14.01.2025
Raketenwissenschaft in der höchstgelegenen Stadt Deutschlands?
„Sich mit Biathlon zu beschäftigen, ist keine Raketenwissenschaft. Zumal wir hier von einem unterschätzten Standortfaktor reden“, sagt eine, die es wissen muss. Melanie Ellinger, Chefin der Elldus Resort GmbH, ist nicht nur Vorgesetzte von ca. 160 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, sondern die Lenkeinheit der „Rocket Rookies“. Der was? Der Nachwuchs-Biathlon-Raketen, wie das von ihr gegründete Biathlonteam heißt. Seit 2023 ist sie als Hauptsponsor aktiv, finanziert den Trainer und unterstützt die Truppe aus 20 Mädchen und Jungen. Solch ein Support ist derzeit für ein bundesdeutsches Biathlon-Nachwuchsteam einzigartig.
Oberwiesenthal hat alles, was es für Erfolge braucht. Seit knapp siebzig Jahren wird am und auf dem Fichtelberg trainiert. Der Luftkurort verfügt nicht nur über eine alpine FIS-Rennstrecke, sondern über den Komplex mit sieben Skisprungschanzen, Rollerstrecken, einem Sportinternat und der Sparkassen-Skiarena, inklusive Biathlon-Schießstand. Mit Blick auf die Zukunft wäre noch die Schneesicherheit aufgrund der Höhenlage zu nennen. Klingt alles rund und plausibel.
Bis die Hiobsbotschaft vom Skiverband bei Patrick Burkhardt vom Olympiaförderkreis/ Leistungszentrum Oberwiesenthal eintraf. Sein Budget wurde eingestampft: Anstatt zwei Trainerstellen gab es nur noch eine. Die Folge: Am Standort Oberwiesenthal hätten die Kids nur noch Luftgewehrtraining absolvieren können. Teenies, die naturgemäß im Alter von 15 Jahren auf Kleinkaliber umsatteln, wären auf einen anderen Trainingsort (z. B. Oberhof in Thüringen) ausgewichen. Oder sie hätten den Sport gar aufgeben müssen.
Burkhardt konnte das nicht hinnehmen. Er ging auf verschiedene Firmen zu, so auch auf Melanie Ellinger, und bat um Unterstützung.
Das Potenzial der höchstgelegenen Stadt Deutschlands
SPORTFÖRDERUNG LIEGT IN DER FAMILIE
„Wer einmal im Wintersport professionell aktiv war, hat sein Herz daran verloren“, bringt Melanie Ellinger die Familienmaxime auf den Punkt. Ihr Vater Jens Ellinger hat zu DDR-Zeiten den Rennrodel-Nachwuchs trainiert und fördert heute die ortsansässige Sektion Rennschlitten. Die Idee des „Rodler-Euro“ kam 2007, als man im Elldus Resort die ersten Gäste empfing. Sie ist simpel wie smart zugleich: „In jedem Angebot, was wir verschicken, ist die Zusatzleistung „Sport-Euro“ aufgeführt. Jeder Gast hat schlussendlich selbst die Wahl, diesen zu spenden. Alljährlich kommen so 2.000 bis 2.500 Euro zusammen.“
Doch was motiviert die Hotelière zum Sportsponsoring? Sie trägt das Wintersport-Gen in sich. War Sachsenmeisterin in Ski Alpin und hat die eine oder andere Medaille geholt. Irgendwann kam dann der Bruch. „Meine Eltern konnten sich damals meinen Sport nicht leisten. Jedes Jahr neue Wettkampf- und neue Trainingsski. Saison für Saison habe ich meinen Anzug weitergetragen. Von den Schuhen ganz zu schweigen. Ich konnte einfach nicht mithalten mit den Anschaffungen, die es gebraucht hätte. Ja, auch aus Budgetgründen habe ich die Lust am Sport verloren.“
MOTIVIERTES DREIERGESPANN: ELLINGER, BURKHARDT UND FREITAG
Sport treiben zu können, ist dem (ehrenamtlichen) Engagement vieler zuzuschreiben. Einer von ihnen ist Christian Freitag, Geschäftsführer vom Wintersportclub Erzgebirge Oberwiesenthal e. V. Er wird der Dritte im Bunde der Rocket Rookies. Freitag, selbst früher Biathlet, hat den Hut für die Skiarena auf. Nachwuchs aus den erzgebirgischen Vereinen zu gewinnen, ihn zu entwickeln und bestmöglich zu fördern – das sind seine Themen. Sportsponsoring und Standortentwicklung ebenfalls.
