03.11.2022
Er ist das Instagram-Phänomen des Erzgebirges, manche würden ihn vielleicht sogar eine kleine Legende nennen: André Morgner , Diplom-Designer, Graffiti-Künstler, doch vor allem bekannt als Gründer von BOYS FROM THE WOOD . Aufgewachsen in Bernsbach, zieht er später nach seinem Studium mit seiner Frau in die Schweiz. Dort manifestiert er unter dem Namen Boogie seine Karriere als weltweit erfolgreicher Künstler, arbeitet für Brands wie BMW, Burton, Google und sprayt in LA, Lima, Moskau, Paris, … Und doch fühlt er sich nach wie vor seiner Heimat verbunden – genug jedenfalls, um der Erzgebirgischen Volkskunst mit einem zeitgemäßen Relaunch zu huldigen.
Erzähl mal, wie sind deine Boys - und heute auch Girls - eigentlich entstanden?
Ich hab damals als Diplomthema das Erzgebirge rausgekramt, denn ich hab nach wie vor noch einen starken Heimatbezug – einen gesunden Lokalpatriotismus würd ich sagen. Irgendwie kam ich auf das Volkskunstding und habe festgestellt, dass die ganze Nummer schon ne recht verstaubte Sache ist. In meinem Freundeskreis gabs ganz wenige, die sich einen Schwibbogen , Nussknacker oder einen Räuchermann in die Bude gestellt haben. Und irgendwie dachte ich „Ja eigentlich muss man die nur mal geil machen – also die Männeln.“
Was diese Kuckucksuhr kann, das können wir mit unserer Volkskunst aus dem Erzgebirge auch.
Im Schwarzwald gabs damals einen Typen, der hat dieses verstaubte Item Kuckucksuhr gerelauncht, hat Totenköpfe, Handgranaten und gekreuzte Kalaschnikows rangehangen und die Dinger neonfarben gemacht. Schon eine finstere Nummer. Karl Lagerfeld hat sich mit so einer Uhr fotografieren lassen und das ging durch die Decke. Und ich dachte: Was diese Kuckucksuhr kann, das können wir mit unserer Volkskunst aus dem Erzgebirge auch. Von der Kloßfrau, dem Nachtwächter und dem Jäger hin zum Skateboarder, Graffitisprüher zur Snowboarderin.
Und dann hast Du einfach Holz geholt und losgelegt?
Ich bin zu so einem traditionellen Hersteller im Erz gegangen und hab den Hersteller gefragt, ob er ein paar Rohteile für mich hat. Da hat er mir zwei Bananenkisten voller Teile gegeben und ich habe Zuhause angefangen rumzufeilen, rumzuschleifen und rumzuschwitzen. Von meinem Prototyp habe ich eine 3D-Zeichnung anfertigen lassen und bin damit zum CAD-Spezialisten gegangen, der mir mit seiner Fräse ein paar Rohteile rausgelassen hat. Dann standen diese schrägen Typen lange bei mir Zuhause rum, bis mal ein Kumpel zu Besuch kam und meinte „Du musst die ausstellen, das wird durch die Decke gehen.“
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Und sie gingen durch die Decke.
Das war irre! Der Skateshop Titus hat mir damals während des Weihnachtsmarkts alle sechs Schaufenster angeboten, um kostenlos die Dinger auszustellen. Dann hab ich online richtig Alarm gemacht, Social Media kann ich ja ein bisschen. Wir hatten 500 Leute vor der Tür, ich war ausverkauft nach zwei Tagen, obwohl ich nicht wusste, wie die Leute auf die Preise reagieren. Sind halt handmade und Unikate. Bei der letzten Vernissage vor drei Jahren waren es knapp 1000 Leute, schon am selben Tag war alles ausverkauft. Ich habe mich schon gefragt: „Fuck Alter, wo soll das hingehen?“.
Trotz deines Erfolgs hältst Du dich aber nach wie vor an deine Kleinserien und Unikate.
