Wilhelms Untertanen

21.11.2023

Ein Nussknacker, fünf Jungs und die unendlichen Weiten des Weltraums.

Fünf Jungs, ein Nussknacker , ein Traum: einmal um die ganze Erde – und ins Weltall noch dazu. Getreu dem James-Bond- Motto „The world is not enough“ verbindet der 12 Zentimeter große Nussknacker nicht nur die Welt, sondern auch fünf verrückte Typen aus Seiffen, die verschiedener nicht sein könnten – und die doch einem großen gemeinsamen Ziel dienen: Als Untertanen des Nussknackerkönigs die Botschaft des Erzgebirges in die Welt hinauszutragen – und weit darüber hinaus.

Hereinspaziert

„Hereinspaziert“, steht an der Tür des alten Erzgebirgshauses, die Markus Füchtner mit Schwung aufreißt. Auf seinem T-Shirt steht in großen Lettern „Wilhelms Untertan“. Wilhelm – das ist der kleine Nussknacker, der schon über 40 Länder der Erde bereist hat. Und der seit 2021 im Weltall schwebt. Wie es dazu kam, und warum für Wilhelm die Welt nicht genug ist, das erzählen Wilhelms Untertanen beim Feierabendbier in der Nussknackerwerkstatt.

Silvio Neuber: Mal angenommen, der Ronny hätte nie die Idee mit der Weltreise geäußert – dann wäre das alles nie passiert. Wenn uns einer vorher erzählt hätte, was Wilhelm alles erleben wird, wir hätten ihn für verrückt erklärt:

★ der gewinnt mal Gold bei den Olympischen Spielen,
★ sammelt Geld für Uganda,
★ sitzt bei Paul Panzer im Flugzeug,
★ schwimmt mit zwölf Meter langen Walhaien in Mexiko,
★ trifft den ersten Deutschen im All, Sigmund Jähn,
★ verliert beim Rugby-Spielen einen Fuß,
★ besucht den deutschen Botschafter in Neuseeland,
★ bekommt ein Ständchen von Helge Schneider gesungen,
★ spaziert mit einem Schamanen am Amazonas durch den Dschungel
★ und fliegt sogar ins Weltall.

Für uns ist das ja alles hier normal – doch seit wir unsere Heimat mit den Augen von außen betrachten, lernen wir unsere Tradition wieder schätzen.

– Tom Neuber –

Ronny Hoyer: Ich hatte eine Weltreise geplant und wollte einfach was aus der Heimat mitnehmen. Markus drechselte einen kleinen Nussknacker für mich – und nannte ihn nach seinem Ur-Ur-Urgroßvater Wilhelm, der 1870 den erzgebirgischen Nussknacker erfand. Das, was ich gemeinsam mit Wilhelm erlebte, wollte ich nicht für mich allein behalten und gründete eine Facebook-Seite: „Meet the nutcracker“. Da waren so große Emotionen dabei, die musste ich einfach mit anderen teilen. Als ich wieder zu Hause war, sagten alle: Das darf nicht aufhören! Wir wollen Wilhelm auch auf unsere Reisen mitnehmen. Anfragen über Anfragen stürmten auf uns ein. Doch wollten wir das überhaupt? Wem konnten wir unseren Wilhelm anvertrauen? Und wonach entscheiden wir, in welches Land er als nächstes reist?

Mario Kaden: So standen wir einmal vor der Entscheidung: Jakobsweg oder Feuerland? Klar, Wilhelm mit nach Feuerland zu geben, war verlockend – doch die Geschichte mit dem Jakobsweg war so emotional, dass wir uns dafür entschieden. Denn weil die Freundin der Reisenden nicht mitkommen konnte, gab sie der Pilgerin unseren Nussknacker mit auf den Weg – und dazu einen handgeschriebenen Brief.

Genau darum geht es bei Wilhelms Reisen: um Herz, Leidenschaft und Freundschaft.

