12.11.2024
Wie eine mutige Entscheidung als Katalysator für eine ganze Industrie wirkte
Paulinus Pauly und MENNEKES: Beide sind gekommen, um zu bleiben. Der Grund dafür liegt im Sehmatal. Unweit von der tschechischen Grenze entfernt, werden Steckvorrichtungen und E-Mobility-Ladelösungen gefertigt. Dank dieser Produkte tankt man in ganz Europa Strom. Findet man im beschaulichen Sehmatal-Neudorf mit MENNEKES ein Beispiel für die progressive Provinz?
Paulinus Pauly ist aufgewachsen im Sauerland, einem Landstrich, der in gewisser Weise dem Erzgebirge ähnelt: Mittelgebirgslandschaft, Land- und Forstwirtschaft, tatkräftige Menschen sowie kreatives Unternehmertum haben den Grundstein für eine wirtschaftlich gut entwickelte Region gelegt. Heute prägen mittelständische Unternehmen, wie Automobilzulieferer, Werkzeugbau, Kunststoff- und Metallverarbeitung, beide Standorte.
Trotz der gewissen Ähnlichkeiten erinnert sich Pauly noch präzise an seine erste Fahrt nach „hier“, wie er im Laufe des Interviews immer wieder sagen wird. „Es muss 1996 gewesen sein – kurz vor meiner Hochzeit. Wir sind mittags gegen 11 Uhr in Kirchhundem gestartet und mindestens acht Stunden gefahren. Über die Plattenpiste der A4. Jeden Plattenspalt und jedes Schlagloch konnte man nicht nur hören, sondern auch spüren. Alles war duster, kaum Licht. Aber ein Gebäude strahlte wie ein Leuchtturm. Das war das neu gebaute Arbeitsamt.“
In dieser Zeit waren mehr als 20 Prozent der Menschen im Erzgebirge arbeitslos. Aktuell liegt die Quote bei ca. 5 Prozent. Aus dem Fachkräfteüberschuss entwickelte sich ein allgegenwärtiger Fachkräftemangel.
Wir denken in Generationen
„Unsere Haupt-Challenge ist, die demografische Entwicklung im Blick zu haben. 2030, 2035 sind nicht mehr weit hin. In zehn Jahren fehlt mir jeder dritte, vierte Mitarbeiter, weil er in Rente geht. Wir können allerdings auf keinen unserer Mitarbeiter verzichten. Um zukunftsfähig und handlungsfähig zu bleiben, müssen wir außerordentlichen Aufwand betreiben. Aus meiner Sicht sind zwei Faktoren erfolgversprechend:
- Erstens Automatisierung. Die rechnet sich heutzutage viel, viel früher als noch vor zehn Jahren.
- Zweitens Rekrutierung von Arbeitskräften generell über Sachsen hinaus. Der Fokus liegt hier sicher nicht nur auf Tschechien oder osteuropäischen Staaten, sondern auch in anderen deutschen Bundesländern“, sagt Pauly, der seit 2007 das Werk in Neudorf führt.
Wenn in Berlin sonst nicht viel funktioniert, aber Deutschkurse bekommt man organisiert.
In Sachen Mitarbeitergewinnung ist er ein hemdsärmeliger Typ. Einiges hat er probiert, um (junge) Menschen für den Standort Neudorf zu begeistern. Er schaute sich die Jugendarbeitslosigkeit in Europa an und stieß dabei auf Spanien. Über eine entsprechende Initiative kam dann 2014 ein junger Spanier ins Unternehmen. Der hatte seine Mama gleich mit im Schlepptau, die sich vergewissern wollte, wo ihr Sohnemann eigentlich seine Ausbildung macht.
Auf die Frage, ob neben Mitarbeitenden aus Tschechien auch Ukrainerinnen und Ukrainer im Unternehmen beschäftigt sind, antwortet er: „Gerne würde ich sie einstellen. MENNEKES ist weltoffen: Das sieht man am Standort Kirchhundem, dort arbeiten Menschen aus 20 Nationen gut zusammen.“ Woran es in Sachsen hakt? „Vermutlich an Bürokratie und Sprache. Basiskenntnisse in Deutsch sind sehr wichtig.“ Denn die Kommunikation innerhalb des Betriebes müsse gegeben sein; die Arbeitsaufgaben müssten verstanden werden und die Arbeitssicherheit gewährleistet sein. „Auf mein ‚Was macht ihr als Arbeitsagentur dafür?‘ wurde gesagt, dass es schwierig sei, den Bedarf an Deutschkursen zu organisieren.“
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Wieso ist es so schwer, Menschen zu finden und adäquaten Deutsch-Unterricht aufzubauen? Das müsse doch gehen. Dieses Potenzial an möglichen Arbeitskräften könne man doch nicht ignorieren. Und wenn Deutschkurse nicht organisierbar seien, warum sei es dann nicht möglich, eine entsprechende App zu entwickeln?
