26.09.2019
Raus aus dem Musikbusiness und rein ins Familienunternehmen. Und was Hamburgerinnen im Erzgebirge vermissen.
12 Jahre ist es her, dass Martin Steinert mit seiner aus Hamburg stammenden Frau von Berlin zurück ins Erzgebirge zog. 15 Jahre lang arbeitete er vorher für das Musiclabel Sony, hatte musikalische Größen wie Bob Dylan, Mariah Carey und die Fugees unter Vertrag. Die Welt der Stars war sein Zuhause. Dann fragte der Vater vorsichtig das Thema Unternehmensnachfolge an. Martin Steinert und seine Frau Ute stiegen aus dem Musik- Business aus und in den Handel von Drechselmaschinen ein. 12 Jahre – Zeit für ein Resümee, Zeit zu reflektieren über das Thema Rückkehr ins Erzgebirge und Zeit, nach vorn zu schauen.
200 Meter mit … Martin und Ute Steinert
Martin Steinert empfängt uns gut gelaunt im großen Verkaufsraum vom Drechselzentrum Erzgebirge Steinert in Olbernhau . Kräftiger Handschlag, jungenhaftes Lächeln, verschmitzter Blick durch die Brille. Und dann diese Stimme. Wie ein Donnerschlag und ein warmer Sommerwind zugleich. Der perfekte Geschichtenerzähler – und zu erzählen hat der ehemalige Musikmanager, der nach 12 Jahren in Frankfurt, Leipzig und Berlin wieder ins Erzgebirge zurückkehrte, tatsächlich eine Menge!
Nur wer im Leben mal rauskommt, kann Heimat wirklich schätzen.
Zum Gespräch verlassen wir das Drechselzentrum und laufen über den Hof, vorbei am Elternhaus der Steinerts und einem herrlichen, alten Bretterschuppen, der ein kleines Drechselmuseum beherbergt. Jetzt kommt eine Baustelle. Die neue Maschinenhalle ist fast fertig. „Wir wollen Drechselmaschinen nicht nur verkaufen, sondern auch bauen“, sagt Martin Steinert. „Deshalb haben wir vor Kurzem eine alteingesessene Olbernhauer Maschinenfabrik übernommen, deren Geschäfte wir hier in etwas größerem Maßstab weiterführen möchten.“ Noch ein Stückchen weiter schließt sich nicht nur unser Rundgang, sondern auch geschichtlich ein Kreis: Die alte Villa, deren strahlend weiße Wände fast noch feucht vom Streichen sind, stand schon früher in Bezug zur Familie – jetzt zieht Martins Bruder Roland hier ein. Und es gibt immer noch Raum für neue Projekte. In der alten Scheune könnte zum Beispiel eine „Gläserne Manufaktur“ Gestalt annehmen, malt Martin Steinert seine Vision: „Ich sehe schon Menschen in weißen Anzügen vor mir, die modernste Elektronik in Drechselroboter einbauen.“ Und so, wie wir Martin Steinert und seine Frau Ute erleben, können wir uns durchaus vorstellen, dass diese kühne Vision schon bald im Erzgebirge Wirklichkeit werden könnte.
Wenn man Sie so erlebt, könnte man meinen, Holz und Drechseln sind für Sie so etwas wie Fleisch und Blut.
MARTIN STEINERT: Ich habe Maschinenbauer gelernt, mein Bruder Roland ist gelernter Tischler und Ingenieur für Holztechnik. Diese Dualität aus Holz und Metall – das hat uns unser Vater Rolf von Kindesbeinen an eingepflanzt – ist eine große Besonderheit von Olbernhau. Die Holzkunst spielte hier schon immer eine große Rolle, und entsprechend haben sich die Maschinen- und Metallbaubetriebe hier angesiedelt, die die Holzkünstler für ihr Handwerk brauchen. Auch unsere Maschinenbauer können alle drechseln – wir wissen also, was wir tun.
So, wie wir hier leben, wäre es in der Großstadt nicht möglich gewesen.
