weil sie einen positiven Einfluss auf die Gemeinde und die gesamte Region hat.

So toll, dass es im Erzgebirge solche Möglichkeiten gibt, seine Ideen Wirklichkeit werden zu lassen,

sagt Simone Schwind und holt sich noch einen Kaffee.

Es wächst wie es wächst.

Maria hat inzwischen ihren Apfelkuchen aufgegessen und verziert eine Glasflasche mit langen blauen Wollfäden. Ihre Schwester Anja stickt eifrig an einer Tischdecke, die sie mit einem filigranen Kreuzstichmuster verziert. Und ihre Mama bastelt, gut versteckt hinter einem aufgeklappten Buch, eine Weihnachtsüberraschung für die Töchter. „Ich liebe es, wenn die Generationen hier zusammenkommen“, freut sich Simone. „Wenn die Leute mich fragen, warum ich das mache, kann ich einfach nur antworten: Das ist Herzenssache.“ Wohl deshalb hat sie ihrem Café den schönen Namen „Agape“ gegeben – das griechische Wort für die selbstlose, bedingungslose Liebe, die man in Simones Café in jedem Detail spürt.

Ein bisschen ist es hier wie in einem Tante-Emma-Laden. Hier gibt es ihn noch, den Schwatz mit den Frauen aus dem Dorf, den man im vollausgestatteten Supermarkt vermisst. Hier spürt man die Lust am Stöbern und Entdecken, wenn man durch die kleinen Schächtelchen wühlt und vor dem inneren Auge immer neue Ideen auf-flackern. „Wir haben so viele Talente hier im Ort“, schwärmt Simone Schwind und erzählt mir von Tausend Plänen, die sie in ihrem Kreativ-Café in die Tat umsetzen möchte: Montagsmaler, die an hölzernen Staffeleien bunte Bilder zaubern. Live­ Musik mit Lesungen, Plätzchenbacken oder ein Kurs, wo Schmuck aus Epoxidharz hergestellt wird. Ein Kindernähkurs wird in Kürze starten – zusammen mit Christin aus dem Dorf, die alles schon vorbereitet hat. „Wir lassen es einfach auf uns zukommen“, schmunzelt Simone und kratzt die letzten Krümel vom Apfelkuchen von ihrem Teller. „Es wächst, wie es wächst.“ So wie der Apfelbaum vor der himmelblauen Scheune.

Text: Dr. Sylva-Michèle Sternkopf

Fotos: Desirèe Scheffel


Immer informiert – Jetzt Newsletter abonnieren.