– Markus Füchtner –

Ronny: Ich wollte Wilhelm nie nur vor berühmten Bauwerken zeigen. Ich wollte mit ihm zu den Menschen gehen. Und allen Menschen, die ich mit Wilhelm traf, habe ich auch was über unsere Heimat, das Erzgebirge , erzählt. Es gibt so viele, die gar nicht wissen, was ein Nussknacker ist. Dann zeige ich es ihnen: Wilhelm ist aus Holz, von Hand bemalt, und er kann Nüsse knacken. Da staunen immer alle – und jeder mag ihn gern. Weil er so klein und niedlich ist, bricht er das Eis. Und verbindet damit Menschen.


Ein Nussknacker, fünf Jungs und die unendlichen Weiten des Weltraums




Glück auf, ich bin´s, der Wilhelm

Markus: Ich weiß noch genau, wie ich den Wilhelm gebaut habe. Wie ich so an der Drehbank stand … was meint ihr, wenn ich vorher gewusst hätte, wie berühmt Wilhelm wird, ob ich ihn dann anders gemacht hätte?

Ronny: Nee! Das ist einfach so passiert.

Mario: Und dann nahm die Geschichte ihren Lauf. Das ist alles auf uns zugekommen. Überall, wo Wilhelm hinkam, stieß er auf offene Türen. Wir haben tatsächlich einen Traum: Wilhelm soll eine Leitfigur des Erzgebirges werden. Und wir sind ein Teil davon.

Tom Neuber: Auch für uns hat diese Beschäftigung mit dem Erzgebirge einen Mehrwert gebracht. Für uns ist das ja alles hier normal – doch seit wir unsere Heimat mit den Augen von außen betrachten, lernen wir unsere Tradition wieder schätzen. Am Anfang wollte ich ja bei unseren Stammtischen lieber über andere Themen reden – doch dann habe ich gemerkt, wie viel wir mit Wilhelm und seinen Geschichten bewirken können.

Silvio: Und aus jeder Sache ist wieder etwas Neues entstanden. Du machst einen Schritt – und der nächste geht noch ein bisschen leichter. Eigentlich haben wir uns ja nur im Keller auf ein Bier getroffen. Und plötzlich haben wir Weltreisen gemanagt. Nicht nur für Wilhelm, auch für uns ist das alles Neuland.

Tom: Das war auch so eine Bieridee am Stammtisch. Das sind überhaupt immer die besten. Wenn einer was raushaut, wir uns alle vor Lachen auf die Schenkel klopfen und dann mit hochrotem Kopf prusten: Nee, das können wir nicht machen! Dann schreiben wir die Idee in unser Buch, klappen es zu – und ein halbes Jahr später wird’s dann oft genauso gemacht.

Markus: Genauso war es mit der Idee, Wilhelm ins Weltall zu schicken. In einer Fernsehsendung zeigte ich dem Moderator die Weltkarte mit all den Pins, wo Wilhelm schon gewesen war. Dabei sagte ich den Satz: Vielleicht wird Wilhelm die Welt auch mal verlassen. Und dann nahmen die Dinge ihren Lauf. Den Fernsehbeitrag sah jemand, der den Raumfahrt-Enthusiasten Tasillo Römisch kennt, der wiederum Kontakte zur NASA und zur ESA hat. „Ich führ mal ein paar Telefonate“, sagte er – und kurz darauf kam sein Rückruf: „Die Reisetasche von Astronaut Matthias Maurer ist eigentlich schon voll“, meinte er. „Aber sein Team fand Wilhelm so niedlich, dass eine andere Sache rausgenommen wurde, damit Wilhelm mit reinpasst.“

Mario: Oder wie wir ihn zu Olympia nach Südkorea geschickt haben … Dass er da hinmusste, war uns klar. Zuerst wollten wir ihn einem Besucher mitgeben. Doch dann dachten wir: Viel besser wäre doch, wenn er bei einem Teilnehmer mitfährt! Und so steckte er dann bei Candy Bauer aus dem Bobteam von Franceso Friedrich im Koffer – und er gewann mit den vier Bobfahrern tatsächlich Gold! Wilhelm ist im Bob als Talisman zum Sieg mitgefahren.