Und doch haben Sie nach der Wende all das ganz weit hinter sich gelassen …
MARTIN: Als die Wende kam, war ich 20. Olbernhau war plötzlich winzig klein. Ich liebte Musik, spielte in mehreren Bands und war fasziniert von den Möglichkeiten, die sich plötzlich boten. Und ich hatte einen Plan: Ich wollte die coole West- Rock-‘n‘-Roll-Mucke in den Osten holen. Also bewarb ich mich bei der Plattenfirma Columbia in Frankfurt am Main – und sie haben mich sofort genommen. Ich glaube, die Personalleiterin war aufgeregter als ich – schließlich hatte sie die völlig uneinschätzbare Aufgabe aufgebrummt bekommen, einen Musikvertrieb im Osten aufzubauen. Da kam ich ihr gerade recht.
Die neue Welt war sicher wahnsinnig spannend, oder?
MARTIN: Es war abgefahren. Ich habe die Marktwirtschaft hautnah erlebt und mit meinen Kunden gemeinsam gelernt, wie sie funktioniert. Am Anfang bin ich einfach in irgendeine Stadt reingefahren und habe gefragt, wo hier der Plattenladen ist. Oft genug stand ich dann dort einer Verkäuferin in Dederonschürze gegenüber. Nach und nach machten echte Musikfreaks Läden auf, da stimmte die Chemie. Die ganze Welt war ein einziger Spaß.
Stimmt also der Mythos von der coolen Musikerwelt?
MARTIN: Damals schon. Ich war dann als Radiopromoter unterwegs und habe mit den Musikredaktionen die Playlists klargemacht. Bei NRJ habe ich nachts manchmal einfach mitmoderiert. Wir haben einige lustige Sendungen gestaltet … (lacht). 2001 ging ich für Sony nach Berlin und arbeitete im Sony Center am Potsdamer Platz, dem absoluten Schmelzpunkt von Ost und West. Und hier habe ich dann meine Frau getroffen (verschmitzter Blick zur Seite).
UTE: Wir haben kurz vor der Digitalisierung der Musikindustrie sozusagen die letzte große Welle von Sex, Drugs und Rock ‘n‘ Roll mitgekriegt – das war schon fett! Wir haben beide viel Aufbauarbeit geleistet, haben lokale Künstler wie Die Fantastischen Vier mit groß gemacht, die heute zum deutschen Kulturgut zählen. Wir waren mit Herzblut dabei.
Die Hamburgerin und der Erzgebirger – war es Liebe auf den ersten Blick?
UTE: Nun, ich würde sagen, die Waschmaschine war schuld. Wir waren uns schon in Frankfurt ab und zu über den Weg gelaufen, fanden uns auch auf einer Weihnachtsfeier in Leipzig ganz nett, und eines Tages standen wir uns im 9. Stock des Sony Centers in Berlin gegenüber und redeten. Da sagte Martin: „Ich werd‘ jetzt mal noch in den Waschsalon fahren“, und ich entgegnete: „Also eine Waschmaschine habe ich zu Hause.“ Kurz danach zog er bei mir ein.
Wann stellte sich erstmals die Frage, das Großstadtleben vielleicht doch hinter sich zu lassen?
MARTIN: Mit der Digitalisierung veränderte sich die Musikindustrie grundlegend. Wir hatten unseren Job beide aus Liebe zur Musik gemacht. Doch nach 2003 wurde das Geschäft immer zahlengesteuerter. Etwa zeitgleich stellten meine Eltern erstmals die Frage, wie es denn mit der Firma einmal weitergehen solle.
Welche Gedanken drehten sich da in Ihrem Kopf?
