04.05.2021
„Schreib bloß keinen romantischen Artikel“, lautete die scherzhafte Ansage der Redaktion, und auch der Förster rollte mit den Augen, als ich ihm mit einem Augenzwinkern meine nicht ganz ernst gemeinte Titelidee „Der Förster vom Antonsthal“ vortrug. Doch wie soll man nicht romantisch werden, wenn der smarte 30-Jährige dann so vor einem steht, das leicht gelockte Haar locker zum Man Bun gezwirbelt; auf der weiträumigen Lichtung, die hinter endlosen Wäldern den Blick auf Keilberg und Fichtelberg freigibt? Wenn er dann erzählt von seiner Jule, mit der er fast seit Kindertagen zusammen ist, mit der er die halbe Welt bereist hat und mit der er in Südamerika beschlossen hat, wieder ins Erzgebirge zurückzukehren, weil es hier doch am schönsten ist? Und wenn er mit glühender Begeisterung von seiner Arbeit schwärmt, die ihn so ausfüllt, dass er darüber gern mal den Feierabend vergisst?
Auch der Spaziergang durch den Wald, zu dem wir uns verabredet haben, erfüllt alle Erwartungen an die Idylle des Erzgebirges. Doch während wir laufen, gibt Martin Meyer, seit gut einem Jahr Revierleiter beim Staatsbetrieb Sachsenforst im Forstbezirk Eibenstock, auch viele nachdenkliche Einblicke in den Arbeitsalltag und die generationenübergreifende Verantwortung eines Försters.
Wer gewinnt das Rennen ums Licht?
Der naturnahe Waldumbau liegt ihm besonders am Herzen. Immer wieder hält er an, um uns auf die dunklen „Fichtenäcker“ hinzuweisen, die wir alle für „normalen Wald“ halten. „Schaut doch mal“, sagt er, „kein Unterwuchs, kein Kraut, kein Strauch, nichts. Alles dunkel.“ Für ihn ist Waldgestaltung:
„Das Spiel mit dem Licht“
„Als Förster kann ich mit Licht steuern, wie es in 20 oder 50 Jahren hier aussehen wird“, erklärt er seine Arbeit. „Ich muss dafür sorgen, dass die Baumarten, die in diesem Wald wachsen sollen, das Rennen ums Licht gewinnen.“ Dafür gilt es, gezielt Freiräume zu schaffen oder bestehende Lichtschächte zu nutzen, um dort vielfältige Baumarten anzupflanzen. „Die Tanne ist als Baum naturnaher Bergmischwälder die Königin des Waldes – sie ist unser Hoffnungsbaum“, sagt Martin Meyer. Früher machte die Tanne zusammen mit der Buche etwa zwei Drittel des Erzgebirgswaldes aus.
Die Tanne ist die Königin des Waldes
Die Fichte, die heute fast überall dominiert, hielt mit Beginn des Bergbaus im Erzgebirge flächendeckend Einzug, weil sie schnell wuchs und damit ein guter Holzlieferant war. „Somit kam sie auch an Stellen, die eigentlich nicht für sie geeignet sind – und dort fällt sie heute dem Borkenkäfer besonders schnell zum Opfer“, erklärt der studierte Forstwirtschaftler. Doch die lichten Stellen, die durch den Borkenkäferbefall entstanden sind, sind auch eine Chance, den Wald wieder naturnah zu gestalten. Artenreiche Dauerwälder anzulegen, ist das Ziel, das Martin Meyer mit ganzer Kraft verfolgt. Wie Mosaiksteinchen fügt er dafür unterschiedlichste Baumarten ihren Ansprüchen entsprechend zusammen – Weißtanne, Eiche und Bergahorn, Erlen und Ulmen an den Bachläufen, Buchen unter Fichten, Hecken an den Waldsäumen.
Die steirische Rauhhaarbracke Ida ist Martin Meyers ständiger Begleiter – auch bei der Jagd. Immer wieder ertönt ihr Fährtenlaut, mit dem sie auf eine Wildspur aufmerksam macht.
