Er hat es komplett durchschaut!

05.11.2024

Die Sicht eines Augenarztes auf das Erzgebirge

Als Simo Murovski vor 15 Jahren ins Erzgebirge kam, ahnte er noch nicht, wieviel Potential in seiner neuen Heimat steckt. Heute weiß der Augenarzt, dass er nicht nur den schönsten Arbeitsweg durch eine wunderbare Landschaft hat, sondern auch, dass die Menschen hier bodenständig, kompetent und offen für Neues sind. Um aber als Region nach außen zu begeistern und junge Fachleute herzuholen, braucht es mehr – sagt der Mediziner mit dem kritischen Blick eines Zuwanderers.

Simo Murovski stammt aus Mazedonien, studierte dort Medizin. Weil die Bedingungen zur Facharztausbildung auf dem Balkan kompliziert sind, bewarb er sich um ein Stipendium in Deutschland. Das lag auf der Hand, war ihm das Land und seine Kultur doch schon von Kindesbeinen an vertraut. Denn auch seine Mutter absolvierte einst in Deutschland ihre Assistenzarztzeit. „Ich bin mit dem Quelle-Katalog und der Eisenbahnzeitung groß geworden. Deshalb entwickelte ich auch früh ein deutsches Sprachverständnis“, erzählt Murovski mit einem Schmunzeln. Eine Stelle als Facharztanwärter war gerade nicht frei. So landete der 49-Jährige an der Universität Dresden in der klinischen Forschung für Medikamente –bis in Chemnitz die ersehnte Assistenzarztstelle möglich wurde. „Nach der Zeit in Dresden mit Elbufer, viel internationaler Kultur und Wissenschaft traf mich in Chemnitz in meiner ersten Nacht der Kulturschock. Da stand ich nun in meinem Hotelzimmer, schaute auf den Kopf von Karl Marx und hatte dennoch mein Ziel fest vor Augen“, blickt er zurück.

Stadtvilla verbirgt Technik wie in der Universitätsklinik

Eines Tages das größte und modernste Augenzentrum im Erzgebirge mit über 60 Mitarbeitern zu führen, stand noch nicht auf der Agenda. Aber wenn sich eine Chance im Leben bietet, diese zu ergreifen, schon. Schuld an der Entwicklung war sicherlich auch seine Frau, eine Erzgebirgerin, durch die er die Region südlich von Chemnitz schätzen lernte.

Ich habe mich gleich ins Erzgebirge verliebt.

Der Stammsitz des Zentrums – eine mondäne Stadtvilla – ist in Zschopau , zwei weitere Filialen gibt es jeweils in Chemnitz und zusätzlich in Zschopau. Es ist eine Villa, die von außen nicht erahnen lässt, dass sich hier das modernste ambulante Augenzentrum der Region befindet - mit Technik, wie es sie fast nur an Unikliniken gibt. „Wir arbeiten hier mit Spitzenleistungen auf höchstem Niveau. Das per Laserroboter navigierte, extrem präzise Operieren an der Linse gibt es zum Beispiel nur zweimal in Sachsen. Oder die Durchführung ambulanten Netzhaut-Operationen:  wir sind die erste und bisher einzige Praxis in Sachsen, die diese Netzhautchirurgie ambulant anbietet“, erklärt Simo Murovski.

Kaum Fluktuation im internationalen Team

Die hochmoderne Technik bietet jungen Ärzten Potential zur Entwicklung. Diese Perspektive ist der Hauptgrund, weshalb Murovski inzwischen kein Fachkräfteproblem mehr hat.

Anfangs war es schwer, Ärzte für das Arbeiten auf dem Land zu gewinnen ...

... nun hat sich herumgesprochen, dass gerade Nachwuchsmediziner hier viel lernen und sich weiterentwickeln können“, sagt der Augenexperte stolz. Und die Erfahrung hat ihn gelehrt: Das Locken junger Menschen ist schwer. „Sind sie aber einmal hier, wollen sie bleiben, weil sie sehen, wie schön es hier ist.“ Damit meint er nicht nur das Lebensgefühl samt Natur , Landschaft und der Nähe zu den großen Städten. „Die Menschen sind bodenständig und freundlich. Wenn man ihr Vertrauen gewonnen hat, ist es so schön hier zu leben.“ Die niedrige Fluktuation in seinem Team, in dem neben einheimischen Spezialisten auch Fachkräfte aus Tschechien, Slowakei, Serbien arbeiten, ist für Murovski der beste Beweis. Kaum einer wäre auf dem Sprung, der familiäre Gedanke in seinen Praxen dagegen sehr groß und generell die Offenheit vor neuen Dingen und Kollegen aus anderen Ländern enorm. „Mich nervt, dass oft über die Region eine Schablone gezogen wird. Meine persönliche Meinung ist das absolute Gegenteil“, stellt Murovski klar.


