Warum junge Erzgebirger alte Gemäuer mit Leben füllen

05.12.2017

Mietwohnung versus Hausbau , Parkplatzsuche versus eigene Hofeinfahrt, Stadtkind versus Landkind – die Motive für eine Entscheidung pro Stadt oder pro Land können unterschiedlicher kaum sein.

Wir haben zwei junge Paare besucht, die sich ganz bewusst für ein Leben auf dem erzgebirgischen Land entschieden haben. Sie verwirklichen hier ihre Ideen und Lebensträume, weil das Erzgebirge dafür optimale Bedingungen bietet.

Familie Hadlich im Landidyll: drei Kinder plus eigener Streichelzoo

Durch einen Torbogen aus Naturstein betritt man den denkmalgeschützten Dreiseitenhof von Sabine und Felix Hadlich. Vor vier Jahren haben die Sozialpädagogin und der Bauingenieur ihr Traumhaus am Ende einer Dorfstraße in Wiesa, einem Ortsteil von Thermalbad Wiesenbad, gefunden. Umgeben von Wiesen und Feldern auf der einen Seite und netten, hilfsbereiten Nachbarn auf der anderen, schlummerte das vermutlich 300 Jahre alte Fachwerkhaus samt Scheune und Garten verlassen und ziemlich verfallen seit einigen Jahren vor sich hin. Mithilfe von LEADER -Fördermitteln entstand eine Oase, in die seit 2015 die Kinder Leopold, Amelie und Juli sowie ein paar Schafe, Hühner und Hasen genug Leben bringen. Wo einst ein Stall im Erdgeschoss dem Vieh ein Dach bot, spielt heute das bunte Familienleben am Küchentisch. Gleich daneben – Tür an Tür – arbeitet der Familienvater in seinem großzügigen Büro. Große Gewächshäuser, Platz für Spielzeug für die Kleinen und mit Papas Traktoren auch für die Großen machen die Dorfidylle komplett.

Sabine und Felix sind im Erzgebirge aufgewachsen, sie in Annaberg-Buchholz mit all ihren infrastrukturellen Vorteilen, er auf dem Dorf, wo sich frühzeitig seine Leidenschaft für landwirtschaftliche Technik entwickelte. „Als Jugendlicher interessieren einen aber die meisten Vorzüge des Landlebens nicht. Da wünscht man sich kurze Wege zu Freunden und Freizeiteinrichtungen und möchte nicht erst eine dreiviertel Stunde mit dem Rad fahren“, bringt Felix Hadlich Verständnis für die Denke vieler junger Leute auf. So genoss auch er die Zeit nach dem Abitur beim Studium in Leipzig. Heute mit 36 Jahren, punkten die positiven Seiten des Landlebens weit mehr als das Theater oder Shoppingcenter um die Ecke. „Freundschaften sind seit der Jugend gewachsen und sie haben bis heute Bestand. Wir sind Teil eines tollen Netzwerkes aus Familie und Freunden, wo unkompliziert einer dem anderen hilft. Da ist Vertrauen da, das gibt es so für uns nirgendwo anders.“ Sabine schätzt am Erzgebirge vor allem das großzügige Angebot an Freizeit- und Bildungsmöglichkeiten und lobt das Engagement vieler, um gerade im pädagogischen Bereich alternative Angebote zu schaffen.

Wenn Sabine Hadlich an die Zeit der Entscheidung zurückdenkt, erinnert sie sich an ihre Bedenken und Einwände bezüglich des Landlebens. „Ich wollte gar nicht richtig weg aus der Stadt. Wir hatten eine schöne Wohnung, einen Kleingarten, alles ganz typisch und irgendwie für mich in Ordnung, mit kurzen Wegen zum Kindergarten und Supermarkt“, erzählt die 35jährige, während ihre 9jährige im Stall lachend die Hühner jagt. Doch schnell war sie angekommen in ihrem „neuen“ Leben auf dem Land, das viel Gestaltungsspielraum in jeder Hinsicht bereithält. Nicht nur äußerlich an Haus und Garten, wo es niemals einen fertigen Zustand gibt, sondern auch gerade im familiären Bereich. Von ihrem pädagogischen Hintergrund aus weiß sie natürlich, wie wertvoll kreative Freiheiten in der Kindheit sind. Eine individuell umgesetzte Architektur mit offener Bauweise im Haus lässt die Familie auf großem Raum eng zusammenrücken – das riesige Grundstück am Haus wartet tagtäglich auf seine kleinen Entdecker der Natur . „Anders als in einer Mietwohnung in der Stadt kann ich die Kinder hier einfach in den Garten lassen. Das möchte ich nicht mehr missen“, so die 35jährige.

Im Planungsbereich konnte der Bauingenieur Felix nach allerlei ähnlichen Projekten auf Grundlage der LEADER-Förderung für Auftragnehmer nun seine Ideen für sich selbst umsetzen und viele Dinge in Eigenleistung realisieren. „Ein Neubau kam für mich niemals infrage, wir haben gezielt nach einer alten Immobilie gesucht. Als ich das Haus hier sah, dachte ich, das hat auf uns gewartet. So etwas Altes hat Seele und Charme. Hinzu kommt, dass man derartige großen Grundstücke für relativ wenig Geld bekommt und meistens noch brauchbare Nebengebäude dazu“, beschreibt der 36jährige Gründe für ländliches Wohnen. Und wie das so ist: auch der größte Raum füllt sich schnell – im Fall Hadlichs mit allerlei landwirtschaftlichen Maschinen von Getreidedrillmaschine bis hin zu Kartoffelvollautomat. Und da die Maschinen nicht nur als Sammelobjekte dienen sollen, gibt es längst erste kleine bestellte Felder und eine Liste voller Ideen im Kopf.