Ja, ich habe aber überlegt, ob ich dieses Jahr die Kleinserie nicht etwas aufstocke. Es gibt nicht wenige Leute, die wollen schon seit Jahren so nen Boy oder ein Girl from the Wood haben und auch online waren die wieder nach 3 Minuten ausverkauft. Außerdem ist die Idee der Kleinserie, dass ich weiterhin was für die Leute machen will, die eben nicht 500 Euro auf den Tisch legen können für so nen Räuchermann. Man hat dann immer noch ein Unikat mit Seriennummer, aber es gibt von dem Design eben 15 Stück.
Verrätst Du ein paar Figuren, auf die wir uns dieses Jahr freuen können?
Gestern habe ich Tupac gebaut mit seinen ganzen Tattoos, dem hab ich Thug Life auf den Bauch geschrieben. Coolio ist dieses Jahr gestorben, deswegen kann es gut sein, dass es auch ihn gibt. Außerdem werde ich Hermine und Dumbledore machen, es gibt da nämlich eine, die hat schon zwei Harry-Potter Figuren. Ich muss mich auch mal noch an ein paar Ladys ranwagen… Die Queen würde ich sehr gern machen. Das ist natürlich eine schwierige Nummer, ich bin ja überhaupt kein Royal-Fan, aber wenn ich eine Lösung finden kann, wie ich einen Rock bauen kann, würde sie sich natürlich fantastisch eignen mit ihrem Kostümchen, ihrem Täschchen und ihrem Krönchen. (lacht) Mir haben auch schon Leute geschrieben, ich solle mal den Trump bauen. Wo kommen wir denn da hin? Da kann ich auch nen AfDler bauen oder einen Wutbürger. Eine Serie wird es aber auf jeden Fall geben – den Hammer-Boy, mit Steinpilz und Hammer-Cap.
Aber mal ehrlich: Kann der Hammer-Boy wirklich mit weißen Sneakern in de Schwamme gehen?
Ja, klar, ist doch scheiß egal, das sind Rumräuberschuhe, die sind schon so ein bisschen ausgelatscht. (lacht)
Welche Räucherkerzchen gehören in deine Boys?
Crottendorfer. Ich steh auf den ganz klassischen Weihrauchduft aus dem Erzgebirge. Wenn ich aber gerade Tupac vor mir sehe, dann muss ich wohl mit Crottendorfer reden, ob die mir nicht Cannabis-Räucherkerzchen machen, die wenigstens ein bisschen nach Weed riechen. Das könnte vor allem bei den Amis funktionieren. Ich hab nämlich das Gefühl, dass viele Leute außerhalb des Erzgebirges mit dem Weihrauchduft gar nicht so richtig klarkommen.
Bekommst Du öfter Anfragen nach politisch fragwürdigen Figuren?
Wir wollen schon irgendwie unpolitisch bleiben, allerdings immer mit dem Herz am – ich sage jetzt nicht rechten – richtigen Fleck. Und das Publikum, das wir erreichen und das zu unseren Veranstaltungen kommt ist zu 98% ein ganz gesundes und vorwärtsdenkendes Volk. Keine Schwurbler und keine Faschos.
Welche deiner Figuren hast Du bei Dir Zuhause stehen?
Ich habe nur noch eine einzige Figur bei mir stehen, unter einer Glasglocke – der allererste, den ich je gemacht habe. Der sieht noch ein bisschen prototypmäßig aus. Den zünde ich auch immer noch an, deshalb ist er auch schon ganz schwarz um die Nase. Den geb ich nie her. Irgendwann lass ich mir den auch noch tätowieren.
Wird dieses Jahr, da ja hoffentlich wieder der Weihnachtsmärkte gibt, auch eine neue Ausstellung stattfinden?
Wir haben gerade eine Location für das erste Adventswochenende in der Galeria [Chemnitz] gefunden. Freitag haben wir dort das große Opening, am Samstag machen wir noch Ausstellung und ab Sonntag, 00.00 Uhr gehen die restlichen Männchen, die noch übrig sind, in den Onlineshop. Wir werden online jede Menge Alarm machen, sodass man um die Information gar nicht drum rum kommt.