Eine Traumpraxis in München? – Keine Option!

Wenn ein Angebot käme, in München am Marienplatz eine Praxis zu übernehmen – ich würde ablehnen.

Der vierfache Vater bereut es nicht, eine Lücke im erzgebirgischen, unterversorgten Ärztenetz geschlossen zu haben und weiß dennoch, dass das nur ein kleiner Anteil von dem ist, was gebraucht würde. Aber für Murovski ist nichts in Stein gemeißelt. Auf immer größer werdende Engpässe antwortete er vor vier Jahren mit einer telemedizinischen Praxis – der ersten in Deutschland. Dafür wurde er sogar für einen Innovationspreis nominiert. Für ihn geht es immer darum, die Versorgung der Menschen besser zu machen. So richtet sich seitdem die Tele-Sprechsunde vor allem an Patienten, die aufgrund chronischer Erkrankungen wie Diabetes Untersuchungen in kürzeren Abständen benötigen. Diagnose und Befund werden dann zeitnah an das für den Patienten nächstgelegene Augenzentrum überwiesen.


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„Vision“ – anders für: Sehen, Sehvermögen oder die Vorstellungskraft.

Das Sehvermögen ist sein Metier – dazu gehört es für Simo Murovski auch, in die Zukunft zu blicken, Visionen zu haben. Mit seiner Idee einer digitalen und mobilen Augenarztpraxis geht er deshalb den nächsten Schritt und möchte perspektivisch auf die Marktplätze der Region rollen. So käme der Arzt zum Patienten –gerade für Menschen, die nicht so mobil sind – und der Behandlungserfolg würde aufgrund des Zeitfaktors größer. Ein effizientes Modell der Untersuchung sieht Murovski in einer mobilen Diagnostikeinheit im Container. Die könnte ein Lkw überall dort hinfahren, wo sie im ländlichen Raum gebraucht wird. Die Untersuchung nimmt ein Optiker vor, die Daten werden digital in Patientenakten gespeichert und dann von unterschiedlichen Augenärzten ausgewertet. Diese mobile Untersuchungseinheit hat Simo Murovski bereits mit großen finanziellen Mitteln entwickelt und das Patent angemeldet. Die Testphase des Moduls läuft nun im Augenzentrum und könnte bald praktisch umgesetzt werden. Einziger Haken: Containerbau und Software-Anpassung kosten viel Geld, sodass er das Projekt allein nicht stemmen kann. Seine Idee möchte er gern zusammen mit den Institutionen umsetzen, die für die Daseinsvorsorge zuständig sind. Denn der Bedarf an mobilen Praxen wird künftig größer – zur Umsetzung braucht es aber Partner aus Institutionen und Politik, auf die Murovski nun sehr hofft. „So viele Technologien sind bereits da, sie müssen nur umgesetzt werden. Aus meiner Sicht könnte es künftig funktionieren, Zentren aufzubauen und den Rest mit Telemedizin umzusetzen. Dafür braucht es allerdings die Unterstützung der Politik“, betont er. Denn mit seinem Blick als Zugezogener, dem Blick von außen, beeindrucken ihn an Deutschland noch immer die Innovationen und Regeln. Sie bieten einen guten, wenn auch manchmal langwierigen Rahmen, um vorwärts zu kommen, wenn man aus eigener Kraft etwas aufbauen möchte. Das habe ich auf dem Balkan, wo viel Korruption herrscht, ganz anders erlebt. „Dazu brauchen wir ganzheitliche Konzepte, Pilotprojekte und etwas mehr von `lass uns das machen´. Zudem wünsche ich mir von den Erzgebirgern viel mehr Selbstbewusstsein.“ Die Stärken und Fähigkeiten der Bewohner dieser wunderbaren Region seien großartig.  „Denn vieles hängt von uns selbst ab. Unterschätzt wirken wir von außen vor allem dann, wenn wir das selbst so nach außen ausstrahlen.“