23.07.2024
Wie Ehrenamtliche in Geyer Raum für mehr „miteinander‟ schaffen
Geyer an einem warmen Septembertag. Der Spätsommer zeigt sich von seiner besten Seite. Der perfekte Nachmittag, um noch mal in der Sonne einen Kaffee zu trinken. Am Brunnen mitten in der Stadt bereitet sich ein besonderes Café auf seine Gäste vor. Zwei Männer spannen Sonnenschirme auf und rücken Stühle zurecht. Hinter den großen Schaufenstern laden Vintage-Sessel zum „Sperrgusch’n“ ein. Man sieht gleich: ein echter Lieblingsplatz, auch an kälteren Tagen.
In der Küche schneiden zwei Frauen den Kuchen an – Himbeertorte mit Schlagsahne, Schokotorte und Quarkkuchen, alle selbst gebacken in Küchen aus Geyer und Umgebung. Man hört sie lachen. Bevor die Gäste kommen, ist noch Zeit für einen Plausch und einen Cappuccino. Die elfjährige Luisa bindet sich ihre weiße Schürze um und heftet sich ihr Namensschild an. Jetzt kann es losgehen. Schon öffnet sich die Tür und der erste Stammgast sucht sich seinen Tisch direkt neben dem Tresen und bestellt einen Kaffee – wie jeden Tag.
Gestartet ist das Projekt mit einer Vision und viel Mut. „Die Idee eines Begegnungsortes entstand schon 2018“, erzählt Kristin Schröer. Die Geyrische gehört zum Vorstand des miteinander e.V. „Ich hatte immer wieder das Bild eines Cafés und eines Second-Hand-Ladens vor meinem inneren Auge. So deutlich, als wäre es schon Wirklichkeit. Ich musste dem in irgendeiner Form nachgehen.“
Geeignete Räume gab es in einem Gründerzeithaus. Doch die standen schon viele Jahre leer und mussten grundlegend saniert werden. Dafür brauchte es finanzielle Mittel und vor allem viele Helfer. „Meinem Mann und mir war klar, dass wir dieses Projekt nie alleine stemmen können. Wir brauchten eine Gemeinschaft, die es trägt.“ Sie teilten ihre Idee mit Freunden, Bekannten, den Kirchgemeinden sowie Vertretern der Stadt und warben in Geyer mit über 2.000 Briefen.
Eine Vision kommt ins Leben
Es passierte etwas Erstaunliches: Vom ersten Moment an traf die Vision auf offene Herzen. Menschen boten Unterstützung an. „In den Gesprächen spürte ich, dass auch andere eine Sehnsucht hatten, etwas zu bewegen.“ Eine davon war Maria Scheithauer, die mit ihrem Mann zu den Gründungsmitgliedern des Vereins gehört. „Mich bewegte die Idee eines Treffpunktes inmitten der Stadt schon seit vielen Jahren. Es schmerzte mich, die vielen leeren Schaufenster zu sehen“, blickt die ehemalige Apothekerin zurück. „Ich wünschte mir einen Ort, von dem neues Leben ausgeht. Als Kristin von ihrem Traum erzählte, war ich sofort dabei – und bin es bis heute.“ Und so ging der Verein mutig erste Schritte: Die Räume wurden angemietet, der Umbau geplant. Die Idee gewann den 3. Preis des simul+ Wettbewerbs „Ideen für den ländlichen Raum“, der mit 15.000 € dotiert ist und wurde durch das LEADER -Projekt der Region Zwönitztal-Geifensteine gefördert. Der Großteil des Geldes kam durch private Spenden zusammen.
In den Gesprächen spürte ich, dass auch andere eine Sehnsucht hatten, etwas zu bewegen.
Wenn die Schröers heute zurückblicken, sehen sie einen Weg voller Wunder: „Zur richtigen Zeit war immer da, was wir brauchten.“ Schon in der Umbauphase ab Juni 2020 halfen über 90 Freiwillige mit. Mit Liebe zum Detail hauchten sie den alten Räumen neues Leben ein. Menschen im Ruhestand investierten ihre Zeit, eine Jugendgruppe packte mit an, Handwerksleute brachten Fachwissen ein und Kreative besondere Ideen.