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Wald und Wild
Dieses bunte Mosaik gefällt nicht nur den Menschen – es schmeckt auch dem Wild.
„Waldpflege ist immer auch Wildpflege“
meint Martin Meyer ernst und verweist damit auf einen für ihn unentbehrlichen Bestandteil seiner Forstarbeit: die Jagd. „Was nützt es, wenn wir Setzlinge einbringen, sie hegen und pflegen, und dann kommt das Wild und knabbert die zarten Triebe ab? Die besonderen Baumarten sind wie Pralinen für das Rot- und Rehwild – gerade die Bäume, die wir brauchen, verbeißen sie mit Hochgenuss.“
Schonungen einzäunen, wie es früher Usus war, ist heute oft keine Option: „Erstens ist es sehr aufwendig, zweitens funktioniert es nicht bei kleinteiligen Mosaikbepflanzungen, und drittens bedient sich das Wild dann woanders.“ Die Jagd ist für Martin Meyer die beste Möglichkeit, die Natur im Wald zu regulieren: „Wir müssen unsere Wohnung erst renovieren, bevor hier alle wieder gut leben können“, versinnbildlicht er. Bedeutet: Der Wald muss sich erst erholen, wieder artenreicher werden. Wenn die Eichen, Tannen und Buchen dann groß sind und selbst Tausende Samen werfen, kann der Wald auch wieder mehr Wild ertragen, weil mehr Nahrung für alle da ist.
Naturschutz ist in Deutschland am sichersten
Doch warum können wir die Natur nicht einfach sich selbst überlassen? Mit dieser Frage wird Martin Meyer oft konfrontiert. Er sagt: „Der Forst hat bei aller Idylle auch eine wirtschaftliche Funktion. Holz ist ein gefragter nachwachsender Rohstoff. Nirgendwo lässt sich der Naturschutz-Anspruch besser mit der Holzproduktion verbinden als bei uns in Deutschland. Hier gibt es strenge Regeln und gute Gesetze. Wenn wir das Holz aus anderen Ländern importieren, können wir davon ausgehen, dass dort die Natur zerstört wird – ganz abgesehen von den langen Transportwegen. Dann lieber eine kontrollierte Holzproduktion nach ökologischen Gesichtspunkten hier bei uns vor der Haustür – denn hier ist Naturschutz am sichersten.“
26.200 Hektar Waldfläche umfasst der Forstbezirk Eibenstock, für den Martin Meyer im Revier Antonsthal verantwortlich ist – einem der größten zusammenhängenden Waldgebiete des Erzgebirges.
Zum naturnahen Waldumbau gehört für Martin Meyer auch, Totholz im Wald zu belassen: „Es bietet Nährstoffe und Lebensraum für viele kleine Tiere. In hoch abgesägten Baumstubben oder abgebrochenen Baumriesen nisten sich Vögel und Fledermäuse ein. Außerdem speichert Totholz Wasser wie ein Schwamm und wirkt damit wie ein Kühlschrank für das Waldinnenklima.“ Diese Ansätze sind nicht neu. Vieles davon formulierte der sächsische Oberberghauptmann Hans Carl von Carlowitz schon vor über 300 Jahren, der damit hier im Erzgebirge 1713 das Prinzip der nachhaltigen Waldwirtschaft begründete. Und doch stößt der naturnahe Waldumbau in der Gesellschaft oft auf Unverständnis. Braunäugige Rehe jagen? Äste und Stämme einfach liegen lassen? Wie einen Flickenteppich verschiedenste Baumarten zu einem bunten Mosaik kombinieren? „Ja“, sagt Martin Meyer, „das ist der Weg, mit dem wir unsere Landschaft nachhaltig verändern und den Generationenvertrag erfüllen –
denn wir schaffen die Zukunft für unsere Kinder.
Text: Sylva-Michèle Sternkopf
Fotos: Désirée Scheffel