Seine energische Argumentation resultiert aus seiner Vita und seinen persönlichen Werten. Er, der selbst als „Uhiesiger“, sprich Auswärtiger, ins Erzgebirge kam, der immer noch zwischen der Familienwohnung in Berlin und Neudorf pendelt und dennoch sein Haus hier gebaut hat, engagiert sich für Zuzügler, die Hiesige werden wollen. Wohnung, Kinderbetreuung, Mobilität, Lebensqualität – das sind seine Handlungsfelder. Beruflich wie privat.
Unternehmertum und soziale Verantwortung
Pauly ist ein Menschenfreund. Als junger Mann unterstützte er Workcamps im Nahen Osten, arbeitete zeitweise in einem Kibbuz. „Ich hatte ein Faible für Israel mit seiner großen Vielfalt an Menschen, den politischen und religiösen Richtungen. Israel ist ein echter Melting Pot, ein Schmelztiegel. Mir war und ist es immer wichtig, beide Seiten kennenzulernen – Israelis wie Palästinenser. Mein beeindruckendstes Workcamp überhaupt war in Haifa, im ‚House auf Grace‘. Es wurde von einem deutsch-schweizerisch-palästinensischen Ehepaar geleitet, das sechs Kinder hatte und wo Strafgefangene resozialisiert wurden. Unter anderem Drogenkranke, aber auch Menschen, die z. B. Steuern hinterzogen haben. Querbeet. Menschen, die durch das Erleben einer funktionierenden Familie und geordneter Strukturen resozialisiert worden sind. Welch krasse Lebenserfahrung“, erinnert sich der 55-Jährige. Umso mehr macht das aktuelle Geschehen in dieser Region sehr betroffen. Suchtprävention, Sponsoring für große und kleine Sportvereine, Augenmerk auf das Plasmazentrum Annaberg-Buchholz , Kindergartenzuschuss, Zuschüsse für das Vollmondcamp und das Märchenfestival Fabulix – MENNEKES scheint omnipräsent zu sein. Was dahinter steht, ist authentisches Unternehmertum. Sich im Erzgebirge einzubringen, gehört zum Selbstverständnis von Pauly und von MENNEKES.
Logisch, dass ihm auch als Privatmann das Projekt „Revolution Train“ am Herzen liegt: „Wer in den 65 Meter langen Anti-Drogen-Zug steigt, erfährt in 100 Minuten enorm viel über Alkohol, Nikotin, Cannabis, Crystal Meth und ihre verheerende Wirkung. Alles, was gezeigt wird, basiert auf einer wahren Geschichte. Was ich gesehen habe, hat mich sehr bewegt. Junge Menschen brauchen Zukunftsaussichten, kein Abrutschen in die Drogenkriminalität oder eine Fahrt ins Nirwana.“
MENNEKES Elektrotechnik Sachsen GmbH
Mennekesstr. 1
09465 Sehmatal-Neudorf
Fon : 037342 / 8620
Email : info@mennekes-sachsen.de
Von wegen Fahrt ins Ungewisse!
Bei MENNEKES sieht man in der Elektromobilität eine große Zukunft. Wer heutzutage sein E-Auto lädt, nutzt dazu in der Regel einen Typ 2-Stecker. Ein einheitliches Produkt für nahezu alle Fahrzeugtypen? Hinter dieser europäischen Standardlösung stecken Pioniergeist und ein kühner Coup. Sie bedeuteten Wachstum und diverse Baumaßnahmen in Neudorf. Paulinus Pauly war in all den Jahren live dabei. „Walter Mennekes als Seniorchef hatte sehr früh die ‚richtige Nase‘ für Elektromobilität.“
Bereits in den Nullerjahren hat MENNEKES im Rahmen eines Feldversuchs der Autoindustrie Ladestecker für Elektroautos entwickelt. „Von anderen wurden wir damals nicht wirklich ernst genommen. Doch dieser Vorsprung und der Verzicht auf ein Patent waren entscheidend für den Erfolg der Standardisierung, die letztlich normgebend war“, berichtet Pauly. So eine Entscheidung! Sie war sehr, sehr mutig. Doch sie war richtig! Sie hat wie ein Katalysator gewirkt.
Den Mitarbeitenden von MENNEKES im Sehmatal hat Walter Mennekes in den 90er Jahren eine Perspektive aufgezeigt: „Wir sind gekommen, um zu bleiben.“ Sein Sohn Christopher Mennekes führt die MENNEKES-Unternehmensgruppe in der dritten Generation fort. Heute werden hier unter anderem Wallboxen zum Laden von E-Autos produziert. Stimmt also, mit dem Beispiel für die progressive Provinz, bestätigt Pauly lächelnd.
Text: Beatrix Junghans-Gläser
Fotos: Erik Wagler