MARTIN: Bevor wir hierherkamen, haben wir uns lange intensiv mit der Frage beschäftigt: Wie wollen wir leben? Wir haben uns in Berlin sehr wohlgefühlt. Als die Firmennachfolge in Olbernhau im Raum stand, haben wir ernsthaft überlegt, ob man die ganze Drechslerei nicht auch nach Berlin versetzen könnte. Doch wir haben ziemlich schnell beschlossen, dass genau das, dass es HIER ist, das ist, was es ausmacht. Hier kennen wir den Schmied, den Maschinenbauer, unsere Leute, die Stadt. Wir hätten auch woanders was auf die Reihe gekriegt, aber was wir hier machen, das ist schon cool!
UTE: Man muss natürlich sagen: Was wir hier angeboten bekommen haben, war schon etwas ganz Besonderes. Und dass auch alles so klappt – mit den Mitarbeitern, der Familie und den Freunden. Wir haben ein schönes Haus, viel Platz, im Geschäft gilt ein Wort, einen Anwalt braucht man hier eigentlich nicht ...
MARTIN: Uns kommt dabei natürlich zugute, dass wir dank unserer Arbeit hin und wieder auch mal über den Berg schauen. Ich bin immer noch der Meinung, dass es sehr wichtig ist, dass man mal rauskommt und im Leben auch was anderes sieht. Nur so kann man Heimat wirklich schätzen.
UTE: Wir haben uns von Anfang an gesagt: Wenn wir diesen Schritt wagen, dann müssen wir es auch beide wollen. Dann muss man sich voll darauf einlassen und darf nicht meckern, sondern die schönen Dinge sehen.
MARTIN: Mitte bis Ende dreißig ist ein gutes Alter zum Zurückkehren. Ich wollte nach der Wende unbedingt hier weg, habe meine Jugend in Berlin verbracht, mir die Hörner abgestoßen, wilde Zeiten genossen. Heute liegt der Fokus woanders. Man muss nicht mehr so viel erleben, sondern es zählt das intensive, wertige Sein.
Ich will, dass es schön ist.
Was waren denn Ihre Bedenken, bevor Sie hierherkamen?
UTE: Haben wir dort auch genügend soziale Kontakte, die uns glücklich machen? Langweilen wir uns nicht zu Tode?
Und? Was sagen Sie jetzt?
UTE: Es gibt nichts Schöneres, als mit dem Hund an der Flöha entlangzulaufen – so ganz ohne Handy, wie man es aus Hamburg oder Berlin gar nicht kennt. Hier gibt es kein Netz, hier musst du mit dir allein sein, Gedanken zulassen, aktiv schmecken, sehen, riechen … Hier ist vieles anders, aber toll. So, wie wir hier leben, mit unseren Kindern, unseren Tieren, das wäre in der Großstadt nicht möglich gewesen.
MARTIN: In Berlin haben wir sehr viel mit Freunden unternommen, einer cooler als der andere. Auch hier haben wir viele Freunde gefunden, einige alte, einige sind neu hinzugekommen. Als wir hier ankamen, kannte meine Frau niemanden außer meine Familie. Doch ihre Hamburger Offenheit hat dazu geführt, dass sie jetzt nach zwölf Jahren wahrscheinlich mehr Bekannte hat als ich. Wenn man hinter die Fassade schaut, ist mein alter Kumpel Guido solider als viele Bekanntschaften aus Berlin. Und wenn man eine Party braucht, kann man eine schmeißen!
UTE: Wichtig war für mich, dass ich eine eigene Arbeit habe und nicht jeden Tag dasselbe sehe wie Martin. Die Inspiration von außen, der Austausch mit Kollegen bereichert mich sehr. Und auch die menschliche Arbeit in der Diakonie – völlig anders als in der Musikindustrie, aber beglückend. Hier bin ich wirklich angekommen!
MARTIN: Meine Frau will sogar noch einmal ein Studium anfangen! Sie ist jetzt Teamleiterin und will gerne noch mehr. Ich bin stolz auf mein Weib!
Hier musst du mit dir allein sein, Gedanken zulassen, aktiv schmecken, sehen, riechen.
Drechselzentrum Erzgebirge - steinert
Heuweg 4
09526 Olbernhau
Fon : +49 37360 - 6693-0
Email : info@drechslershop.de
Nun aber mal Hand aufs Herz, Frau Steinert: Was stört Sie denn am Erzgebirge?
