Das Urbane im Dörflichen

27.06.2023

Über bunte Beete, die Menschen zusammenbringen.

Ein goldener Herbsttag wie aus dem Bilderbuch. In Raschau, etwas versteckt hinter einem ehemaligen Kindergarten, bin ich verabredet mit Max Teumer. Gemeinsam mit einigen Freunden hat der Anfang 30-Jährige 2015 den Verein Procovita ins Leben gerufen. Unser Treffpunkt ist der Gemeinschaftsgarten „Bunte Beete Raschau“. Er ist eines von vielen Projekten des Vereins. Einige Mitglieder des Vereins wollen sich hier heute später zu einem gemeinsamen Abschluss der Gartensaison treffen.

Der Garten als Keimzelle

Dass die Fläche hinter dem kleinen, zweistöckigen Plattenbau einmal der Außenbereich eines Kindergartens war, lässt sich nur noch erahnen. Nach konventionellen Auffassungen wirkt alles etwas verwildert. Das ist gewollt: Der Garten ist nämlich nach dem Prinzip der Permakultur aufgebaut. Es basiert darauf, möglichst naturnahe Kreisläufe und Ökosysteme zu schaffen und mit vorhandenen Gegebenheiten zu arbeiten. „Die Bäume und den Schuppen haben wir gelassen, wie sie waren, den Pavillon nur etwas vergrößert. Das große Gemüsebeet war früher der Sandkasten für die Kinder“, erklärt Max. Ergänzt wurden etliche Obstbäume und Sträucher, ein Hügelbeet, ein kleines Hochbeet sowie eine Kräuterspirale.

Da haben wir uns gesagt: Man kann immer viel drüber reden, aber man muss auch mal was machen.

Begonnen hatte alles vor sieben Jahren aus dem Wunsch heraus, die Welt zum Besseren zu verändern, sich mehr einzubringen und mitzugestalten sowie positive und kreative Impulse für Veränderungen vor Ort zu geben. „Im Freundeskreis spielten zu dem Zeitpunkt schon länger Themen wie Klimawandel, Nachhaltigkeit und Ernährung eine große Rolle. Da haben wir uns gesagt: Man kann immer viel drüber reden, aber man muss auch mal was machen. Bis zur Vereinsgründung dauerte es dann nur noch ein paar Tage“, blickt Max auf die Anfangszeit des Vereins zurück. Um Ideen für einen regionalen, nachhaltigen Lebensmittelanbau, aber auch eine bessere Gemeinschaft und gegenseitige Unterstützung zu verwirklichen, stand bald der Gedanke eines Gemeinschaftsgartens im Raum. Der sollte für jedermann zugänglich sein und einen Ort des Miteinanders und Austauschs bilden.

Zu dieser Zeit waren im Ort viele Menschen untergebracht, die aus Syrien geflüchtet waren. Die haben wir kurzerhand mit verschiedenen Angeboten bei uns eingebunden.

Ein passendes Gelände war schnell gefunden und erste Pflanzen wurden gesetzt. Dann bekam das Gartenprojekt eine ganz eigene Dynamik. „Zu dieser Zeit waren im Ort viele Menschen untergebracht, die aus Syrien geflüchtet waren. Die haben wir kurzerhand mit verschiedenen Angeboten bei uns eingebunden. So bekamen sie Anschluss, hatten eine Aufgabe und wieder Struktur im Leben. Innerhalb kurzer Zeit passierte damals hier im Garten sehr viel“, schildert Max.


Procovita im hERZschlag-Podcast




Mehr als ein alternativer Gartenverein

Alternative Formen der Gartengestaltung, die Arbeit mit Geflüchteten – das stieß im Ort nicht überall auf Wohlwollen. Doch die Zahl der Mitstreiterinnen und Mitstreiter, wuchs kontinuierlich. Schon bald entstanden weitere neue Projekte. Neben der Arbeit am Garten fanden im Winter erste gemeinsame Kochabende statt: mit regionalen, möglichst saisonalen und veganen Zutaten.