Insgesamt 3.500 ehrenamtliche Arbeitsstunden kamen in zwei Jahren zusammen. Selbst die Einrichtung kam von Menschen aus Geyer. „Schon im Herbst 2019 hatte ich aufgerufen, Möbel zu spenden. Das Telefon stand nicht mehr still. Viele Menschen boten uns ihre Schätze aus unterschiedlichen Epochen an“, lacht Kristin Schröer. Wenn man heute das Café betritt, nimmt man in liebevoll eingerichteten Wohnzimmern Platz, in denen jedes Möbelstück seine eigene Geschichte erzählt.
Gemeinsam für mehr „miteinander‟
Dass der Laden läuft, ist über 50 Ehrenamtlichen aus allen Generationen zu verdanken. Sie backen Kuchen, kochen Kaffee, machen sauber, bedienen die Gäste, waschen ab oder sind einfach nur da und hören zu. Gemeinsam mit der 12-jährigen Leni ist Luisa die Jüngste und seit der Eröffnung dabei. An drei Nachmittagen in der Woche kommt die Elfjährige ins Café und hilft im Service. Wenn man Luisa fragt, warum sie ihre freie Zeit hier investiert, strahlt sie:
Ich fühle mich ernst genommen und den Ort sehr schön. Ich mag das einfach, wenn sich die Leute hier wohlfühlen.
Helga gehört zu den ältesten Mitarbeiterinnen. Einmal in der Woche kommt sie mit ihrem Mann aus dem benachbarten Elterlein, um am Vormittag die Räume zu reinigen. „Wir brauchen das noch“, sagt die 73-Jährige. Ukrainische Familien, die im Haus leben, helfen ebenso wie Gisela, die die Tischdecken wäscht: Marco wohnt im Dachgeschoss und ist „das Mädchen für alles“. Isabell, die als Friseurin arbeitet und Mama von zwei Kindern ist, unterstützt im Service und backt Kuchen. „Ich liebe es, dass wir hier gemeinsam einen Ort erschaffen, an dem jeder willkommen ist.“
Die Gäste scheinen das zu spüren: Seit der Eröffnung im Juni 2022 ist das Café immer gut besucht. Es kommen Menschen, die neugierig sind, Ruheständler, die sonst allein wären, Mütter mit Kindern, die es genießen, dass es Platz zum Spielen gibt. Hier wird gemeinsam gefeiert, gebastelt, Skat gespielt und musiziert. Die Instrumente im Raum dürfen jederzeit benutzt werden – weil Musik verbindet.
Ein Second-Hand-Laden mit Anziehungskraft
Seit 2020 gehört auch ein Second-Hand- Laden zum Verein. Eröffnet wurde dieser 2018 von Andrea Rex, die in Geyer lebt. „Wir wollten das Zentrum neu beleben mit einem Ort für Perspektive und Hoffnung.“ Sie machte sich auf die Suche nach Ideen und wird in Chemnitz fündig: Ein „Anziehungspunkt“ bietet dort gespendete Kleidung und Raum für Begegnung, die erwirtschafteten Überschüsse fließen in soziale Projekte – ein Secondhandshop mit gemeinnützigem Herzschlag also. Genau so etwas sollte in Geyer auch entstehen.
Andrea erinnert sich: „Als wir gestartet sind, wussten wir nicht, wie unsere Idee bei den Menschen ankommen würde. Ich hatte mit meinem Mann abgemacht: Ein halbes Jahr finanzieren wir das Projekt zur Not aus eigener Tasche. Und dann sehen wir weiter.“ Trägerin war zunächst eine freie evangelische Gemeinde in Chemnitz, auch die Stadt Geyer gab einen finanziellen Zuschuss. Doch schon zwei Wochen nach der Eröffnung war die erste Monatsmiete erwirtschaftet. Und seitdem trägt sich das Projekt selbst.
2022 gab Andrea den Staffelstab in neue Hände. „Es war in meinem Leben einfach was anderes dran“, lächelt sie, „aber ich bin mir sicher, dass alles hier hat eine echte Zukunft – solange sich immer wieder Menschen finden, die sich investieren.“ Im Moment stemmen hier vier Frauen die Arbeit, behalten den Überblick über die gespendete Kleidung und sorgen dafür, dass das Geschäft vier Tage die Woche geöffnet ist. Man spürt, dass die Arbeit echte Herzenssache ist. In diesem Punkt sind sich alle Ehrenamtlichen einig: Die Zeit, die sie ins Projekt investieren, ist unter dem Strich ein Gewinn.
Text: Steffi Mayer
Fotos: Georg Ulrich Dostmann