UTE: Ich vermisse das Multikulti! Ich persönlich habe den Kontakt zu anderen Kulturen immer als Bereicherung empfunden. Hier sieht man einfach zu wenig davon – finde ich als Hamburger Kind. Meine Arbeit mit den Flüchtlingen in der Diakonie entschädigt mich zwar etwas dafür, aber generell würde ich mir mehr „bunt“ in der erzgebirgischen Öffentlichkeit wünschen. Und noch etwas bringt mich auf die Palme: Diese Einstellung: „Das haben wir schon immer so gemacht“, die keine Veränderungen zulässt. Das macht mich wahnsinnig.
MARTIN: Die Vielfalt des Essensangebots lässt zu wünschen übrig. Wie oft stehen wir vor der Frage: Was holen wir uns heute zum Mittagessen?
UTE: Umso schöner ist es aber dann, wenn man mal wohin fährt. In einer Stunde sind wir in Dresden. Da habe ich meine Elbe, wir gehen schön essen … Und natürlich Tschechien! Das hatte ich ja aus meiner nordischen Perspektive überhaupt nicht auf dem Schirm. Herrlich, diese Knödel!
MARTIN: Wir fahren super gern zusammen ins Böhmische. Das hat so etwas von Entdeckungsreise, vieles ist so anders als bei uns – und doch so nah.
UTE: Bei uns in der Diakonie hat jeder Mitarbeiter ein Wohlfühlbild an der Wand hängen, das ihm Kraft gibt. Ich habe mir dafür die kleine Kirche auf dem Erzgebirgskamm bei Kleehaa ausgewählt. Martin: Und da sagt die Hamburgerin doch tatsächlich „Kleehaa“ für Kleinhahn oder Maly Hai, wie es auf Tschechisch heißt! (lacht herzlich)
UTE: Was mir auch gefällt: Hier hat man die Möglichkeit, mitzuwirken, mitzugestalten. Ich bin Vorstandsmitglied im regionalen Tourismusverband, Martin engagiert sich im Wirtschaftsverein. Man hat das Gefühl, hier kann man was bewegen. Ich kann mit dem Bürgermeister sprechen, komme an die Entscheider ran – wenn ich das meinen Hamburger Freundinnen erzähle, wollen die es immer gar nicht glauben.
Mitte bis Ende 30 ist ein gutes Alter zum Zurückkehren.
Wie geht es weiter bei Steinerts? Was sind Ihre Pläne beim Ausbau der Firma?
MARTIN: Die Idee einer eigenen Produktion spukt schon lange in unseren Köpfen. Die Wertschöpfung im eigenen Haus zu haben, ist einfach verlockend. Bisher sind wir immer organisch gewachsen, doch als sich die Chance bot, einen alteingesessenen Olbernhauer Maschinenbaubetrieb zu übernehmen, der für die Wertschöpfungskette im Erzgebirge durchaus von Bedeutung ist, sagten wir uns – wie so oft in unserem Leben – „Warum nicht?“, und haben es als Familie gewagt. Ich habe die letzten Monate sozusagen ein unbezahltes Praktikum in der neuen Firma gemacht, habe den Bau von acht Maschinen begleitet und wahnsinnig viel gelernt. Das Wichtigste ist mir – nicht zuletzt auch aufgrund meiner Erfahrungen im Großkonzern – ein gutes, ehrliches Betriebsklima. Ich will einfach, dass die Leute gerne zu uns kommen. Ich will, dass es schön ist.
Text: Dr. Sylva-Michèle Sternkopf
Fotos: Georg Ulrich Dostmann
Magazin „Herzland“
Diese Gechichte erschien zuerst im Magazin „Herzland - Gedacht.Gemacht.Erzählt“. Hier kannst du das gesamte Magazin online lesen, als PDF herunterladen oder gedruckte Exemplare nach Hause bestellen.
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