Hutzenohmd 3.0
Wir wollten immer mit unseren Sachen die Weihnachtszeit einläuten – nicht klassisch mit einer Bergparade, was natürlich auch cool ist, aber einfach mit einem coolen Stelldichein, coolem Sound, Drinks, geilem Essen, schönen Leuten. Das ist ein unglaublich schönes Gettogether, weil du immer Leute triffst, die du seit Jahren nicht gesehen hast. Hutzenohmd 3.0, sozusagen.
Gibt es einen bestimmten Ort im Erzgebirge, an den Du besonders gern denkst, wenn es darum geht, der Heimat einen Besuch abzustatten?
In Bernsbach ganz oben auf dem Spiegelwald, wo früher mal die drei Windräder standen, gibt’s jetzt so einen kleinen Pilz mit ner Bank. Dort habe ich schon einige Tage und Nächte verbracht. Da kannst Du das Auto hinstellen, latschst runter zum Pilz und kannst einfach ne Stunde abhängen, glotzt übers ganze Erzgebirge, dein Kopf wird frei, alles ist schön.
Wenn Du an dich selbst und deine eigenen Erfahrungen mit BOYS FROM THE WOOD denkst, glaubst Du dann an die sagenumwobene kollektive Tüftlermentalität des Erzgebirges?
Ich glaube, dass Tüftler meist ein ziemlich verlässliches Netzwerk haben. Heißt: Wenn jemand eine Idee hat, kann er sich darauf verlassen, dass jeder seine Skills dazu packt. Ich selbst bin zum Beispiel überhaupt kein Handwerker, ich hab 10 linke Daumen. Aber ich hab gefragt, mich mit Kumpels unterhalten, habe mir Sachen zeigen lassen. Nur so entsteht am Ende auch ein geiles Ergebnis. Und es gibt schon viele Tüftler im Erzgebirge und damit auch ein starkes Netzwerk. „Früher haben wir aus Scheiße Bonbons gemacht“ (ahmt die Stimme seines Vaters nach und lacht). Es gibt schon geile Sachen im Erzgebirge, bestimmt auch viele, von denen wir noch gar nichts wissen.
An welchen Projekten hast Du sonst zuletzt gearbeitet, bzw. was steht als nächstes unabhängig von den BOYS FROM THE WOOD an?
Dieses Jahr hat mich zum Beispiel der Sternekoch Heiko Nieder aus dem besten Hotel der Schweiz, The Dolder Grand, angefragt, ob ich für ihn drei großformatige Bilder malen kann. Man muss sich vorstellen, wenn Ed Sheeran in der Schweiz ist, ist er dort. Wenn Obama damals da war, dann war er dort. Die haben sogar einen Dali und einen Roy Lichtenstein an ihren Wänden. Meine Bilder sind für das Pop Up Restaurant. Der Chefkoch wollte seine Essenskunst gern mit dem Street Art Grafitti Thema verbinden und so habe ich meine Sachen bei einer komplett anderen Gruppe Menschen präsentieren dürfen als sonst. Das ist schon eine große Ehre und macht mich auch etwas stolz.
Deshalb würde ich gern mal was Heimatverbundenes machen, aber was zeitgemäßes wie bei BOYS FROM THE WOOD
Irgendwann in der Zukunft steht auch ein Projekt mit vielen Fassadengestaltungen im Erzgebirge an, weil ich gerne in meiner alten Heimat was machen und dort was hinterlassen würde. Viele leute kennen mich, aber ich bin halt auch nie da, immer nur so das Insta-Phänomen, das Gespenst. Deshalb würde ich gern mal was Heimatverbundenes machen, aber was zeitgemäßes wie bei BOYS FROM THE WOOD.
Text: Magda Lehnert
Fotos: Roy Fritzsche / smartworks