Anne und Ulrich Walther: Familie und Freunde kontra kultureller Schätze

„Nach den Jahren der Pendelei in die Großstadt wissen wir die ländliche Ruhe zu schätzen“, erzählen Anne und Ulrich Walther. Dabei kann von Ruhe noch gar nicht wirklich die Rede sein, denn die beiden wohnen aktuell direkt neben ihrer Baustelle auf einem Vierseithof in einem Ortsteil von Burkhardtsdorf. Vom Fenster ihrer beengten Übergangswohnung aus schauen sie direkt zur ehemaligen Scheune, auf deren altem Fundament Stein für Stein ihr neues Zuhause entsteht. Durch die momentan langen und anstrengenden Arbeitstage aus Job und Eigenleistung am Haus trägt sie die Gewissheit, die richtige Lebensentscheidung getroffen zu haben.

Mit dem Hof verbindet Anne ein Stück Kindheit. Das gemauerte Erdgeschoss, wo früher die Schweine und Kühe untergestellt waren und sie später Verstecken spielte, wird zum Teil erhalten bleiben, genau wie der gesamte historische Grundriss, der wahrscheinlich bis ins 18. Jahrhundert zurückgeht. „Wenn man so glücklich wie ich auf dem Land aufgewachsen ist, prägt das für ein ganzes Leben. Da zieht es einen immer wieder hin“, so die 31jährige, der es wichtig ist, den optischen Charakter des Neubaus an dem altem Vorbild zu orientieren. Und das nicht nur, weil das LEADER-Förderprogramm es so verlangt, sondern weil es ihr ein Herzensbedürfnis ist.

„Mit dem Umzug von Dresden ins Erzgebirge zurück habe ich zwei Stunden Lebensqualität täglich gewonnen“, rechnet Ulrich vor. Gemeint sind zwei Stunden auf Sachsens Straßen, bei Stau oder im Winter auch mehr, die er benötigte, um von seinem alten Wohnort Dresden zu seinem Arbeitsort Chemnitz zu fahren. Denn während seine Frau noch an der Technischen Universität Dresden arbeitet, verlagerte der 37jährige schon vor einigen Jahren seinen Job in Heimatnähe zurück. Heute nutzt er diese Zeit anders und steigt, wenn nicht gerade in Arbeitsklamotten am Bau, auf sein Fahrrad und dreht direkt ab Haus über das angrenzende Feld hinaus, seine Runde an der frischen Luft. Ein Hausbau in Dresden kam für die beiden indes vor allem aufgrund hoher Grundstückspreise nie infrage.

Anne und Ulrich kennen sich noch aus Jugendtagen - er lebte im Dorf über dem nächsten Berg - gingen aber zu unterschiedlichen Zeiten nach Dresden zum Studium – er an die Fakultät Maschinenbau, sie Richtung Verkehrsingenieurwesen. Der Zufall wollte es, dass sie sich wiedertrafen und ein Paar wurden. Sie bezogen eine kleine Altbauwohnung in Dresden-Neustadt mit einem fantastischen Angebot an Kneipen und bunter Kultur gleich um die Ecke – und einer garantierten mindestens 15-minütigen, nerv raubenden Parkplatzsuche am Abend. „Großstadt kann richtig toll sein. Wenn man jung ist, ist das super“, blicken beide zurück und geben dennoch offen zu: „Das schönste Theater und die hippste Bar nützen doch nichts, wenn man abends zu müde ist, es zu nutzen.“

Es war die Sehnsucht nach den eigenen Wurzeln sowie der Gedanke an Familie und Freunde im Erzgebirge, die immer schwerer in der Waagschale zugunsten der Rückkehr lagen und im April 2016 die Idee zum Ausbau der Scheune reifen ließ. Das Paar zog einen Sachverständigen hinzu, der auch den Tipp mit dem Beantragen der Fördermittel gab. Von da an wuchs das Projekt sehr zügig und überraschte auch die Oma positiv, die im Haupthaus des Hofes lebt und bis dahin gar nicht mit dem Plan eines Mehrgenerationenhofes gerechnet hätte. Seitdem wird sie oft um Rat gefragt, wenn es um den grünen Daumen geht, denn auch wenn das neue Wohnhaus noch nicht steht: Den Garten brachte Anne bereits in der ersten Saison schnell zu reicher Ernte.

Den Einzug hat das Ehepaar Walther für nächsten Sommer geplant. Bis dahin finden Partys mit Freunden auf der Baustelle statt. Da man sich hier untereinander kennt, dürfen das Feiern auch die Nachbarn sehen, wo im Gegenzug zur Großstadt abends die Vorhänge vor neugierigen Blicken anonymer Nachbarn schützten. Nach all den Jahren Großstadt wissen Anne und Ulrich Walther eines: „Einmal Dorfkind – immer Dorfkind“.