Nach dem Gespräch mit Burkhardt sucht Melanie Ellinger den Rat ihres Vaters. Entscheidet nicht ad hoc, sondern wohlüberlegt: „Einfach Geld rüberschieben ist nicht. Wir engagieren uns entweder ganz oder gar nicht. Elldus wird Hauptsponsor, inklusive Entscheidungshoheit über den Trainer. Und wir gehen über die Personalie hinaus, bilden ein Biathlonteam powered by Elldus.“ Dieser Entschluss schlägt hohe Wellen: bei den Sportfunktionären, den Eltern, in der Mitarbeiterschaft, den Vereinen usw.
Ihr kommt zugute, dass man sich in Oberwiesenthal kennt. Jene, die den Ort zukunftsfest machen wollen, laufen sich öfters über den Weg. Was liegt daher näher, als Freitag als Interimstrainer für die Kleinkalibervakanz anzufragen? Er springt ein, führt die „Rocket Rookies“ aus dem Sturm in ruhigeres Fahrwasser – so lange, bis ein passender Trainer gefunden ist.
Im Rückblick spricht das Trio von einer ziemlich steilen Lernkurve. Die Suche gleicht der Nadel im Heuhaufen. Drei, vier potenzielle Kandidaten kommen ins Erzgebirge. Jeder hat ein anderes Manko im Gepäck: fehlender Waffenschein, kein Führerschein und mehr.
Aus dem anfänglichen Sprint wird ein neun Monate andauernder Marathon. Derweil hält Freitag die Kids zusammen. Runde für Runde. Scheibe für Scheibe. Schuss für Schuss. Bis Pjotr Dielen bei den Rocket Rookies anheuert, der nur fünf Jahre älter als seine Schützlinge ist. Bis 2022 war der gebürtige Belgier selbst Profibiathlet.
Trainer und Schützlinge brauchen engen Austausch für Erfolge im Winter.
7.000 SCHUSS À 800 EURO PRO SAISON
Jetzt mal Tacheles, Frau Ellinger: Was kostet ein Nachwuchssportler im Jahr? „Fangen wir bei den Kids an. Damit ihr Kind bestmöglich trainieren und lernen kann, bringen Familien ca. 8.000 bis 10.000 Euro im Jahr auf. Hinter dieser stolzen Summe stehen: Internatsplatz, Ski, Gewehr, Munition, Wettkampfbeiträge, Fahrtkosten zu den Trainingslagern, Sportkleidung und der Anteil für die Unterbringung bei Wettkämpfen. Naheliegend, dass bei dieser Hausnummer Talente auf der Strecke bleiben. Eltern können schlicht und einfach den Sport und die eventuelle Karriere ihrer Kinder nicht mehr finanzieren.“
Wie teuer ist ein Trainer? „Wir als Elldus Resort GmbH sehen unsere Unterstützung aus unserem Business heraus: Schließlich ist es unser Tagesgeschäft, Probleme zu lösen. Wenn eine Investition nötig und sinnvoll erscheint, dann machen wir das. Auch wenn die Beschäftigung eines Trainers in einem Hotel eher ungewöhnlich ist. Und ja, nicht alle unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter konnten das nachvollziehen. Wir hätten das Geld – und da meine ich jetzt nicht nur das Trainergehalt – sicher auch gut in unseren Hotelbetrieb investieren können. Doch anzuecken, gehört zu meinem Job. Das Großartige daran ist, dass ich über scheinbare Grenzen hinausgehen kann. Und jetzt gehört dazu, das Biathlontraining für den Kleinkaliber-Bereich am Standort Oberwiesenthal für einen Olympiazyklus, also vier Jahre, zu finanzieren und mitzugestalten“, spricht die 43-Jährige.
DER FICHTELBERG: BESTE TRAININGSBEDINGUNGEN FÜR VIELFALT IM WINTERSPORT
Das wechselnde Gelände am Fichtelberg von flach bis steil und die modernen Trainingsanlagen ermöglichen eine breite Palette an Wintersportarten. Ausgebildet werden am Bundesstützpunkt Ski Alpin, Biathlon, Nordische Kombination, Rennschlitten, Skilanglauf und Skisprung. Ein Bundesstützpunkt ist ein Trainingsstandort, der für die Sportverbände besondere Bedeutung besitzt. An ihm sind personelle und infrastrukturelle Bedingungen für einen erfolgreichen Trainingsprozess gegeben. Kinder können ab Klasse 5 ans Gymnasium oder an die Oberschule nach Oberwiesenthal wechseln, wo mit Beginn der Klasse 7 die vertiefte sportliche Ausbildung beginnt.
Text: Beatrix Junghans-Gläser
Fotos: Erik Wagler, Dirk Rückschloss