Heute zählt der Verein offiziell rund 30 bis 35 Mitglieder, die meisten im Alter von 20 bis 40 Jahren. Sie leben in Raschau oder der direkten Umgebung und gehen den unterschiedlichsten Berufen nach. Überdies gibt es einen sehr großen Unterstützerkreis. Einige sind regelmäßig bei Veranstaltungen dabei, andere nur punktuell nach Zeit, Lust und Interesse. Jeden Montagnachmittag treffen sich Mitglieder und Interessierte mit Kind und Kegel im Gemeinschaftsgarten, um zu gärtnern, neue Ideen zu spinnen oder einfach nur zum Tischtennisspielen und Kaffeetrinken. Über den Sommer verteilt, finden mehrere größere Gartencafé-Nachmittage statt. Ansonsten gibt es kaum feste Strukturen und Termine.

Bei Gemeinschaftsgärten geht es darum, in einer Gruppe gemeinsam einen meist öffentlichen Garten anzulegen und zu bewirtschaften. Neben Selbstversorgung spielen das soziale Miteinander und eine Rückbesinnung auf die Natur eine wichtige Rolle. Je nach Projekt steht meistens einer dieser Aspekte besonders im Vordergrund. Besonders häufig finden sich Gemeinschaftsgärten in Städten, aber nicht ausschließlich. Betrieben werden solche Gärten oft von Nachbarn, Schulen, sozial oder ökologisch orientierte Gruppen.

„Meistens läuft das bei uns so, dass jemand einen Einfall hat, für den sich schnell auch andere begeistern. Sobald sich genügend Leute finden, die das umsetzen möchten, geht es los“, schildert Max. Entsprechend vielfältig ist die Liste der Projekte und Aktionen, die bereits entstanden sind: Müllsammelaktionen im Ort, Bierbraukurse, Pilzwanderungen, Fermentationskurse, Wahlprüfsteine zur Bürgermeisterwahl, Unterstützung des ortsansässigen „Umsonstladens“, Kreativ- und Kulturangebote, wie Liederabende oder Linoldruck, vegane Essensstände bei den hiesigen Ortsveranstaltungen. Sogar ein weiterer Gemeinschaftsgarten ist bereits entstanden: die „Bunten Beete Annaberg“.

Der Garten trägt Früchte

„Mit jedem erfolgreichen Projekt steigt die Akzeptanz hier im Ort“, schildert Max die Entwicklung des Vereins weiter. „Wir haben einen ausgezeichneten Draht zum Bürgermeister, eines unserer aktiven Mitglieder sitzt im Gemeinderat. Bei neuen Vorhaben im Ort werden wir inzwischen manchmal schon im Vorfeld zurate gezogen. Auch zu anderen Vereinen oder Kirchen im Ort und der Region haben wir einen engen Kontakt. Wenn ich einmal Unterstützung brauche, weiß ich genau, wen ich fragen kann.“

Wenn ich einmal Unterstützung brauche, weiß ich genau, wen ich fragen kann.

Der Verein bildet eine offene Plattform, die jeder und jedem Einzelnen Entfaltungsmöglichkeiten bietet, wo Neues ausprobiert und bei Erfolg auch etabliert werden kann. Solche Freiräume zum Experimentieren gibt es sonst insbesondere in Städten. „Ich bezeichne das, was wir tun, daher gerne als das Urbane im Dörflichen. Wichtig sind uns ein gutes Miteinander und eine gute Gemeinschaft, nicht nur in unserer Gruppe, sondern in unserem ganzen Lebensumfeld. Wir möchten Anlaufstelle für alle Einwohnerinnen und Einwohner sein und alle einbinden“, fasst Max abschließend die Ziele des Vereins zusammen. Ideen dafür gibt es genug. Als weitere Projekte sind eine Solidarische Landwirtschaft oder auch ein Bikepark im Ortsteil Langenberg geplant.


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Während unseres Gesprächs sind nach und nach weitere Mitwirkende eingetroffen. Sie setzen sich zu uns, plaudern ein wenig, tragen eine gemeinsame Kaffeetafel zusammen, jemand baut eine Tischtennisplatte auf. Alle bringen etwas mit, einige haben ihre Kinder dabei, die im Garten herumtoben, auf der Slackline balancieren oder ganz selbstverständlich wie die Erwachsenen bei den Vorbereitungen helfen. Alles wirkt sehr locker, einladend und entspannt. Eine gute Atmosphäre für Austausch und viele neue Ideen.

Text: Philipp Senge
Fotos: Désirée Scheffel