Markus: Dank Wilhelm gehen wir alle über unsere Grenzen hinaus. Er macht es uns vor, und wir wachsen mit ihm.

Silvio: Das Beste, was wir vom ersten Tag an beschlossen haben, war, dass es Wilhelm nie zweimal geben wird. Alle haben gesagt, verkauft den! Sie hätten ihn uns aus den Händen gerissen. Aber dann hätten wir seine Geschichte mitverkauft.

Markus: Es kann nur einen Wilhelm geben – das haben wir sogar in einem Statut festgehalten.

Und doch steht auf der Werkbank hier jetzt eine kleine Klon-Armee mit lauter Wilhelm- Köpfen. Wie kam es dazu? Was soll das mal werden? Und was hat das zu bedeuten?

Hightech-Material aus der Weltraumforschung trifft Nachbarschaftshilfe

Silvio: Nun, das war auch so eine Idee, die wir am Stammtisch mal in unser Buch geschrieben hatten. Nur um es dann gleich wieder zuzuklappen und zu denken: Das wird eh nichts.

Markus: Bis wir dann beim Spielzeugmacher- Festival in der Denkstatt Erzgebirge die Jungs vom Fraunhofer-Institut kennenlernten. Irgendwie kamen wir ins Spinnen. Sie haben uns ein Hightech-Material aus der Weltraumforschung gezeigt und da lag es nahe, dieses mit Wilhelm zu verbinden. Mit den Forschern vom Fraunhofer-Institut Dresden hat er lang getüftelt. Nun bringt er eine echte Weltneuheit mit: Weltraumtechnik wird in Erzgebirgischer Holzkunst verbaut. Das gab es noch nie! Klar, dass es eine Rakete sein musste! (alle lachen). Ein Räucherkerzchen, eine einfache Wärmequelle also, löst eine Bewegung aus. Die Spitze der Rakete klappt auf und voilà: Wilhelm schaut raus aus seiner Rakete.

Als wir die Idee zum Produkt entwickelten, haben wir wieder einmal gemerkt, wie sehr Wilhelm verbindet – auch die Leute hier im Erzgebirge.

– Silvio Neuber –

Silvio: Immer, wenn wir ein bestimmtes Teil für die Konzeptionierung brauchten, sind wir zu Handwerkern aus der Nachbarschaft gegangen, und alle waren sofort dabei. Sie wussten: Das ist wichtig.

Markus: Ich frag mich auch immer mal wieder, wieso das mit Wilhelm alles so leicht geht. Aber er ist eben einfach ein cooler Typ. Er ist sympathisch, eckt nirgends an.

Tom: Und er hat immer wieder neue Ideen. Was er sagt, wird gemacht.

Mario: Genau. Und jetzt hat er sich den Welt-Raum ausgedacht und mit der Idee ein Preisgeld beim simul+ Mitmachfonds gewonnen. Mitten in Seiffen. Einen Begegnungsort will er schaffen, hier in unserem Spielzeugdorf, wo so viele Leute unterwegs sind, aber abends oft nichts los ist. In einer alten Spielzeugmacher-Werkstatt am Dorfeingang von Seiffen wollen wir Leute einladen, die auf der Bühne über ihre Leidenschaft sprechen. Handwerker aus dem Dorf, Gäste, Touristen … so wie früher zu den Hutzenabenden.

Ronny: Aber dazu muss Wilhelm erstmal wieder aus dem All zurück sein. Wird langsam Zeit. Ich vermisse ihn schon.

Mario: Wo soll Wilhelm dann eigentlich als nächstes hin?

Silvio: Auf den Mond! Oder zum Mars?

Markus: Nee, das reicht dann erstmal mit dem Weltall. Vielleicht taucht er mal ab in die Tiefe …


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Und schon füllt es sich wieder, das Buch mit den Stammtisch-Ideen. Für heute wird es erstmal zugeklappt. Doch ihr wisst ja, wie es ist mit den Spinnereien, die einmal darin festgehalten wurden …

Text: Sylva-Michèle Sternkopf
Fotos: Sven Körner