27.06.2019
Was Genusshandwerk mit Hausmacherleberwurst zu tun hat.
In Aue ist die Fleischerei Popella eine Institution: Schon vor 100 Jahren gingen hier Wurst und Fleisch über den Ladentisch. Als ich das Eckgeschäft betreten habe, verebbt der Straßenlärm vor dem Gründerzeithaus. Das hier wird eine Zeitreise, eine Entdeckungstour. Der Blick nach oben gibt mir recht: Eine milchglasvertäfelte Decke aus pastellfarbenen Quadraten, die in Messing eingefasst sind. Wo gibt es denn das noch?
Frau Tausendsassa und die Leberwurst
Urgroßvater Bauer und Metzger, Opa Koch und Fleischer, Vater Fleischermeister. Urgroßmutter, Oma und Mutter – alle Frauen arbeite(t)en mit. Sie wusste, worauf sie sich einlässt. „Als Teenager stand ich jeden Freitag in der Filiale und half meiner Schwester. Das hat genervt. Freiwillig habe ich das nicht immer gemacht. Trotzdem stand ich nach der zehnten Klasse hier und die Dinge nahmen ihren Lauf.“ Ist das nicht etwas tiefgestapelt, Frau Popella ? Ihre Vita im Telegrammstil: Lehre zur Fleischereifachverkäuferin; vorzeitiger Abschluss, weil Klassenbeste. Danach Ausbildung zur Fleischerin; wieder verkürzt weil „passt scho‘ mit der.“ Im Anschluss und als Krönung: Meisterschule. Christin Popella ist 2008 die jüngste Fleischermeisterin Deutschlands und erneut Jahrgangsbeste.
„Mein Vater hat mich schon 14 Tage nach Beginn der Lehre [Anmerkung: Fleischereifachverkäuferin] zum Leistungswettbewerb der Fleischerjugend geschickt. Es fühlt sich schon genial an, wenn man gleich mit einer Goldmedaille nach Hause geht. Da leckt man Blut“, und ergänzt: „Aber vor Menschen sprechen, war nicht mein Ding. Kurzvorträge in der Schule – grausam. Dann wurde ich in die Prüfungskommission des Fleischerhandwerks berufen. Seminare kamen dazu. Für den Beruf springt man über manchen Schatten.“
Wir bieten ein gutes Stück an. Das ist unsere Wertschätzung gegenüber dem Tier.
Könnte es sein, dass Leberwurst in Ihren Adern fließt? Auf diese (rhetorische) Frage kommt sofort ein vehementes „Nein!“ „Als Kind gab es zum Abendbrot Leberwurstbemme – bis ich nicht mehr rankonnte. Das ging ca. 15 Jahre so. Und was zieh‘ ich zur Meisterprüfung? Hausmacherleberwurst! Auch das habe ich durchgezogen.“ Übrigens: Ebendiese wurde 2014 im Blindtest des Magazins „Feinschmecker“ die Landesbeste. Das Ergebnis spiegelt den Anspruch der Fleischerfamilie wider. „Gucken Sie in die Auslage unserer Theke. Wir stapeln keine Fleischtürme, sondern bieten ein gutes Stück an. Das ist unsere Wertschätzung gegenüber dem Tier“, sagt Christin Popella mit Nachdruck und schiebt nach: „Ja, wir sind qualitäts- und detailverliebt. Wir machen traditionelles Genusshandwerk – also das, was sich am Fließband nicht kopieren lässt. Darum produzieren wir nur innerhalb unserer Kapazitäten. Mehr nicht.“
Kompromisse zu machen – nur weil Schwein oder Rind irgendwo billiger sind –, kommt den Popellas nicht in den Sinn. Hartnäckig sein wird im Erzgebirge anscheinend weitervererbt.
Aue und die große weite Welt
Fleischertheke und Catering: Vorn ein Laden ohne Schnickschnack, in den hinteren Räumen Platz für ausgefallenes Fingerfood & Co. Größer könnte der Kontrast nicht sein. Auf den zweiten Blick wird klar: Das ist eine Fleischerei und eine Manufaktur. Für den Genuss – nur für ihn – modellieren die Popellas Bratwurst-Pralinés, schichten geräucherten Lachs an Espresso-Mayonnaise, karamellisieren Melone. Sie türmen und rollen, glasieren und füllen: solange, bis die letzte halbe Himbeere im richtigen Winkel auf den Canapés sitzt. Das hier ist Kunst. Handwerkskunst.
Wir haben uns durch die Küchen der Welt gegessen, Gewürze geschnuppert und zu Hause herumprobiert.
Wer ihr Catering ordert, bekommt „Essthetik“ geliefert. Hauchdünnes Rinderfilet wird mit Balsamico beträufelt, ordentlich Parmesan beschwert und mit Rucola aufgehübscht. Solange, bis der Klassiker wie gemalt aussieht. Essbare Blüten, Rosmarinnadeln, Spinatblätter, geschmolzene Tomätchen – allein die Salate sind ein Fest fürs Auge. Bunt, geschickt arrangiert, köstlich.
Dieser Anspruch zieht sich durch. Logisch, dass nur hochwertige Zutaten Verwendung finden. Wenn möglich aus der Region und saisonal – schließlich wächst vieles quasi vor der Haustür.
Wie kommt man bloß auf solche Ideen? „Die erste Fachstudienreise machte ich mit 16. Später ging es mit dem Papa nach Shanghai, Kanada oder Kalifornien. Wir haben uns durch die Küchen der Welt gegessen, Gewürze geschnuppert und zuhause herumprobiert“, berichtet die junge Mutter, nicht ohne Stolz. Wenn sie mit „Essen herumspielen darf “, ist sie in ihrem Element. „Da darf meine Kreativität raus“, Christin Popella schmunzelt. Sie weiß um ihr Talent – ihre Kunden und die Branche erst recht. Ob sie denn nie aus der Provinz herauswollte? „Angebote gab es schon, wie z. B. von einem Spitzen- Caterer in Südafrika. Aber hier wurde und wird jede Arbeitskraft gebraucht. Wegzugehen war keine Option. Blut ist halt dicker als Wasser.“
Gute Entscheidung, Frau Popella.
Text: Beatrix Junghans-Gläser
Fotos: studio2media, Erik Wagler
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Diese Gechichte erschien zuerst im Magazin „Herzland - Gedacht.Gemacht.Erzählt“. Hier kannst du das gesamte Magazin online lesen, als PDF herunterladen oder gedruckte Exemplare nach Hause bestellen.
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